Wenn man heute das Wort "IQ-Test" googelt, erhält man in Bruchteilen einer Sekunde mehr als sieben Millionen Treffer: "Kostenloser IQ-Test: Sind Sie hochbegabt?"- solche Suchergebnisse finden sich zuhauf. Daher ist es nicht verwunderlich, dass IQ-Tests ihre Kritiker haben. Selbst mancher Laie zweifelt bei einer solchen Vielzahl verschiedener Tests an deren Sinn und Gültigkeit.
Tatsächlich gibt es bis heute keine einheitliche Definition, was unter Intelligenz zu verstehen ist. "Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst", behauptete bereits 1923 der US-amerikanische Psychologe Edwin Boring. Und ob sich Intelligenz überhaupt messen lässt - also die Verstandeskraft oder die kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen - an dieser Frage scheiden sich die Geister schon seit mehr als 100 Jahren.
Bereits 1904 legte der Franzose Alfred Binet den Grundstein für die heutigen Tests. Zusammen mit seinem Kollegen Théophile Simon stellte Binet für jede Altersklasse von französischen Schulkindern fünf Fragen zusammen, mit denen er erkennen wollte, ob ein Kind in seiner geistigen Entwicklung den Gleichaltrigen voraus war oder ihnen hinterherhinkte.
Die Psychologen versuchten, das "Intelligenzalter" (IA) zu messen. Konnten achtjährige Schüler zum Beispiel sogar die Aufgaben für Neunjährige lösen, so hatten sie ein höheres IA als jene, die nur die ihrem Alter entsprechenden Fragen beantworten konnten.
Vielen Fachleuten allerdings war Binets Test zu wenig aussagekräftig. Der deutsche Psychologe Wilhelm Stern entwickelte etwa zehn Jahre später deshalb die noch heute gebräuchlichen Maßeinheit des Intelligenzquotienten. Stern teilte das "Intelligenzalter" durch das Lebensalter und multiplizierte das Ergebnis mit Hundert. Der IQ war geboren.
Doch der Sinn jedes IQ-Tests, das wurde den Wissenschaftlern bald klar, steht und fällt mit den gestellten Fragen, und die hängen vom Fragesteller ab. So ging der britisch-amerikanische Psychologe Raymond Bernhard Cattell in den 1960er Jahren noch von einer fluiden, angeborenen Intelligenz sowie einer kristallinen, auf erlernten Fertigkeiten beruhenden Intelligenz aus.
20 Jahre später sprach der US-Psychologe Howard Gardner bereits von einer multiplen Intelligenz: unter anderem von der musikalischen, der logisch-mathematischen, der sprachlichen, der personalen sowie der motorischen Intelligenz. Und Theodor Adorno kritisierte bereits früh, als intelligent würden nur jene Verhaltensweisen bezeichnet, die dem jeweils "fortgeschrittensten technischen Entwicklungsstand" angemessen seien - auch dort, wo dies gar nicht erforderlich sei.
Die Vielzahl der unterschiedlichen IQ-Tests ist demnach kein Wunder. Sie beruhen auf verschiedenen Intelligenzmodellen. Deshalb kann man auch nicht von "dem IQ" sprechen. Und bei jedem Einzelnen werden die Ergebnisse von Test zu Test variieren.
Doch das spricht nicht gegen den Nutzen der Tests, wie Franzis Preckel von der Universität Trier betont. "Mängel sehe ich nicht bei den Tests selbst. Das sind nur verschiedene Methoden. Die Wahl dazwischen ist wie die Wahl zwischen einem Bleistift oder einem Kugelschreiber", erklärt die Psychologin.
"Derjenige, der den Test einsetzt, ist verantwortlich dafür, das bestmögliche Verfahren auszusuchen." Daher seien die nötigen Fachkenntnisse sowie ein abgeschlossenes Psychologie-Studium auch eine Grundvoraussetzung, um solche Tests adäquat durchzuführen.
Man darf Menschen nicht auf eine Zahl reduzieren
Auf die Messgenauigkeit der Verfahren muss dabei genauso geachtet werden wie auf ihr theoretisches Fundament. Und letztlich ist es auch wichtig zu wissen, welche Aussagen das Testergebnis zulasse und welche nicht. "Wenn jemand sagt, ein Mensch mit einem IQ von 123 sei intelligenter als ein Mensch mit einem IQ von 120 ist das natürlich Quatsch", gibt Preckel zu bedenken.
"Man darf die Leute eben nicht auf eine Zahl reduzieren ", erklärt die Psychologin. "Aber wenn man die Ergebnisse in den Lebenskontext einer Person einbettet, dann sind Intelligenztests unverzichtbar."
Ein Beispiel für einen wichtigen Einsatzbereich von Intelligenztests ist die Personalauswahl. Mit IQ-Tests ließen sich die kognitiven Fähigkeiten von Bewerbern einschätzen und Stellen von Anfang an besser besetzen. Dann entfielen auch Kosten für etwaige Nachschulungen, falls Angestellte die erhoffte Leistung nicht erbringen.
"Die Tests lassen sich nicht nur von Arbeitgebern einsetzen, die nach den Besten suchen", erklärt Preckel. "Auch der Arbeitnehmer möchte ja einen Arbeitsplatz finden, an dem er sich optimal weiterentwickeln kann. Letztlich wird dadurch auch das subjektive Wohlbefinden gefördert."
Des Weiteren könnten Intelligenztests dabei helfen, Potentiale zu entdecken, die im Alltag nicht sichtbar sind. So machten die Psychologin und ihre Kollegen bei der Normierung eines Intelligenztests eine interessante Entdeckung: "Wir haben Schüler an Realschulen, Gymnasien und Hauptschulen getestet - und auch an Hauptschulen etliche Hochbegabte gefunden", erklärt Preckel.
Gerade dass sich mit den Tests die Intelligenz eines Menschen differenziert betrachten lässt, ist ihre größte Errungenschaft. "Man kann beispielsweise zwischen Gedächtnisleistung und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung unterscheiden. Und solche Informationen sind wichtig, um geistige Stärken oder Schwächen gezielt fördern zu können", sagt die Psychologin.
Kritikern zufolge betrachten IQ-Tests die Intelligenz des Menschen allerdings noch immer nicht differenziert genug. Ihr Vorwurf: Noch immer werde ausschließlich versucht, das logische und rationale Denken eines Menschen zu bewerten, während die sogenannte emotionale Intelligenz, also zum Beispiel die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und angemessen auf sie zu reagieren und einzugehen, unbeachtet bliebe. Dabei könne auch diese Art der Intelligenz beispielsweise ein beruflicher Erfolgsfaktor sein.
Franzis Preckel ist von der Gegenüberstellung von rationalem Denken und Emotionen nicht überzeugt: "Unabhängig von Motivation und Emotion zu denken, geht gar nicht."
"Sobald ich einen Intelligenztest bearbeite, springen natürlich auch affektive Prozesse an", erklärt Preckel. Selbst wenn also nicht explizit Aufgaben gelöst werden, die auf emotionale Fähigkeiten zielen - sie werden indirekt mitgetestet.
Der Ruf, emotionale Intelligenz in die Tests einzubeziehen, sei wahrscheinlich deshalb auch so ausgeprägt, weil jeder das Gefühl habe, darüber zu verfügen. "Emotionale Intelligenz ist uns daher so sympathisch", gibt die Psychologin zu bedenken. "Die kognitive Intelligenz macht einem eher Angst, weil es da mehr um Unterschiede geht."
Mit anderen Worten, jeder befürchtet, nach einem IQ-Test dümmer dazustehen als die anderen. Dabei denkt sie oder er vielleicht einfach nur . . . anders.