Katalin Karikó:Die Beharrliche

April 23, 2021, Philadelphia, Pennsylvania, USA - File Photo: March 8, 2021, Philadelphia, Pennsylvania, USA - Dr. KATAL

Katalin Karikó wird für den Nobelpreis gehandelt. Schon seit den 80er-Jahren forscht die Ungarin an mRNA-Impfstoffen.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Die ungarische Biochemikerin arbeitet für Biontech in Mainz.

Von Hanno Charisius

Die Arbeit von Forscherinnen und Forschern findet nicht nur im Labor statt. Ideen kommen auch ihnen auf dem Fahrrad, unter der Dusche, beim Einkaufen. Sie lesen nach, was Kollegen in den Fachjournalen berichten. Mitunter stehen sie auch noch vorm Fotokopierer oder am Lesegerät für Mikrofilme, wenn sie nach ganz alter Literatur suchen.

Dort stand auch Katalin Karikó im Jahr 1997 in der Bibliothek der University of Pennsylvania und wartete darauf, dass der Mann vor ihr endlich fertig wurde mit seiner Recherche. Es war der Biochemiker Drew Weissman, der Zellen des Immunsystems erforschte. Die beiden kamen ins Gespräch, sie einigten sich auf ein gemeinsames Experiment. Nach acht Jahren der Zusammenarbeit machten sie eine Entdeckung, die heute vielen Fachleuten nobelpreiswürdig erscheint.

Die ungarische Biochemikerin Karikó begann ihre Laufbahn an der Universität Szeged. Bereits damals interessierte sie sich für RNA, ein Schwestermolekül der Erbsubstanz DNA. Ein schwieriges Forschungsobjekt: Das Molekül ist kurzlebig und zerbrechlich, wer damit arbeitet, muss pingeligste Sauberkeit halten. Ein Fehler, und die Ausbeute vieler Arbeitstage ist zerstört. Über vier Jahrzehnte bewahrte Karikó ihre Begeisterung für ihre Idee, kranke Körper per RNA-Therapie zu heilen. Heute arbeitet sie für Biontech in Mainz, jenem Unternehmen, das in Kooperation mit dem amerikanischen Pharmariesen Pfizer den ersten Corona-Impfstoff auf den Markt gebracht hat.

Die Hoffnung auf eine Professur hatte sie bereits aufgegeben. Dann traf sie einen Kollegen

Der Weg dorthin war alles andere als geradlinig. 1985 zog sie mit ihrem Ehemann und Tochter Susan Francia, die später zwei Mal olympisches Gold im Rudern gewann, von Ungarn in die USA. Sie forschte zunächst an der Temple University in Philadelphia und wechselte 1989 an die University of Pennsylvania. Der wissenschaftliche Erfolg wollte sich nicht einstellen, und die Universität ihr bald kein Geld mehr geben. Die Hoffnung auf eine Professur hatte sie bereits aufgeben müssen, als sie Drew Weissman in der Bibliothek traf.

Sie beschlossen, ihre mRNA unter seine Immunzellen zu mischen. Das Ergebnis war katastrophal. Die Zellen reagierten mit einer brutalen Abwehrschlacht auf die RNA-Moleküle, die Bauanweisungen liefern sollten, nach denen die Zellen Proteine herstellen. Proteinersatztherapie wird dieses Konzept genannt, bei dem der Körper von außen die Bauanleitung für Stoffe bekommt, die er sonst nicht herstellen könnte.

Nach acht Jahren Arbeit, "Schulter an Schulter", wie Weissman sagt, entdeckten die beiden einen Trick, um die Immunzellen davon abzuhalten, wie wild auf die zugefügten mRNA-Moleküle zu reagieren. Durch die chemische Veränderung eines RNA-Bausteins gaukelten die beiden Forscher der Immunabwehr vor, dass die zugefügte mRNA nichts Fremdes mehr ist, das angegriffen werden muss. "Es war, als wurde ein Traum wahr", sagte Karikó kürzlich der Financial Times.

Nur wenn die Immunabwehr die Bauanweisungen im RNA-Molekül nicht zerstört, bevor der Körper sie umsetzen kann, kann eine Therapie oder Impfung mit RNA funktionieren. Zunächst erregte die Entdeckung wenig Aufmerksamkeit. Doch im Jahr 2010 gründete der Stammzell-Biologe Derrick Rossi zusammen mit weiteren Forschern das Unternehmen Moderna, das seither auf die neue mRNA-Technologie setzt. Auch das Mainzer Unternehmen Biontech erkannte das Potenzial und engagierte Karikó, die weiterhin tut, was sie am liebsten macht: forschen.

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