Es scheint ein aussichtsloser Kampf zu sein. Seit fast acht Jahren versuchen Bund, Länder und Kommunen, die Feinstaubbelastung in Deutschland zu mindern. Doch der Erfolg von Luftreinhalte- und Aktionsplänen stellt sich lange nicht so rasch und in dem Maße ein, wie sich das die Verantwortlichen in der Politik vorstellen.
Wo die Luft wie stark verpestet ist:Der SZ-Feinstaub-Atlas
Die Gefahr ist kleiner als 0,01 Millimeter und gerade deshalb so tückisch: Feinstaub schadet der Gesundheit. Seit Jahren sind in vielen Orten Deutschlands die gemessenen Werte zu hoch. Unsere Karte zeigt, wie hoch die Feinstaubbelastung wirklich ist und welche Regionen besonders betroffen sind.
Noch immer werden, vor allem in größeren Städten und an vielbefahrenen Straßen, immens hohe Werte der gesundheitsschädlichen Mikropartikel gemessen. Tag für Tag. Trotz Umweltzone, Fahrverboten für Lkws und anderen Maßnahmen.
Und das hat gravierende Folgen. Denn die kleinen Feinstaub-Teilchen, die einen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer (0,01 Millimeter) haben, können ungehindert in den menschlichen Körper, in Atemwege, Lunge und Blutbahn gelangen und dort großen Schaden anrichten ( Details zu den gesundheitlichen Folgen ... ).
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet damit, dass ohne einschneidende Maßnahmen ab 2050 weltweit jedes Jahr etwa 3,6 Millionen Menschen an den Folgen der Feinstaubbelastung sterben - das wäre in etwa die Einwohnerzahl Berlins. Sicher, diese Zahl berücksichtigt nicht, dass die Feinstaub-Werte einer indischen Megacity wie Mumbai um ein Vielfaches höher sind als in ländlichen Gebieten wie dem Schwarzwald. Dennoch: Feinstaub ist auch in Deutschland gefährlich.
Wie hoch die Belastung höchstens sein darf, regelt die EU-Richtlinie 1999/30/EG, die laut der 22. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz zum 1. Januar 2005 in deutsches Recht übernommen wurde. Demnach darf das über einen Tag gemessene PM10-Feinstaub-Tagesmittel den Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an höchstens 35 Tagen im Jahr überschreiten.
Doch die Realität sieht anders aus. Im Jahr 2011 wurde dieser Grenzwert an Deutschlands schmutzigster Straße, dem Stuttgarter Neckartor, an 89 Tagen überschritten. 79 Überschreitungen meldete die Station in der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen. Und in Leipzig (Lützener Straße) lagen die Feinstaub-Werte an 69 Tagen über dem erlaubten Grenzwert. Dass die drei Spitzenreiter der deutschen Schmutz-Statistik keine Einzelfälle sind, zeigt der Blick auf die Jahresstatistik 2011. Die besagt: An beinahe jeder fünften der etwa 400 Messstationen wurden die Vorgaben aus Brüssel nicht eingehalten.
Zwar waren die Werte zu Beginn der Messungen im Jahr 2005 noch erschreckender. Damals meldete die Station am Stuttgarter Neckartor 187 Tage, an denen der Grenzwert überschritten wurde. Dennoch: Um die strengen Vorschriften der EU zu erfüllen, muss sich die Politik mächtig ins Zeug legen. Dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge hat sich die Feinstaubbelastung in Deutschland seit Anfang des Jahrzehnts "nicht nachweisbar verringert", sie schwanke lediglich witterungsbedingt von Jahr zu Jahr ( Weitere Infos zum Einfluss der Witterung ...).
Gelingt es jedoch dauerhaft nicht, die Feinstaub-Werte zu senken, kann ein EU-Staat vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt werden. Dieser urteilt dann, dass ein Staat die EU-Richtlinie verletzt. Werden auch später überhöhte Feinstaub-Werte gemessen, hat die EU-Kommission erneut die Möglichkeit, den EuGH anzurufen. Dann drohen Strafzahlungen, deren Höhe allerdings davon abhängig ist, wie lange die Vorgaben verletzt wurden. Klar ist allerdings auch, dass der Bund diese Strafe nicht selbst zahlen will, sondern versuchen wird, die Länder und Kommunen in die Pflicht zu nehmen, in denen die Überschreitungen gemessen wurden. Im Mai 2011 hat die Kommission bereits Frankreich wegen zu hoher PM10-Feinstaub-Werte verklagt.
"Die EU kann Strafen in Höhe von bis zu 50.000 Euro pro Überschreitungstag verhängen", sagte Gerd Osadnik, der Leiter des Gelsenkirchner Umweltreferats, kürzlich der WAZ. Für die 79 Überschreitungstage, die von der Station in der Kurt-Schumacher-Straße im Jahr 2011 übermittelt wurden, wären knapp vier Millionen Euro fällig geworden. In Stuttgart wollen Am-Neckartor-Anwohner vor Gericht wirksame Maßnahmen gegen die Feinstaub-Problematik erstreiten.
Ein besonders populärer Schritt ist die Einrichtung von Umweltzonen, in die nur Fahrzeuge mit niedrigen Abgaswerten fahren dürfen. 42 solcher Umweltzonen listet das UBA derzeit deutschlandweit auf (Stand September 2012), die meisten befinden sich in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Am 1. Oktober wird in Erfurt die 43. Umweltzone eingerichtet. Ebenfalls zum Oktober verschärft die Stadt München ihre Umweltzone ( weitere Infos ...). Dann dürfen innerhalb des Mittleren Rings nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette fahren. Auch die Innenstadt von Dinslaken ist ab Oktober für Fahrzeuge mit gelber und roter Plakette tabu.
Weitere Umweltzonen sind 2013 in Mönchengladbach sowie in mehreren baden-württembergischen Städten geplant. Doch das wird voraussichtlich nicht ausreichen. Das UBA schätzt, dass Umweltzonen die Feinstaubbelastung um bis zu zehn Prozent und 25 Überschreitungstage im Jahr senken können.
Doch wie stark leidet Deutschland tatsächlich unter dem Feinstaub? Welche Regionen sind besonders betroffen? Und welche Faktoren beeinflussen die Messergebnisse? Die SZ hat in einem Datenjournalismus-Projekt die Überschreitungswerte von mehr als 400 deutschen Messstationen aufbereitet. Eine interaktive Grafik führt auf, an welchen Punkten der vorgeschriebene Feinstaub-Grenzwert wie oft überschritten wurde.
Auf Feinstaub-Karten, die das UBA Süddeutsche.de zur Verfügung stellt, sehen Sie, wie stark die Konzentration der Mikropartikel in der Fläche ist - für jeden Tag seit dem 1. Januar 2011. Diese Grafik wird täglich mit neuen aktuellen Daten des UBA gespeist und zeigt so auch künftig, wie sich die Feinstaubbelastung in Deutschland entwickelt ( zur Karte ...).
Interaktive Programmierung: Sonja Kowarschick, Maximilian Ruppert. Grafik: Sophie Kaiser, Astrid Müller. Redaktion: Tobias Dorfer.