James Webb Space Telescope:Ein neues Auge im All

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Für fünf Milliarden Dollar wird derzeit der Nachfolger für das Hubble-Weltraumteleskop entwickelt. Die Furcht vor den Kinderkrankheiten des Vorgängers baut mit.

Alexander Stirn

Fast könnte man meinen, die Mitarbeiter des Münchner Raumfahrtkonzerns Astrium hätten schon mal die Geschenke fürs nächste Weihnachtsfest verpackt. Akkurat spannt sich die silberne Folie über das unförmige Paket, keine Falte ist zu sehen. Die Kanten sind mit goldenen Bändern verstärkt, in ihnen spiegelt sich das fahle Licht der Deckenlampen. Sogar die Verpackung für den Versand des edlen Geschenks steht schon bereit. Einzig ein hübsches Schleifchen fehlt noch.

Das James Webb Space Telescope soll 2013 ins All geschossen werden. (Foto: Foto: ESA)

Es wäre auch übertrieben. Schließlich handelt es sich bei dem, was die Ingenieure mit so viel Sorgfalt und Mühe verpackt haben, um kein Präsent, sondern um eines der bedeutendsten astronomischen Instrumente der nächsten Jahrzehnte: "Nirspec" steht auf dem beigen Gestell, auf dem das Paket ruht, kurz für "Near Infrared Spectrograph". Und die Aufkleber auf der Transportbox lassen keinen Zweifel, wo das Instrument einmal eingebaut werden soll.

JWST ist dort zu lesen, die Abkürzung für das neue James Webb Space Telescope. Der Nachfolger des Hubble-Observatoriums soll zwar erst 2013 ins All abheben, doch schon heute entwickeln, montieren und testen Techniker weltweit seine bislang noch nie gebauten Komponenten.

"Die neuen Technologien werden uns ungeahnte wissenschaftliche Möglichkeiten eröffnen", sagt John Mather, wissenschaftlicher Leiter der James-Webb-Mission. Im Herbst hat der Physik-Nobelpreisträger das Projekt erstmals in München vorgestellt - und dazu gleich ein lebensgroßes Modell des Teleskops mitgebracht.

Aufgebaut im Innenhof des Deutschen Museums ist der Nachbau von der Größe eines Tennisplatzes zu einem Blickfang geworden. Besonders augenfällig: fünf Lagen mit Folie, die sich wie ein überdimensionaler Sonnenschirm aufspannen und auf denen der sechseinhalb Meter große Teleskopspiegel sitzt.

Mather schaut aus dem Fenster im ersten Stock auf sein Modell herab. "Anders als Hubble wird James Webb den Himmel im infraroten Licht betrachten", sagt er. "Deshalb muss es vom Sonnenlicht bestmöglich abgeschirmt werden." Jede Wärmequelle und somit auch jeder Sonnenstrahl würde die empfindlichen Infrarot-Detektoren stören. Erst der fünflagige Schutz verschafft den Instrumenten angenehme Arbeitsbedingungen - bei minus 235 Grad Celsius.

Die Ingenieure stellt eine solch frostige Temperatur vor enorme Herausforderungen. Beim Abkühlen ziehen sich die im warmen Labor gebauten Instrumente zusammen. Allerdings nicht gleichmäßig, je nach verwendetem Material schrumpfen die einzelnen Komponenten unterschiedlich stark. Abweichungen von weniger als einem Mikrometer können aber bereits verheerend sein. Was bei Raumtemperatur noch perfekt aufeinander abgestimmt war, passt in der Eiseskälte des Weltalls nicht mehr zusammen.

"Wir können das nur verhindern, indem wir das Instrument fast vollständig aus Keramik bauen", sagt Ralf Maurer, Nirspec-Projektleiter bei Astrium. Folglich entsteht nicht nur die fast zwei Meter lange Bodenplatte aus dem spröden Material, auch die Spiegel werden aus keramischem Siliziumkarbid gefertigt. Das zieht sich beim Abkühlen zwar auch zusammen, da aber alle Elemente aus demselben Stoff gemacht sind, verändert sich ihre relative Position nicht.

Zudem soll die extrem harte Keramik sicherstellen, dass die Kamera keine verwackelten Bilder liefert. Umgerechnet auf irdische Verhältnisse muss Nirspec eine Euro-Münze, die auf der Zugspitze in die Höhe gehalten wird, von München aus anpeilen und 10.000 Sekunden lang im Fokus halten können. "Da darf sich wirklich nichts bewegen", sagt Maurer.

Wie gut das funktioniert, kann Nirspec ab dieser Woche beweisen. Dann wird die silbrig verpackte Kamera - ein Ingenieursmodell, das fast exakt mit dem später fliegenden Instrument übereinstimmt - das Astrium-Werk im Münchner Vorort Ottobrunn verlassen und einen Häuserblock weiter gekarrt: zur Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft IABG. Dort, in einer Thermalkammer, soll die Kamera auf minus 235 Grad Celsius abgekühlt und einem Vakuum ausgesetzt werden. Ein Vorgeschmack auf die Zeit im Weltall.

Das neue Teleskop wird voraussichtlich fünf Milliarden Dollar kosten (Foto: Foto: ESA)

Auch beim eigentlichen Flugmodell gehen die Arbeiten voran: Wie auf einem Altar thront die graue Keramikplatte auf einem zwei Meter hohen Granittisch. Nach und nach befestigen Ingenieure Spiegel, Filter, Gitter. Alles spielt sich in einem Reinraum ab, pro Kubikmeter dürfen nur 30 Staubteilchen mit einer maximalen Größe von fünf Mikrometern durch die Luft schweben.

"Es ist nicht unbedingt ein angenehmes Arbeiten", sagt Maurer. Die Männer tragen weiße Overalls, die nur einen schmalen Schlitz für die Augen freilassen. Ihre Hände stecken in blauen Gummihandschuhen. Ständig weht ein kühler Wind, der jegliche Verunreinigung sofort wegblasen soll. Selbst Bleistifte sind verboten. Gelbliche Lampen tauchen die Szenerie in fahles Licht, sie verhindern, dass der Lichtkegel Staub anzieht.

Die Arbeit verlangt vollste Konzentration - und eine gute Organisation. Kurz mal vor die Türen gehen und den vergessenen Schraubenzieher holen, ist nicht drin. "Wenn jemand raus muss, ist sofort eine halbe Stunde weg", sagt Maurer. Auch ohne derartige Verzögerungen sind Fortschritte nur im Zeitraffertempo zu sehen. Bis eine Baugruppe montiert und mit Theodolit oder Lasersensor ausgerichtet ist, können Wochen vergehen.

Geduld gehört ohnehin zu den wichtigsten Tugenden von Raumfahrtingenieuren. Bis zurück in die 90er Jahre reichen die ersten Überlegungen für einen Hubble-Nachfolger. "Schnell ist den Amerikanern aber klar geworden, dass sie solch ein Projekt alleine nicht stemmen können", erinnert sich Maurer. Europa und Kanada wurden zu Partnern.

In Ottobrunn sind die ersten Studien im Jahr 2000 entstanden, Mitte 2004 machten sich die Ingenieure - im Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur Esa - dann an den Bau von Nirspec. "Seitdem versuchen wir das Limit dessen, was man mit optischen Geräten erreichen kann, immer weiter hinauszuschieben", sagt Maurer.

Das ist nötig bei all den Erwartungen, die Astronomen in ihr fünf Milliarden Dollar teures Teleskop setzen: " Hubble kann lediglich bis zu einem Zeitpunkt etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall zurückblicken", sagt John Mather. "Mit James Webb wollen wir uns dem Big Bang bis auf 300 Millionen Jahre nähern." Der dreimal so große Spiegel soll das ermöglichen, vor allem aber die Beobachtung im Infraroten: Durch die Ausdehnung des Universums ist das ultraviolette Licht der ersten Sterne und Galaxien, die zu jener Zeit entstanden sein dürften, immer weiter in den roten Bereich des Spektrums verschoben worden.

Mather hofft aber auch, mit dem Superteleskop erstmals die Atmosphäre ferner Planeten detailliert untersuchen zu können. Das geht nur mit einem Spektrografen wie Nirspec: Der zerlegt das aufgefangene Licht in seine Wellenlängen und erlaubt so Aussagen über Temperaturen und die Häufigkeit einzelner Elemente.

250.000 einzeln kontrollierbare Mikro-Verschlüsse im Innern der Kamera helfen zudem, das Licht unerwünschter Sterne auszublenden und bis zu 100 Spektren gleichzeitig aufzuzeichnen. "Nirspec wird so empfindlich sein, dass es von der Erde aus das Spektrum einer glimmenden Zigarette auf dem Mond aufnehmen könnte", sagt Maurer.

Noch gibt es einiges zu tun. Ende des Jahres wollen die Ingenieure auch die Flugvariante von Nirspec fertiggestellt haben. Ein halbes Jahr lang wird die fast 300 Kilogramm schwere Kamera dann gerüttelt, abgekühlt und elektromagnetischen Feldern ausgesetzt, bevor sie Mitte 2010 an die US-Raumfahrtbehörde Nasa geliefert werden soll.

Dort wird nochmals getestet. Erst alleine, dann am komplett zusammengeschraubten Teleskop. "Das wird sich die Nasa dieses Mal nicht nehmen lassen - nicht nach den schlechten Erfahrungen mit Hubble", sagt Maurer. Beim James-Webb-Vorgänger hatte sich erst nach dem Start gezeigt, dass der Hauptspiegel falsch geschliffen worden war und unbrauchbare Bilder lieferte. Astronauten mussten zu einer Reparatur aufbrechen.

Das wird dieses Mal ohnehin nicht möglich sein: James Webb soll eineinhalb Millionen Kilometer von der Erde entfernt im sogenannten zweiten Lagrangepunkt geparkt werden - einer Region, in der die Anziehungskräfte von Erde und Sonne so zusammenwirken, dass sich das Observatorium stets im Gleichschritt mit der Erde bewegt. Etwa einen Monat wird der Flug dorthin dauern. Dann darf nichts schief gehen.

Ralf Maurer gibt sich zuversichtlich. "Fast alles, was uns dort oben erwartet, können wir simulieren", sagt der Projektleiter. "Bis auf die Schwerelosigkeit, aber die stört Nirspec nicht so sehr." Den Rest des Teleskops allerdings schon: Um Platz in der europäischen Ariane-Rakete zu finden, die James Webb Mitte 2013 ins All transportieren soll, muss das Observatorium zusammengefaltet werden. Sogar der Hauptspiegel mit seinen 18 goldbeschichteten Beryllium-Segmenten wird an den Rändern eingeklappt. Wie gut diese Mechanik ohne Schwerkraft funktioniert, kann niemand hundertprozentig voraussagen.

Spannung dürfte also garantiert sein: Bis das Teleskop vollständig ausgepackt und Nirspec einsatzbereit ist, müssen 70 Klappmechanismen perfekt ineinandergreifen.

© SZ vom 02.04.2009beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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