Kampf gegen HIV:Auf Hoffnung geimpft

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Bis heute ist noch niemandem die Entwicklung eines Aids-Impfstoffs gelungen. Jetzt haben Wissenschaftler einen Etappensieg errungen: Die langersehnte Spritze könnte demnach aus Regensburg kommen.

Christina Berndt

Alle hatten damals Angst. Auch die Bundesregierung. Als vor 25 Jahren eine neue Geschlechtskrankheit namens Aids um sich griff, ging die Sorge um, sie könnte sich auch in reichen Ländern blitzartig ausbreiten. Schließlich war zunächst noch unklar, ob sich Menschen nicht sogar beim Küssen anstecken.

Elektronenmikroskopische Aufnahme zweier HI-Viren. (Foto: Foto: Reuters/CDC)

Das Bundesforschungsministerium entschied damals rasch, wer in der Not helfen sollte: Hans Wolf aus Regensburg. Der Professor für Virologie hatte reichlich Erfahrungen mit aggressiven Erregern gesammelt.

Als Erstem weltweit war es ihm gelungen, gegen das hartnäckige Epstein-Barr-Virus, das Krebs auslösen kann, einen Impfstoff zu entwickeln. Genau das, baten ihn Vertreter des Ministeriums bei einem Besuch im Jahr 1985, solle er bitte auch gegen das jüngst entdeckte Aids-Virus tun.

Was damals niemand wusste: HIV ist besonders hartnäckig, wenn es ums Impfen geht. Das Virus ist so wandlungsfähig, dass es dem Immunsystem immer wieder entkommt. Direkt nach der Entdeckung des Aids-Erregers im Jahr 1984 verkündete die damalige US-Gesundheitsministerin Margaret Heckler während einer Pressekonferenz, dass in zwei Jahren gewiss eine Impfung zur Verfügung stehen werde. Sie hat sich schwer getäuscht. Bis heute ist noch niemandem die Entwicklung eines Aids-Impfstoffs gelungen.

Vom Virus zum Narren gehalten

Auch Hans Wolf hat gedacht, dass es leichter wäre. Seit er sich mit HIV beschäftigt, hat ihn das Virus immer wieder zum Narren gehalten. Doch nun konnte Wolf gemeinsam mit seinem Kollegen Ralf Wagner einen Etappensieg erringen: Ihr Impfstoff, den die Forscher NYVAC-C tauften, hat in einer ersten klinischen Studie an 40 gesunden Freiwilligen in Lausanne und London die Feuertaufe bestanden ( Journal of Experimental Medicine, Bd.205, S.63, 2008).

Der Impfstoff scheint nicht nur sicher und verträglich zu sein. Er hat zudem bei den allermeisten Testpersonen eine Immunantwort ausgelöst, die sich sehen lassen kann. Wenn sich die Geimpften eines Tages mit HIV infizieren, wäre ihre körpereigene Abwehr dadurch womöglich schon auf das Virus vorbereitet und könnte es unschädlich machen, bevor es die Immunschwäche auslöst.

Bei zehn Prozent der Geimpften zeigten sich zumindest schwache Effekte. "Kein Proband war negativ, alle haben reagiert", freut sich Wolf. Mehr als ein Jahr lang blieben die Immun-Reaktionen bestehen.

Mit Schwung gehen die Forscher daher in die nächste Runde. Die Folgestudie hat gerade begonnen. Nun lassen sich auch in Regensburg 20 gesunde Freiwillige den Impfstoff spritzen. Was dabei in ihrem Blut passiert, soll weiter Aufschluss darüber geben, wie potent der Impfstoff ist. Im Sommer soll dann eine Studie in Afrika starten; schließlich wird eine Impfung dort dringend gebraucht, und sie muss auch an den dortigen Menschen getestet werden.

"Dass das Immunsystem bei unseren Probanden so schön reagiert hat, bedeutet allerdings noch nicht, dass es HIV auch besiegen kann", räumt Wolf ein. Das lasse sich erst in Tests an Personen zeigen, die wegen ihres Lebensumfelds ein hohes Ansteckungsrisiko haben.

Wenn sich etwa in den stark durchseuchten Gegenden Afrikas von einer Gruppe geimpfter Menschen weniger infizieren als von einer nicht geimpften Kontrollgruppe. "Bis heute weiß kein Mensch, welche Immunreaktionen wirklich schützen", sagt Wolf.

Wie es weitergeht, ist nach all den Jahren Arbeit und trotz der aktuellen Zwischenerfolge offen. Jeden Tag kann die Enttäuschung kommen. Erst vor kurzem haben andere Impfstoffforscher vom Pharmakonzern MSD noch auf der letzten Etappe einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Alles sah hervorragend aus, es liefen bereits klinische Studien der letzten Phase in Afrika.

Da zeigte sich plötzlich: Der Impfstoff schützt keineswegs vor Aids; womöglich steigert er sogar das Ansteckungsrisiko. "Über die Gründe kann man nur spekulieren", sagt Hans Wolf. "Aber uns lehrt das, noch genauer hinzuschauen."

Helfer- und Killerzellen

Das ganze Projekt ist ein Kraftakt. Hans Wolf hat 20 Forschergruppen in sieben europäischen Ländern dazu gebracht, ihm zu helfen; finanziert werden die Arbeiten von der EU.

Öffentliche Hilfe ist auch nötig. Denn mit diesem Impfstoff wird wohl kein Geld zu verdienen sein. Während die neuen Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs gerade die Krankenkassen leeren, interessiert sich kaum ein Pharmakonzern für einen Schutz vor HIV. Wer einen entwickelt, muss ihn wohl ohnehin billig abgeben - aus humanitären Gründen. Schließlich breitet sich Aids immer noch mit rasendem Tempo über den Erdball aus, treibt Menschen in Armut und Tod und macht Kinder zu Waisen.

Zugleich gibt es nur eine Chance, die Aids-Epidemie in Schach zu halten: eben einen Impfstoff, da sind sich Experten einig. Dies sei "der einzige langfristig erfolgversprechende Weg gegen diese schlimmste medizinische Katastrophe der Neuzeit", sagt Reinhard Kurth, bis vor kurzem Chef des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Doch alle gesundheitspolitischen Appelle haben die Forschung nicht leichter gemacht.

Umso glücklicher ist Hans Wolf jetzt. Schließlich musste auch er mühsam lernen, wie machtlos der menschliche Körper gegen HIV ist. Eine Impfung mit abgeschwächten Viren, wie sie bei vielen anderen Infektionskrankheiten möglich ist, taugt nichts. Der Körper bemerkt diesen Feind offenbar kaum. "Das Aids-Virus ist ein leises Virus", sagt Wolf. "Es ruft zwar kurzzeitig Symptome wie bei einer Grippe hervor, aber es spornt das Immunsystem nicht zu Höchstleistungen an."

Also nutzt das Regensburger Team um Wolf und Wagner aus, dass andere Viren die Abwehrkräfte des Körpers sehr wohl mobilisieren können. Eine Mischung aus abgeschwächten Pockenviren und HIV-Genen soll das Immunsystem gegen den Aids-Erreger trainieren. Wolf: "Wir haben ein leises Virus so verändert, dass es das Immunsystem nun förmlich anbrüllt: höchste Gefahr!"

Der neue Impfstoff kämpft an allen Fronten. Er soll sowohl dafür sorgen, dass das Immunsystem Antikörper herstellt, wie das bei den meisten Impfungen der Fall ist; aber er soll auch die Helfer- und Killer-Zellen sowie die ganz ursprünglichen Teile des Immunsystems gegen den Aids-Erreger aufhetzen.

Die Antikörper könnten - zumindest theoretisch - die Infektion des Geimpften mit HIV verhindern; die Helfer- und Killer-Zellen könnten noch dazu gemeinsam mit dem Immunsystem das Fortschreiten der Aids-Erkrankung unterbinden.

Dieser zweite Part ist wichtig, denn es gab bereits zahlreiche Versuche mit Impfstoffen, die es ausschließlich zu einer Antikörper-Reaktion gebracht haben. "Aber in der Praxis haben sie versagt", sagt Wolf. Das ist gar nicht so erstaunlich; auch die allermeisten Patienten bilden Antikörper, wenn das HI-Virus sie befallen hat. Nützen tut das den Wenigsten: Ihr Immunsystem kriegt den Erreger trotzdem nicht klein.

Einen fast sicheren Schutz, wie ihn andere Impfstoffe bieten, erwartet bei Aids deshalb niemand mehr. "Wir würden schon einen 30-prozentigen Schutz als Erfolg verbuchen", sagt Reinhard Kurth. Hans Wolf hat in all den Jahren seines Kampfes gegen HIV noch mehr Bescheidenheit gelernt: "Wir sind für jeden Effekt dankbar", sagt er. "Das ist wie bei einer Schwangerschaft. Ob es ein Bub wird oder ein Mädchen, kann man eben nicht voraussagen."

© SZ vom 25.03.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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