Gliedmaßen-Ersatz:Gesteuert mit der Kraft der Gedanken

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Wie ein natürlicher Arm lässt sich eine neue Prothese mit Gedanken bewegen. Christian Kandlbauer ist der erste Europäer, der sie angepasst bekommen hat.

Michael Frank

Ein Unfall mit Starkstrom hat das Leben von Christian Kandlbauer vor zwei Jahren dramatisch verändert. Der Österreicher verlor dabei im Herbst 2005 beide Arme vom Schultergelenk an.

Christian Kandlbauer steuert die Arm- Prothese mit seinem Willen. (Foto: Foto: AP)

"Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man fremde Hilfe beim Gang auf das WC, beim Essen und beim Waschen braucht", sagt der 20-Jährige.

Am Dienstag zeigte sich in Wien jedoch ein zuversichtlicher Christian Kandlbauer der Öffentlichkeit: Er demonstrierte den Prototyp einer vollständigen und funktionsfähigen Armprothese, die sich vom Patienten mit den Gedanken steuern lässt wie ein natürlicher Arm. "Mit der neuen Prothese kann ich im Alltag alle Sachen ohne fremde Hilfe machen", sagte Kandlbauer.

Die Wiener Filiale des deutschen Unternehmens Otto Bock hat gemeinsam mit US-Partnern diese gedankengesteuerte Armprothese entwickelt. Christian Kandlbauer ist der erste Europäer, der einen derartigen künstlichen Arm angepasst bekommen hat.

Das Gerät weckt Hoffnungen auf einen Durchbruch bei der Entwicklung künstlicher Extremitäten. Bisher einsatzbereite Prothesen, die sich mit Gedanken steuern lassen, können nur mit direkten Befehlen an einzelne mechanische Bewegungsgruppen in der Prothese bewegt werden.

Das erfordert jedoch extreme Konzentration. Ob sich ein künstlicher Muskel zusammenziehen oder entspannen soll, das muss der Prothesenträger gezielt mit einzelnen Nervenbefehlen in Gang setzen. Die Befehle können nur nacheinander gegeben werden. Mehrere Bewegungen auf einmal oder gar koordinierte Aktionen, wie sie ein natürlicher Arm ausführt, sind so nicht möglich.

Christian Kandlbauer kennt diese Mühsal, er hat auch eine weniger ausgereifte Prothese. Den neuen Kunstarm kann er aber nun bewegen, ohne in eine Art Konzentrationsstarre zu verfallen: Er kann eine komplette Bewegung mit seinen Gedanken in Gang setzten, bei der sieben Gelenke simultan gesteuert werden.

In den USA tragen inzwischen sechs Patienten ähnliche Prothesen, die jedoch weniger Bewegungen ausführen können als das Gerät Kandlbauers.

Hans Dietl, der Wiener Geschäftsführer von Otto Bock ist deshalb voller Zuversicht: "Die gedankengesteuerte Prothese ermöglicht eine intuitive Steuerung."

Nerven werden verlagert

Voraussetzung dafür, dass die Prothese ganz selbstverständlich bewegt werden kann, war eine komplizierte Operation, die von Wiener Experten des deutschen Unternehmens Otto Bock zusammen mit Wissenschaftlern in den USA entwickelt wurde.

Dabei werden die Nerven, die ursprünglich zu den amputierten Gliedmaßen führten, verlagert. Die Ärzte der Plastischen Chirurgie der Wiener Universitätskliniken verlegten die Nervenbahnen dabei in die schulternahen Muskelregionen an Brust und Rücken des Patienten.

Durch diesen Nerventransfer können Signale, die ursprünglich für die Steuerung des Arms verantwortlich waren, auch für die Steuerung der Prothese genutzt werden. Im Schaft der Prothese sind Elektroden eingearbeitet, die die Steuersignale des Patienten aufnehmen.

Eine Elektronik im Inneren der Prothese setzt die empfangenen Signale anschließend um und erkennt die gewünschte Bewegung. So steuert das Hirn den künstlichen Arm.

Die Muskelaktionen müssen jedoch ausreichend stark sein, um als Signale für den Kunstarm zu dienen. Der Patient muss dazu lange und intensiv trainieren, bis er die Prothese koordiniert bewegen kann. Jedoch ist die Prothese nur für Patienten geeignet, deren Armamputation noch nicht allzu lange zurückliegt. Denn die noch vorhandene Nerven des amputierten Arms müssen rasch mit übriggebliebenen Muskelgruppen verbunden werden.

Hartes Training

Verdrahtet: Die Prothese erkennt die gewünschte Bewegung. (Foto: Foto: Otto Bock/Michael Appelt)

Kandlbauer ist bei der Handhabung des Systems schon sehr fortgeschritten. Aber: "Das Training war am Anfang sehr hart. Es wurde aber immer leichter. Ich freue mich, dass ich heute hier sein darf. Das sind Entwicklungen, die Menschen wie mir ein Stück Lebensqualität zurückgeben." Mit wachsendem Erfolg steige auch der Ehrgeiz, die neue Prothese immer besser zu beherrschen.

In etwa drei Jahren könnte die gedankengesteuerte Arm-Prothese einschließlich des Schultergelenks reif für den Markt sein. "Die neue Prothese wird der Ersatz für das Schultergelenk, das Ellbogengelenk, das Handgelenk und für Teile der Hand sein, die unabhängig von einander bewegt werden können", sagt Projektleiter Hubert Egger. Jede noch so ausgeklügelte konventionelle Prothese und ihr Träger wären damit hoffnungslos überfordert.

© SZ vom 15.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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