Klimaveränderung:Das Spiel mit Feuer, Wasser, Erde und Luft

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Die Berechnungen der Klimamodelle sind zu komplex für exakte Prognosen, aber an den Risiken des Treibhauseffekts ist immer weniger zu deuteln.

Martin Urban

(SZ vom 22.06.2001) - Der amerikanische Präsident George W. Bush gab sich ahnungslos. Vor dem Abflug zu seiner ersten Europareise behauptete er, die im Protokoll von Kyoto festgelegten Ziele zum Schutz vor einer menschengemachten Klimakatastrophe seien "willkürlich und nicht wissenschaftlich begründet".

Im Hochwasser: Der 89-jährige Toribio Galo trägt seine Habseligkeiten durch die Fluten - der Hurrican "Keith" war im Oktober 2000 über die nicaraguanische Hauptstadt Managua gerast. (Foto: N/A)

Dummerweise hatte das Weiße Haus wenige Tage zuvor auf eine Anfrage an die Nationale Akademie der Wissenschaften hin genau das Gegenteil erfahren.

Denken der Wissenschaftsgemeinde wiedergegeben

Die Prognosen des International Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen gäben "das gegenwärtige Denken der Wissenschaftsgemeinde genau wieder", so der Leiter der elfköpfigen Expertenkommission der Akademie, Ralph Cicerone: "Wir wissen, dass sich Treibhausgase in der Erdatmosphäre sammeln und zu einem Anstieg der Temperaturen führen."

Das IPCC rechnet bei unvermindertem Ausstoß klimarelevanter Gase in diesem Jahrhundert mit einem globalen mittleren Temperaturanstieg zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius. Der Ausstoß der Klimagase ist nicht nur unverändert stark, sondern er steigt sogar weltweit an.

Bericht ohne politische Zensur

Grundlage der Arbeit des 1988 gegründeten Panels sind die Untersuchungen international anerkannter Wissenschaftler, deren Publikationen einem mehrstufigen Peer-Review- (jeweils durch unabhängige Gutachter geprüften)Verfahren unterzogen werden.

Die IPCC-Berichte unterliegen keiner politischen Zensur, wohl aber werden die Zusammenfassungen von Regierungsvertretern redigiert. Dies hat aber nach Erfahrungen der deutschen Experten bisher zu keinen Verzerrungen geführt.

Temperaturanstieg höher als bislang angenommen

1995 noch rechnete das IPCC mit einem Temperaturanstieg zwischen 1,0 und 3,5 Grad Celsius. Mittlerweile werden weitere Effekte berücksichtigt, die zuvor in den komplizierten Klimamodellen nicht beachtet werden konnten. Zum Beispiel die Tatsache, dass bei höheren Temperaturen Mikroorganismen mehr Kohlenstoff zersetzen, der im Boden gebunden ist und als Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Dadurch verstärkt sich der Treibhauseffekt.

Die große Spannweite möglicher Temperaturanstiege hat auch damit zu tun, dass man den Einfluss des Wasserdampfs in der Atmosphäre auf das Klima bei Abfassung des jüngsten IPCC-Berichts zwar vermutete, aber noch nicht berechnen konnte.

Wasserdampf in der Stratosphäre nimmt zu

Nunmehr belegen Untersuchungen, an denen das Forschungszentrum Jülich beteiligt ist, dass die Konzentration von Wasserdampf in der Stratosphäre - in 12 bis 50 Kilometern Höhe - in den letzten 45 Jahren um jährlich etwa ein Prozent zunimmt.

Das bedeutet eine Abkühlung in der Stratosphäre, aber eine Temperaturzunahme in der darunter liegenden, bis zum Erdboden reichenden Troposphäre. Konsequenz: Der Treibhauseffekt wird dadurch noch einmal so stark beeinflusst wie durch den Anstieg von Kohlendioxid.

Das Wasser kommt einerseits aus den sich erwärmenden tropischen Ozeanen, andererseits entsteht es durch Oxidation von Methan. Dieses auch direkt klimawirksame Gas entweicht ungenutzt aus den Erdöllagerstätten und kommt andererseits aus der Landwirtschaft.

Bei Errechnung des Minimalwertes für einen globalen Temperaturanstieg von 1,4Grad Celsius haben die Klimaforscher den Wasserdampfeffekt nicht berücksichtigt. Entsprechend stärker wird die tatsächliche Erwärmung ausfallen.

Anpassung an ein zehntel Grad im Jahrzehnt

Der globale Temperatur-Jahresmittelwert, mit dem die Experten rechnen, ist eine Größe, mit der der Laie nichts anfangen kann. Sie wird anschaulicher, wenn man weiß, das sich in den letzten paar Millionen Jahren trotz Eis- und Warmzeiten die globalen Temperaturen noch nie um mehr als fünf Grad Celsius nach oben oder unten verschoben haben. Tiere und Pflanzen können sich nach heutigem Wissen an Erwärmungen von maximal einem zehntel Grad im Jahrzehnt anpassen.

Im letzten Jahrhundert hat sich die Erde bereits um das gerade noch tolerierte eine Grad Celsius wärmt. Klimaforscher müssen das höchst komplexe Zusammenspiel des Feuers und den damit verbundenen Abgasemissionen mit Wasser, Luft und Erde in ihren Berechnungen berücksichtigen.

Extrem komplizierte Verhältnisse

Allein die Verhältnisse in den Ozeanen sind extrem kompliziert. Wasser ist ein sehr viel besserer Wärmespeicher als Luft. In den vergangenen 45 Jahren haben nach jüngsten Berechnungen einer Forschergruppe vom National Oceanographic Data Center in Siver Spring (USA) die Weltmeere 30 Mal so viel Energie aufgenommen wie die Atmosphäre.

Dabei erwärmten sich der Pazifik, der Indische Ozean und der Atlantik in den oberen 3000 Metern durchschnittlich um rund sechs hundertstel Grad Celsius. Doch diese Erwärmung verlief nicht kontinuierlich.

Zeitweise gaben die Meere auch mehr Wärme ab, als sie aufnahmen. Je nachdem, wie stark infolge von Strömungen auch die tieferen Meeresschichten mit Warmwasser durchmischt werden, wird die Meeresoberfläche wärmer oder weniger warm. Der Atlantik zum Beispiel erwärmt sich mehr als der Pazifik. Schlussfolgerung der Forscher: Die Beobachtungen in den Meeren lassen sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass die natürlichen Schwankungen von einer menschengemachten globalen Erwärmung überlagert sind.

Prognosen über regionalen Klimaveränderungen nicht möglich

Die heutigen Klimamodelle der Forscher sind allerdings nicht genau genug, um verlässliche Prognosen über regionale Klimaveränderungen zu machen oder über das Auftreten von Extremereignissen.

Das Klimasystem folgt keiner linearen Dynamik. Das heißt, es kann nicht nur zu schleichenden Veränderungen in einer Richtung kommen, an die sich die Menschheit und die Natur zur Not anpassen könnten.

Vielmehr sind dramatische Entwicklungen möglich. Zum Beispiel könnten sich Meeresströmungen wie der Golfstrom verschieben. Riesige Mengen an Treibhausgasen würden zusätzlich freigesetzt, wenn der sibirische Dauerfrostboden plötzlich auftauen würde.

Es wäre extrem leichtfertig zu glauben, die Menschheit könne die möglichen Veränderungen in jedem Fall beherrschen.

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