Klimaschutz in Europa:Tonnenweise Geld, tonnenweise Streit

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Bisher lebten deutsche Firmen gut mit dem Emissionshandel. Doch EU-Umweltkommissar Dimas will Berlin zu mehr Ambitionen zwingen - und schon ist der Großkonflikt mit der Industrie da.

Michael Bauchmüller

Diesmal sollte der "Großkonflikt" ausbleiben. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wollte die neuen deutschen Klimaschutzpläne geräuschlos durchbringen, mit feiner Diplomatie. Mit einem fein austarierten System von Zückerlein und Zumutungen.

(Foto: Foto: AP)

Doch das ist vorbei. In Brüssel hat Umweltkomissar Stavros Dimas damit Schluss gemacht, er will Berlin zu mehr Ambitionen zwingen - und schon ist der Großkonflikt mit der Industrie da.

Emissionshandel, das ist im Grunde die Kunst, einem Gut einen Preis zu geben, das eigentlich keiner will. Wer im großen Stil klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft ausstoßen möchte, darf das nur, wenn er auch die entsprechenden "Emissionsrechte" besitzt.

Deren Menge ist aber streng limitiert. Braucht eine Firma mehr, muss sie die Zertifikate anderen abkaufen. Deshalb haben Emissionsrechte einen Preis: derzeit 6,50 Euro für eine Tonne CO2. Und deshalb sind Emissionsrechte begehrt: Jährlich vergibt der Bund derzeit kostenlos Rechte über knapp 500 Millionen Tonnen - also mehr als drei Milliarden Euro.

Von 2008 an sollte es nur noch Rechte über 482 Millionen Tonnen geben, handelten Regierung und Unternehmen aus. Später legte Gabriel nach, senkte noch einmal auf 465 Millionen Tonnen. Da war schon klar, dass das der Kommission nicht reichen würde: Sie will den Deutschen nur 453 Millionen Tonnen gönnen, entsprechend knapper würden vor allem Stromunternehmen bedacht.

15 Manager deutscher Konzerne waren sich am Wochenende einig: Diese Verschlechterungen stellten "einen massiven Vertrauensbruch der Politik gegenüber den Unternehmen dar", schrieben sie Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit "massiven Konsequenzen auch für Arbeit und Wertschöpfung am Standort Deutschland" sei zu rechnen. Investitionen in Milliardenhöhe, vor allem in neue Kraftwerke, seien nun in Gefahr, drohten die Bosse.

Reichlich Zertifikate, teurer Strom

Damit ist die Politik wieder da angelangt, wo sie vor zweieinhalb Jahren schon einmal war. Damals wurde die Testphase des Emissionshandels in Deutschland ausgehandelt, ganz zum Schluss im kleinsten Kreis im Kanzleramt.

Am Ende hatten sich die Unternehmen weitgehend durchgesetzt: Sie bekamen zwar Zertifikate über knapp 500 Millionen Tonnen, brauchten aber letztlich nur 477. Den Rest konnten sie verkaufen. Obendrein erhöhten die Stromunternehmen noch den Strompreis - wegen der Emissionsrechte, die sie in ihre Preise einkalkulieren konnten.

"Ich habe den Eindruck, dass sich jetzt die Geschichte wiederholt", sagt der einstige Staatssekretär Rainer Baake, der damals auf Seiten des Umweltministeriums die deutschen Klimapläne mit aushandelte.

An diesem Mittwoch könnte das Bundeskabinett nun einen neuen, nachgebesserten Plan verabschieden, einen Kompromiss zwischen Berlin und Brüssel. Doch die Verhandlungen mit der EU gestalten sich offenbar schwieriger als gedacht. Beide Seiten beharren auf ihren Berechnungen.

Brüssel habe "Geheimwissenschaft" betrieben, sagt Gabriel jetzt, habe seine Berechnungsgrundlagen nachträglich verändert und dies nicht öffentlich gemacht. "Es geht um eine sehr prinzipielle Auseinandersetzung", sagt Gabriel. Einigung noch in dieser Woche? Fraglich.

Merkel unter Druck

Die Bundesregierung steht unter enormem Zeitdruck. In knapp zwei Wochen übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft in der EU - und will dann den Klimaschutz vorantreiben. Einen Streit mit Brüssel kann

Merkel sich nicht leisten, und schon gar keine Klage gegen Dimas' Entscheidung: Die würde den Emissionshandel in Deutschland komplett außer Kraft setzen. Dann könnte das Klima-Musterland Deutschland nicht einmal mehr seine internationalen Zusagen einhalten. Nachzugeben kann sich Deutschland weniger leisten als die EU.

Doch es geht nicht nur um Milliarden. Es geht darum, ob Deutschland mit dem Klimaschutz ernst machen will. Dazu nämlich müsste sich auch die Struktur der deutschen Energieversorgung ändern, verantwortlich für drei Viertel der Industrie-Emissionen. Das könnte die heimische, aber klimaschädliche Braunkohle bedrohen, zugunsten emissionsärmerer Brennstoffe und Technologien.

Doch in ihren bisherigen Klimaplänen ließ die Bundesregierung davon nicht viel merken. Wer zum Beispiel ein altes Braunkohlekraftwerk durch ein neues ersetzte, erhielt 14 Jahre lang Emissionsrechte satt.

Das sollte zum Neubau effizienterer Kraftwerke reizen - es zementierte aber auch den deutschen Strommix, in dem die Braunkohle ein Viertel ausmacht. Aber Brüssel spielte nicht mit.

Nun plant der Bund Regeln, die den Stand der Technik zum Maßstab für alle Kraftwerke machen - und wieder wird kräftig hin und her geschoben, werden Pläne ausgeheckt, die vor allem die großen deutschen Stromerzeuger schonen. "Alles läuft wieder darauf hinaus, aus dem Emissionshandel den Motor auszubauen", sagt Baake, heute Chef der Umwelthilfe. Wäre ja nicht das erste Mal.

© SZ vom 20.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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