Klimawandel:Grillfest am Ende eines kurzen Sommers

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Alaska wird löchrig, die Tiere fliehen nach Norden, und alle Prognosen wurden vom Schmelzwasser überholt: Zwei Bücher zeigen, wie tief wir schon im Klimawandel stecken.

Alex Rühle

Oft geht es einem mit Umweltbüchern wie einem Durstigen mit einer Tüte Zwieback: Ein einziges sprachkarges Gebrösel aus Zahlen und Statistiken, das den Wissensdurst nur verstärkt. Oder aber man verspürt schnell diesen pappigen Kirchentagsekel, weil Pamphletöses mit Mahnendem verrührt wird.

Der Mensch als Nutznießer eines einmalig schönen, ruhigen Sommertags - aber wielange noch? (Foto: Foto: dpa)

Tim Flannery aber hat mit "Wir Wettermacher" eine Art Weißbuch der Klimaforschung geschrieben, das sich liest wie ein Krimi.

Der australische Biologe, der in Adelaide Zoologie lehrt, ein Globetrotter mit großartigen Anekdoten im Gepäck, kann die Schönheit einer eichenbestandenen Hochebene auf Papua so eindringlich beschreiben wie die mathematische Klarheit der Keeling-Kurve, die den kranken Atempuls der Erde zeigt.

Er verschraubt die wichtigsten Ergebnisse, Studien und Thesen der vergangenen Jahre zu einem solch erschreckenden Szenario sich gegenseitig verstärkender Mechanismen, dass man daraus in den Alltag zurückkehrt wie ein Kinozuschauer, der aus dem dunklen Vorführungssaal ins grelle Alltagslicht stolpert und erstmal hilflos auf dem Bürgersteig rumsteht und den Autos hinterherschaut.

Ein Freund bekam die posttraumatischen Ausläufer dieser Lektüreerfahrung Tage später an der Isar zu spüren, als er nach einem Grillabend Kohlereste in den Fluss kippte und aus heiterem Himmel eine Philippika über sich ergehen lassen musste.

Klimageschichtlich ist der Mensch schlicht Nutznießer eines einmalig schönen, ruhigen Sommertags. Ackerbau, Viehzucht und Kultur konnten überhaupt nur entstehen, weil vor 8000 Jahren ein mildes Allzeithoch einsetzte, wie man es sonst aus der jüngeren Klimageschichte nicht kennt.

Das erklärt, warum die Menschen all die Jahrtausende zuvor als Jäger und Sammler umhergezogen sind, ohne Häuser bauen, Tiere domestizieren und ab und zu ein Gedicht schreiben zu können. Das Einzige, was von ihnen blieb, sind ein paar Höhlenzeichnungen und Mastodonknochen.

Entscheidende Ereignis der Menschheitsgeschichte

Damals versiegte immer wieder der Golfstrom, was zu extremen Klimaschwankungen führte. Die Temperaturkurve jener Jahrtausende muss ausgesehen haben wie eine expressionistische Fieberkurve. "Und dann wich der klimatische Irrsinn plötzlich der gelassensten Ruhe... Der nun schon 8000 Jahre währende Sommer ist zweifelsohne das entscheidende Ereignis der Menschheitsgeschichte."

Was aber macht der Mensch am Ende dieses Sommers? Er startet das größte Grillfest in der Geschichte des Planeten und bläst täglich sechs Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft.

Für Flannery ist es nur noch eine Frage von Jahrzehnten, bis die Menschheit ähnlich verheerende Klimaumstürze durchleiden muss wie damals, als sie unbehaust über die Kontinente zog.

Die Tiere haben weltweit schon 1950 begonnen zu wandern: Die Artenverteilung verlagert sich seither pro Jahrzehnt sechs Kilometer in Richtung der Pole und um sechs Meter die Berghänge hoch. Dennoch sind sie zu langsam, als dass sie dem Klimawandel entkommen könnten. Der Biologe Chris Thomas von der University of Leeds untersuchte 1103 Pflanzen- und Tierarten an den verschiedensten Orten der Erde im Hinblick auf ihre Überlebenschancen.

Wenn heute Abend alle Kohlekraftwerke abgeschaltet würden und die Menschen nur noch Rad führen, würde sich die Erde um 0,8 bis 1,7 Grad aufheizen. Selbst in diesem Märchenszenario würden zwanzig Prozent der Tiere aussterben.

Ein Großteil des Kohlendioxid, das im Ersten Weltkrieg von Kohleöfen an der Front von Verdun aufstieg, heizt noch heute die Atmosphäre an. "Die Auswirkungen der Treibhausgase, die bereits heute in der Atmosphäre sind, werden erst um 2050 zu spüren sein." Bis dahin aber sollen nach heutiger Planung weltweit nochmal 1500 Kohlekraftwerke dazukommen.

Von L.A. wird bleiben der Wind

Die Halsband-Lemminge werden bis dahin verschwunden sein. Von ihnen wird nur die falsche Redensart bleiben, die ihnen der Mensch verpasst hat, das einzige Wesen, das tatsächlich offenen Auges auf den Abgrund zurast: 1961 verbrauchten die Menschen die Hälfte der Gesamtressourcen, die das globale Ökosystem nachhaltig zur Verfügung stellen konnte.

1986 war unser Hunger schon so groß, dass wir die gesamte nachhaltige Produktion der Erde aufbrauchten. Seither betreiben wir Raubbau, leben auf Pump, plündern die ökologische Kapitalbasis. Sollten 2050 tatsächlich neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, bräuchten sie die Ressourcen von zwei Planeten.

Es gibt aber nur einen. Eine blauweiße Kugel, von der es kein Entkommen gibt.

Flannery stellt den meisten Regionen der Erde keine allzu guten Prognosen: "Die Städte im Westen der USA sind von stetig schwindenen Wasservorräten abhängig. Diese Metropolen kann man unmöglich umsiedeln, und einige müssen, wie es bei den Städten Mesopotamiens der Fall war, vielleicht aufgegeben werden, wenn sich das Tempo der Veränderungen beschleunigt. Wem das zu extrem vorkommt, sei daran erinnert, dass wir erst am Anfang der Wasserkrise im Westen stehen. Als der amerikanische Südwesten vor 5000 Jahren noch etwas wärmer und trockener war, verschwanden die Indianerkulturen, die in der Region gediehen, fast vollständig."

Wem das zu prognostisch ist, der lese Elizabeth Kolbert. Die Reporterin des New Yorker besuchte für ihr Buch "Vor uns die Sintflut - Depeschen von der Klimafront" Menschen, die schon jetzt den Klimawandel zu spüren bekommen, Gletscherforscher in Island, Inuits, die ihre nordkanadischen Dörfer verlassen müssen, weil das Wasser kommt, oder britische Schmetterlingsforscher, die die Tatsache, dass der Polygonia c-album seit 1980 um 160 Kilometer nach Norden gewandert sei, mit stiff upper lip schlicht als "bemerkenswert" bezeichnen.

Das ist vielleicht das Unheimlichste an beiden Büchern: Der leise Ton, in dem die Forscher, die zu Wort kommen, sich darüber wundern, dass ihre Prognosen, die ohnehin nicht allzu optimistisch waren, von der Wirklichkeit überholt werden.

Flannery selbst beschloss dieses Buch zu schreiben, als er 2004 las, dass Grönlands Gletscher zehnmal schneller abschmelzen als erwartet.

Kolbert fuhr mit einem Geophysiker durch die Weiten Alaskas, dessen Böden überall wie morscher Dielenboden einbrechen: Der Permafrostboden ist durchsetzt von Eiskeilen, die bis zu hundert Meter mächtig sein können.

Da er langsam auftaut, öffnen sich erdbebengroße Risse in den Straßen, Häuser brechen ein, ganze Wälder sehen aus, als seien die Bäume betrunken. Das ist schlecht für die Immobilienpreise und für die Autofahrer. Noch viel schlechter aber ist, dass sich abgestorbene Pflanzen, die seit Jahrtausenden in den Frostböden konserviert wurden, zersetzen.

450 Milliarden Tonnen Kohlenstoff sind in den Permafrostböden gespeichert. "Es ist wie bei einem Fertiggericht, man erhitzt es leicht, und schon fängt es an zu kochen", sagt der Geophysiker, während er mit Kolbert durch die zerlöcherte Tundra schunkelt.

Klimanomaden auf den Kanaren

Viele Klimabücher enden nach rundum apokalyptischem Panorama mit einem überraschenden Kapitel, in dem die Vernunft Hand in Hand mit einem so unerschütterlichen wie kiefermahlend muskulösen Idealismus plötzlich doch noch alles regelt.

Bei Flannery und Kolbert wird gar nichts mehr gut. Flannery, in dieser Hinsicht ganz dem angelsächsischen Pragmatismus verhaftet, gibt zwar Ratschläge für den Einzelnen (Ökostrom, sparsame Autos) und erwägt Alternativenergien. Aber er belügt seine Leser nicht, indem er ein Happy End hintendraufsattelt. Wie auch?

2003 beauftragte das Pentagon zwei amerikanische Wissenschaftler herauszufinden, was es für die Sicherheit der USA bedeuten würde, wenn der Golfstrom versiegen würde. Das Szenario erinnert in seiner Drastik an Emmerichs Klimaschocker, nur ohne dessen lächerliches Happy End: Zerfall ganzer Gesellschaften, Völkerwanderungen, Kriege.

Das Deprimierendste an der Studie aber ist, dass die Wissenschaftler der US-Regierung sieben Vorschläge unterbreiten, wie sie sich auf solche Eventualitäten vorbereiten könne. "Unglaublicherweise", so Flannery, "vergaßen sie die Option zu erwähnen, die am Kern des Problems ansetzt: die Verwendung fossiler Brennstoffe zu reduzieren."

Wer glaubt, diese Ignoranzsei typisch amerikanisch, der sehe sich den dramatischen Appell an, mit dem sich die südlichen EU-Staaten erst vorgestern an den Rest der EU wandten: Wegen des wachsenden Zustroms aus Afrika bräuchten sie dringend Hilfe.

Meere entwickelten sich zu Massengräbern. Die Regierungen drängen auf politische Lösungen, mehr Küstenwache, Gesetze gegen Schwarzarbeit. Sicher richtig. Aber dass die meisten der Migranten wegen wachsender Wüsten aus ihren Ländern fliehen, wurde dabei nicht erwähnt.

Flannery erklärt mit kühler Präzision, wie sich in den sechziger Jahren wegen steigender Oberflächentemperaturen im Indischen Ozean der Monsunregen für die Sahelzone abschwächte. Die bis heute anhaltende Dürreperiode begann, die viele der einstigen Bauern seither dazu verflucht, wieder ziellos umherzuziehen, wie damals, vor dem kurzen Sommer, in dem der Mensch sich auf der Erde heimisch fühlen durfte.

TIM FLANNERY: Wir Wettermacher. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006. 397 Seiten, 19,90 Euro.

ELIZABETH KOLBERT: Vor uns die Sintflut - Depeschen von der Klimafront. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Berlin Verlag, Berlin 2006. 222 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 26.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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