Kolumne: Lebenstriebe:Ewige Puppenspieler

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Hilmar Klute begegnet seltsamen Menschen mit Plüschtieren im Rucksack sowie Männern, die mit liebevoll gestalteten Silikonpartnerinnen leben - und schämt sich ein bisschen fremd.

Ein in mancherlei Hinsicht bizarrer ehemaliger Kollege wurde einmal auf dem Firmengelände angesprochen, weil aus seinem Rucksack ein Teddybeinchen ragte.

Mehr als 3000 Männer besitzen weltweit eine Real Doll. Eine kalifornische Firma verkauft die Silikonpuppen schon seit zehn Jahren (Foto: Foto: screenshot/realdoll.com)

Wenn aus Taschen Beine ragen, fragt man ja schon von Natur aus nach, und es stellte sich bei näherem Hinsehen sogar heraus, dass der Rucksack des bizarren Kollegen bis zum Rand vollgestopft war mit Häschen und Bärchen beiderlei Geschlechts.

Auf die Frage, ob da der Sohn oder die Tochter Geburtstag habe, wurde der bizarre Kollege verlegen und deutete an, dass er und seine Frau, nicht wahr ... dass sie mit den Plüschtieren - na ja ...

Die Zeitgenossenschaft des Eichhörnchens

Sicher, man schämt sich immer ein bisschen mit, wenn einem erwachsene Leute gestehen, dass sie ein über das Dekorativ-Spielerische hinausgehendes Verhältnis zu Plüschtieren unterhalten.

In der Vorstellung bauen sich bizarre Spielarten der Sodomie auf, Darkrooms mit willfährigen Monchichis, SM-Keller, die von professionellen Domina-Häschen verwaltet werden und ähnlich widernatürliche Ereignisse.

Um es klar zu sagen: Natürlich gibt es immer noch robuste Naturen, die mit Plüschtieren Unzucht treiben. Aber die Mehrheit der Plüschtierliebhaber möchte bitte aus der Schmuddel- in die Kuschelecke getragen werden.

Diese Menschen suchen keinen schnellen Sex mit dem Plüscheichhörnchen, nein, sie suchen die Zeitgenossenschaft des Eichhörnchens. Es wächst auf dem Feld der künstlichen Sinnlichkeit heute eine neue, selbstbewusste Liebhabergeneration heran, übrigens auch unter jenen Männern, die sich früher Sexpuppen ins Haus bestellt haben.

Individuelle Partner aus Silikon

Was muss das für eine würdelose Prozedur gewesen sein, die frisch bestellten Frauen jedes Mal aufzublasen und nach der Dienstleistung wieder verschämt zusammenzufalten, damit kein Verdacht auf den Benutzer fiel.

Heute kommen diese - übrigens bildhübschen, weil nach individuellen Bedürfnissen des Mannes gestalteten - Püppchen noch immer zuverlässig ins Haus. Aber sie kommen aufrechten Ganges und lassen sich auch nicht mehr sofort ins Bett zerren.

Die neue Silikonpuppengeneration will Gesprächspartnerin sein und Lebensgefährtin. Und weil man mit ihr auch ganz wunderbar lachen, träumen und fliegen kann, haben sich inzwischen mehr als 3000 Männer auf der ganzen Welt für eine Partnerin aus gefühlsechtem Silikon entschieden.

Eine Fabrik in Kalifornien stellt seit ungefähr zehn Jahren die sogenannten Real Dolls her. Es handelt sich um lebensechte nachempfundene Frauen; wobei die Betonung hier wirklich auf dem Wort "empfunden" liegen sollte, denn die Silikonmädchen sind im Prinzip so etwas wie erotische Sozialarbeiterinnen aus wetterfestem Material.

Es gibt Männer, die mit ihren Gefährtinnen einkaufen und essen gehen und vor allem deren wunderbare Eigenschaft schätzen, von Kreditkartenkäufen abzusehen. Es mag zynisch klingen, aber es gibt nun einmal Männer in unserer Welt, die einfach keine Frau abbekommen, sei es weil sie zu dumm, zu hässlich oder beides sind.

Eine Real Doll kann dagegen jeder haben, der irgendwie 1000 Dollar zusammenkratzen kann. Die Real Doll ist eine wunderbare Frau, sie ist im Grunde dreierlei: Heilige, Hure und sozialerotische Prothese, und ihre Klamotten darf einzig und allein der Mann aussuchen.

Der Kolumnist Hilmar Klute, geboren 1967 in Bochum, ist SZ-Redakteur und Buchautor.

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