Klimawandel:Nicht mehr wie die Lemminge

Lesezeit: 1 min

Lange wurde gerätselt, warum die Nager zu Massenwanderungen aufbrachen. Jetzt haben Forscher herausgefunden, wieso sie es nicht mehr tun.

Tina Baier

Über die Massenwanderungen der Lemminge ist viel spekuliert worden. Im 16. Jahrhundert kursierte die Theorie, dass die Tiere bei Sturm vom Himmel fallen. Und heute noch glauben viele Menschen, Lemminge begingen kollektiven Selbstmord, indem sie sich gemeinsam ins Meer stürzen.

Die schwindende Zahl der Lemminge verändert das gesamte Ökosystem Südnorwegens. (Foto: Foto: dpa)

Es hat lange gedauert, bis Wissenschaftler entdeckt haben, dass die hamsterähnlichen Tiere deshalb alle drei bis fünf Jahre wandern, weil sie sich so stark vermehrt haben, dass das Futter knapp wird. Gelangen die Tiere dabei an eine Küste, springen sie ins Wasser und setzen ihren Weg schwimmend fort - so groß ist der innere Drang, Nahrung und neuen Lebensraum zu suchen. Doch kaum war dieses Rätsel gelöst, gaben die Lemminge ein neues auf: Irgendwann in den neunziger Jahren hörten sie plötzlich auf zu wandern.

Norwegische Wissenschaftler glauben nun, den Grund dafür gefunden zu haben. In der Fachzeitschrift Nature (Bd. 456, S. 93, 2008) berichten sie, dass sich die Tiere aufgrund des Klimawandels nicht mehr so stark vermehren und deshalb auch nicht mehr zu ihren Wanderungen aufbrechen.

Denn Lemminge brauchen Schnee, um zu überleben und zwar eine ganz bestimmte Sorte. Sie leben weite Teile des Jahres in einem Zwischenraum zwischen Boden und Schneedecke, der entsteht, wenn die Wärme des Bodens von unten eine dünne Schicht Schnee wegschmilzt. Dort können die Tiere geschützt vor Kälte und Raubtieren in Ruhe Moos fressen und sich vermehren.

Den Untersuchungen der Forscher zufolge kann dieser Schutzraum bei höheren Temperaturen nicht entstehen. Die Wärme bewirke, dass der Schnee öfter als früher schmilzt und wieder gefriert, so dass sich statt der sicheren Höhle eine harte Eisschicht bildet. Die Lemminge kommen nicht mehr an ihr Futter und sind zudem eine leichte Beute für Raubtiere.

Die schwindende Zahl der Nager verändert nach Ansicht der Wissenschaftler das gesamte Ökosystem Südnorwegens. Sie sind überzeugt, dass auch der dramatische Rückgang von Polarfüchsen und Schnee-Eulen damit zusammenhängt. Denn die Tiere, die sich früher hauptsächlich von den in Massen vorkommenden Nagern ernährt haben, finden nicht mehr genug zu fressen und verhungern. Doch vorher weichen sie auf andere Beute aus, zum Beispiel auf Schneehühner, die dadurch ebenfalls stark dezimiert werden.

© SZ vom 06.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: