HIV:Das Spiel mit der Hoffnung

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Aids-Forscher versprechen schon die Heilung, doch bisherige Therapien und Impfversuche decken diesen Optimismus nicht. Selbst bewährte Mittel verlieren oft ihre Wirksamkeit.

Werner Bartens

Die junge Frau heißt Eunice und sie ist mit HIV infiziert. Jeden Monat kommt sie zur Routineuntersuchung in die kleine Klinik am kenianischen Ufer des Victoria-Sees. Eunice antwortet einsilbig und niedergeschlagen auf die Fragen der Krankenschwestern.

In Ländern wie Kenia, in denen Polygamie häufig ist und Frauen von ihren Männern unterdrückt werden, sind Prävention, Diagnose und Therapie von Aids extrem schwierig. (Foto: ag.dpa)

Sie hat die Einnahme ihrer antiretroviralen Medikamente unterbrochen, obwohl ihr Pfleger und Ärzte eingeschärft haben, dass sie mit diesen den Ausbruch der Erkrankung hinauszögern kann. Später erfährt Donna Scurlock, die leitende Ärztin, dass Eunice die Zweitfrau eines in der Region angesehenen Mannes ist. Er hat sie geschlagen, sie hat ihn verlassen und schweren Herzens ihre Kinder zurückgelassen.

"Frauen fehlt in diesen Gemeinwesen das Ansehen und die Macht", schreibt Donna Scurlock im Fachmagazin Journal of the American Medical Association (Bd.304, S.250, 2010) über ihre Erfahrungen als amerikanische Ärztin in einer kenianischen Aids-Klinik.

"Deshalb breiten sich HIV-Infektionen in der Region immer weiter aus." Zwischen den vielen wissenschaftlichen Fachartikeln rund um den Welt-Aids-Kongress, der gerade in Wien begonnen hat, fällt Scurlocks Beitrag auf. Sie beschreibt die Schwierigkeiten der Prävention, Diagnose und Therapie von Aids in Gesellschaften, in denen Polygamie häufig ist.

Ratschläge zu Abstinenz, Treue und Kondomgebrauch erscheinen nutzlos, wenn Frauen sich zwar daran halten, sie sich ihren Männern aber nicht verweigern oder diese vom Kondom überzeugen können und wenn sie erst recht keine Kontrolle darüber haben, ob sich die Nebenfrauen ihres Mannes auch an die Gesundheitsempfehlungen der WHO halten.

Viele Rückschläge in der Aids-Bekämpfung

Vor diesem Hintergrund muss man die euphorische Ankündigung von zwei renommierten Fachleuten zurückhaltend interpretieren, die "Kontrolle und ultimatives Ende" der Aids-Pandemie als "erreichbare Ziele" beschreiben ( Jama, Bd.304, S. 350, 2010).

Der dazu notwendige Dreischritt klingt einleuchtend: Ärzte und Forscher müssten erstens nur bessere und zahlreichere antiretrovirale Therapien verfügbar machen, zweitens Infizierte heilen, so dass sie keine lebenslange Therapie mehr benötigen und drittens Neuansteckungen verhindern.

Dass die beiden Autoren Anthony Fauci und Gregory Folkers sogar von Heilung sprechen - sie benutzen mehrmals den Begriff "to cure" - erstaunt angesichts der vielen Schwierigkeiten und Rückschläge in der Aids-Bekämpfung. Es gibt zwar mehr als 30 antiretrovirale Therapien, die dazu geführt haben, dass Infizierte länger ohne Symptome bleiben und Erkrankte länger leben.

In den USA beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose nicht mehr - wie 1996 - zehn Jahre, sondern mittlerweile 22,5 Jahre. Zudem verhindern neue Medikamente oft, dass infizierte Schwangere ihr Kind anstecken.

Doch noch immer entzieht sich das HI-Virus durch permanente Veränderungen den Attacken alter wie neuer Medikamente. Wie ein Verkleidungskünstler variiert das Virus seine Hülle. Dabei verändern sich zum Leidwesen der Forscher auch die Andockstellen für Arzneimittel an der Oberfläche des Erregers, so dass bewährte Mittel plötzlich nicht mehr wirken. Die Hoffnung auf eine Therapie, die zu vollständiger Heilung führt, erscheint daher weiterhin utopisch.

Auch eine sichere und wirksame Impfung liegt wohl noch in weiter Ferne. Im Herbst 2009 wurde zwar - zunächst auf einer Pressekonferenz - von einem erfolgreichen Impfversuch in Thailand berichtet, an dem 16.000 Freiwillige teilnahmen. Als kurz darauf die Ergebnisse im angesehenen New England Journal of Medicine (Bd.361, S.2209, 2009) veröffentlicht wurden, geriet die Untersuchung jedoch wegen methodischer Mängel in die Kritik.

Dass sich in der Gruppe der Geimpften etwas weniger Probanden infiziert hatten, könnte der statistischen Auswertung der geringen Fallzahlen zufolge auch reiner Zufall sein.

Donna Scurlock fasst das Dilemma der Ärzte zusammen, die wissen, dass Eunice und ihre Nachbarn in Kenia wirksamere Waffen gegen Aids brauchen als Aufklärung und Kondome:

"Lese ich über die Impfversuche, sagt der rationale Wissenschaftler in mir, dass diese Ergebnisse bestenfalls bescheiden sind - doch der emotionale Optimist in mir applaudiert."

© SZ vom 20.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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