Kampf gegen den Krebs:"Jetzt beginnt eine neue Ära"

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Mediziner rechnen mit mehr Erkrankungen und damit, dass sich die Überlebenschancen dank neuer Medikamente verbessern.

Christina Berndt

Es sind zwei widersprüchliche Botschaften, die vom Deutschen Krebskongress ausgehen werden, der an diesem Mittwoch in Berlin beginnt. Die eine lautet: Das Problem Krebs wird größer werden, denn die Zahl der Erkrankungen wird in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen - Schätzungen zufolge um bis zu 50 Prozent.

Krebszelle (Foto: Foto: Archiv)

Doch die andere Botschaft verspricht: Das Leid, das der Krebs verursacht, nimmt trotzdem eher ab. Denn schon heute lassen sich viele Tumorleiden recht gut behandeln. Der tödliche Verlauf lässt sich häufig aufhalten und den Krebs in ein chronisches Leiden verwandeln, das den Patienten ähnlich wie die Zuckerkrankheit begleitet; mitunter ist es sogar ganz zu heilen. Viele Forscher sind zuversichtlich, dass im Kampf gegen den Krebs in den nächsten Jahren viele Erfolge gefeiert werden.

"Die Krebsszene befindet sich in einer Aufbruchstimmung", sagt Christof von Kalle, der Leiter des neu gegründeten Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. Die steigende Zahl der Krebserkrankungen sei vor allem ein statistischer Effekt. Weil die Menschen länger leben, bekommen auch mehr von ihnen Krebs. Die Krankheit, bei der Zellen des Körpers unkontrolliert zu wuchern beginnen, sei nun einmal in den allermeisten Fällen eine Alterserscheinung, betont der Onkologe.

Neue Chemotherapien

Der Aufwind in der Krebsforschung kommt vor allem mit neuen Einsichten in die Genetik und Zellbiologie der Tumore. "In den vergangenen Jahren konnten wir viele Erkenntnisse darüber gewinnen, was bei den Krebszellen anders ist", sagt Kalle. Auf dieser Grundlage lassen sich neuartige Medikamente entwickeln, die - anders als die Keulen der Chemotherapie - zielgerichtet die Störstellen in den Krebszellen angreifen. Erste Beispiele dafür gibt es schon, und Kalle ist sich sicher, dass weitere folgen werden: "Jetzt beginnt eine neue Ära".

Welchen Schwung die neuen Medikamente genau in die Krebsforschung gebracht haben, kann Hermann Brenner dem Krebsregister des Saarlandes entnehmen, wo seit Jahrzehnten alle neuen Tumorfälle notiert werden. Demnach haben sich die Überlebensraten der Krebspatienten insgesamt in den vergangenen 25 Jahren deutlich verbessert, sagt der Leiter der Epidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Wer 1980 an Krebs erkrankte, hatte eine Chance von gut 40 Prozent, nach fünf Jahren noch zu leben. "Heute leben mehr als 55 Prozent der Patienten noch mindestens fünf Jahre", so Brenner.

Dazu hat zweifelsohne auch die Chemotherapie beigetragen, die häufig schwere Nebenwirkungen mit sich bringt. Doch Forscher haben die alten Mittel neu kombiniert und auch neue Zellgifte entwickelt, so dass die Chemotherapie inzwischen nicht nur sanfter, sondern auch effektiver geworden ist.

Besonders gute Therapieerfolge gab es Brenners Daten zufolge in den vergangenen zehn Jahren bei Brust- und Darmkrebs, solange diese noch keine Metastasen gebildet haben. Auch manche Formen von Blutkrebs und Hodenkrebs lassen sich sehr häufig heilen. Zu den Sorgenkindern gehören dagegen immer noch Patienten mit Lungenkrebs - auch wenn ihre Chancen ebenfalls größer sind als vor 20 Jahren.

Auffällig ist, dass die Überlebenschancen aller Patienten besonders stark in der jüngsten Vergangenheit gewachsen sind. Das sei vor allem einer verbesserten Diagnostik und den neuen Therapieansätzen aus Genetik und Zellbiologie zu verdanken, sagt Epidemiologe Hermann Brenner. Hoffnungsträger unter den neuen Arzneimitteln sind vor allem die Antikörper. Bei diesen Eiweißstoffen handelt es sich um hochpotente Waffen des Immunsystems, die sich gezielt an jene Strukturen heften, gegen die sie sich richten.

So können sie gezielt in jene Stoffwechselwege in den Tumorzellen eingreifen, über die diese ihr Wachstum vorantreiben. Welche zerstörerische Kraft den Antikörpern innewohnt, hat vergangene Woche jener Arzneimitteltest auf grausame Weise gezeigt, bei dem ein viel versprechendes, neues Medikament gegen Leukämie sechs Versuchspersonen in Lebensgefahr brachte. Ähnliche Antikörper wie der in London getestete TGN1412 haben aber bereits vielen Patienten geholfen: Rituximab gegen Lymphome zum Beispiel, Herceptin gegen manche Formen von Brustkrebs oder Avastin gegen Darmkrebs.

Verhundertfachung der Kosten?

Weil die Antikörper so zielgerichtet arbeiten, wirken sie immer nur bei einem Teil der Patienten. Es ist aber eben diese individualisierte Medizin, auf die Krebsforscher vor allem setzen; das hat eine Umfrage des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller unter fünfzig führenden deutschen Krebsforschern ergeben. So sollen Gentests künftig vorhersagen, welche Patienten am besten auf welche Therapie ansprechen. Denn die Gentests verraten die speziellen Eigenschaften, die der Tumor eines Kranken besitzt.

Aber auch wenn es zahlreiche Innovationen in der Krebsforschung gibt: Die neuen Erkenntnisse erreichen die Kranken meist zu langsam. Zentren nach dem Vorbild der Comprehensive Cancer Centers in den USA sollen das künftig ändern. An diesem Konzept versucht sich seit Anfang 2005 das Heidelberger NCT, das sowohl eng an die Universitätsklinik angebunden ist als auch an das DKFZ.

Ein Problem sind allerdings auch die Kosten. Die neuen Therapien sind oft teuer; Antikörper zum Beispiel sind schwer herzustellen. Die Lebenserwartung bei Krebs habe sich zwar inzwischen vervierfacht, sagt deshalb der Onkologe Wolff Schmiegel vom Universitätsklinikum Bochum. Diese Lebensverlängerung gehe allerdings mit einer Verhundertfachung der Kosten einher. Alle Akteure im Gesundheitswesen müssten deshalb gemeinsam daran arbeiten, dass der medizinische Fortschritt die Patienten trotz knapper Ressourcen auch erreicht.

© Süddeutsche Zeitung vom 22. März 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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