Geschichte:Spur der Flammen

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Das Feuer hat seit Millionen Jahren die biologische und kulturelle Evolution des Menschen angetrieben, zugleich die Welt aus dem Lot gebracht. Nun könnte es bald erlöschen.

Von Hubert Filser

Ob es am Anfang der Menschheit tatsächlich so wild zuging, wie Forscher der Washburn University spekulieren? Eine Supernova-Explosion im Weltall habe vor acht Millionen Jahren zu einer Häufung von Blitzen und Waldbränden geführt. Deshalb seien an den Rändern der Regenwaldgebiete Afrikas jene Savannen entstanden, in denen der Mensch aufrechte gehen lernte und zum Mensch wurde. Eine äußerst gewagte These.

Unbestritten ist aber, dass das Feuer entscheidend zur Entwicklung der menschlichen Spezies beigetragen hat. Die Entdeckung und das zunehmende Beherrschen von Flammen ist seit hunderttausenden Jahren ein wesentlicher Faktor der biologischen und kulturellen Evolution. Feuer macht Geschichte.

Die ersten umstrittenen Belege für Feuernutzung sind älter als zwei Millionen Jahre. Vermutlich hielten Frühmenschen der Gattung Homo erectus Wildfeuer aus Blitzen oder Erdbränden am Laufen und schützten sich damit vor Raubtieren. "Wir haben in der Wonderwerk-Höhle in Südafrika erste Beweise für die Verbindung von winzigen Aschenstücken mit verbrannten Knochen und menschlicher Besiedlung vor rund einer Million Jahren", sagt Vera Aldeias vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie.

Viel spannender als der genaue Zeitpunkt ist aber die Frage, warum Menschen das Feuer beherrschen wollten. Es muss Vorteile gebracht haben, neben den schädlichen Nebenwirkungen. So berichtete jüngst ein Team um die australische Biomedizinerin Rebecca Chisholm im Fachmagazin PNAS, dass sich am Lagerfeuer vermutlich auch Tuberkulose-Bakterien entwickelt und ausgebreitet haben. Partikel aus dem Rauch könnten zu einer Reizung der Atemwege geführt und das Immunsystem geschwächt haben, so dass sich Mykobakterien aus dem Boden leichter im Körper festsetzen konnten. Weitere Studien zeigen, dass sich das Feuer aufs Genom ausgewirkt hat, auch die Zähne veränderten sich mit der Umstellung der Ernährung.

Doch die Vorteile des Feuers überwogen offenbar. Der britische Primatenforscher und Anthropologe Richard Wrangham vermutet, dass erst gekochte Nahrung das Wachstum des Gehirns ermöglichte. Warmes Essen - insbesondere Fleisch - liefert ausreichend Kalorien und Nährstoffe für das extrem energiehungrige Gehirn, das schon im Ruhezustand zwanzig Prozent der verfügbaren Energie verbraucht. Endlich musste der Mensch nicht mehr stundenlang Wurzeln und rohes Fleisch kauen. Daneben steht die sogenannte Social-Brain-Hypothese des britischen Evolutionspsychologen Robin Dunbar. Seine Vermutung ist, dass erst das nächtliche Lagerfeuer den Menschen die Zeit verschaffte, Geschichten zu erzählen und gemeinsam zu tanzen. Das stärkte die sozialen und kooperativen Seiten des Menschen, damit nahm die Intelligenz zu.

Beide Ansätze klingen schlüssig, setzen aber voraus, dass das Feuer regelmäßig genutzt werden konnte. Schon Charles Darwin ordnete die Zähmung des Feuers als "wahrscheinlich größte Entdeckung mit Ausnahme der Sprache" ein, machte sich jedoch keine Gedanken, wann und wie der Mensch es zu beherrschen lernte. "Wahrscheinlich gab es mehrere Stufen der Kontrolle", sagt Vera Aldeias, "von der anfänglichen Gewöhnung an das Feuer, über die Fähigkeit, es zu benutzen, bis hin zum gezielten Anzünden. Diese sind alle archäologisch schwer nachvollziehbar." Feuer ist schließlich auch ein natürliches Phänomen. Forscher können zwar gut klären, ob und bei welcher Temperatur etwas erhitzt wurde und verbrannt ist. Doch gerade bei alten Fundstellen in der Frühgeschichte der Menschheit ist es sehr schwierig, den Unterschied zwischen natürlichen und menschengemachten Feuern zu erkennen.

Ein entscheidender Einschnitt war die Erfindung des Feuerzeugs. Das älteste bislang bekannte ist 790 000 Jahre alt und bestand aus drei Teilen: einem harten Feuerstein, einem metallisch glänzenden knollenartigen Mineral, der Eisensulfidkristalle enthielt, und einem getrockneten Baumschwamm. Schlug man den Feuerstein an die Knolle, sprühten Funken. Die Überreste eines solchen Ur-Feuerzeugs fanden Anthropologen zum Beispiel am Ufer eines ausgetrockneten Sees im Jordantal im heutigen Israel.

So gelang die Zähmung des Feuers über sehr viele, kleine Schritte, über "eine Reihe von Ereignissen, Bestrebungen, Misserfolgen und gelegentlichen Erfolgen, die schließlich zur einzigartigen Verbindung von Mensch und Feuer führten", erklärt der holländische Soziologe Johan Goudsblom. Dabei gilt es, den Klischees über die Vergangenheit zu misstrauen. So ist es wahrscheinlich Unsinn, dass Frauen einst im Schein der Lagerfeuer kochten und Männer währenddessen jagten; vermutlich teilten sich die Geschlechter beide Tätigkeiten. Umstritten ist auch, ob die Menschen nur mit Hilfe des Feuers vom warmen Afrika in den kalten Norden vordringen konnten. Es gibt zwar vereinzelt 300 000 Jahre alte Feuerstellen in Ostengland, Südfrankreich oder im niedersächsischen Schöningen, die mit drei Menschenarten in Zusammenhang gebracht werden, dem Homo erectus, dem Homo heidelbergensis und dem Neandertaler. Doch hier wird es kompliziert. "In der Tat scheint es, dass die Neandertaler nicht immer das Feuer benutzten und es entgegen unserer Annahme nicht während der kalten klimatischen Perioden einsetzten", sagt Vera Aldeias. "Es ist auch klar, dass andere menschliche Einwanderer nach Europa - in der Zeit vor den Neandertalern - ohne Feuer auskamen." Womöglich war ihnen der Aufwand zu groß, das im eiszeitlichen Norden eher rare Brennmaterial zu sammeln und Feuer zu entfachen. Die Menschen fanden auch andere Möglichkeiten, sich zu wärmen und gegen wilde Tiere zu schützen.

Es bleibt ein Puzzle. Vermutlich startete die ganz große Erfolgsgeschichte des Feuers erst, als die Menschen sesshaft wurden. Spätestens dann wurde ihnen auch die Ambivalenz des Feuers bewusst. Dessen Einsatz barg immer ein Risiko, man musste die Glut gut kontrollieren, sonst waren schnell Hab und Gut vernichtet. Davon zeugen uralte Mythen und die vielen strengen Vorschriften, die den Einsatz von Feuer regelten. Es gab in Siedlungen immer öfter Bereiche, in denen Feuer verboten war. Das Feuer selbst wurde eingesperrt, in Herden und Öfen, Öllampen, Kaminen.

Feuer machte das Leben in menschlichen Gruppen zwar komfortabler, aber auch gefährlicher. "Das Feuer steigerte einerseits die Produktivität und andererseits das zerstörerische Potenzial der Menschen", so Goudsblom. "Seine Kontrolle verstärkte damit einen grundlegenden Trend in der menschlichen Geschichte und sozialen Evolution: die zunehmende Differenzierung in Verhalten und Macht zwischen Menschen." So führten Ackerbau und Viehzucht - ermöglicht auch durch die Brandrodung - zu einer differenzierten Gesellschaft: Manche Gruppen betrieben intensive Landwirtschaft, andere wirtschafteten eher extensiv oder betrieben nebenher weiterhin Jagd.

Auf diese Weise trieb das Feuer immer wieder den gesellschaftlichen Wandel an. In einem nächsten Entwicklungsschritt führte es zu Berufen, die Goudsblom in seinem Buch "Feuer und Zivilisation" "Feuerspezialisten" nennt: Krieger und Priester gehörten dazu, sie setzten Feuer in Zeremonien und Ritualen ein. Mindestens so wichtig aber waren Töpfer und Schmiede. Mit Hilfe des Feuers brannten die Töpfer aus weichem Ton harte Keramik. Gebrannte Lehm- oder Tonfiguren gab es zwar auch schon im Jungpaläolithikum, aber erst die sesshaften Handwerker konnten Öfen bauen, in denen sich die Hitze besser kontrollieren ließ. So fertigten sie Gefäße, in denen sich Nahrungsmittel wie Weizen, Nüsse, Samen, später sogar Öl, Wein oder Bier aufbewahren ließen. So wurde eine deutlich verbesserte Vorratshaltung möglich.

Endgültig zum Spezialisten wurden die ersten Schmiede - und mit ihnen die Bergleute, die Erze unter großen Mühen förderten. Die streng arbeitsteilige Metallurgie wirkte sich stark auf die Gesellschaftsstruktur aus, unter anderem weil sie Führer benötigte, die diesen Prozess organisierten. Aus ihnen rekrutierte sich eine neue Oberschicht. Das lässt sich zum Beispiel in der minoischen Kultur beobachten. Bereits vor mehr als 5000 Jahren lockten große Eisenerz- und Kupfervorkommen etwa im Kaukasus viele Menschen in die Region. In den Schmelzöfen wurden unter anderem Beile und Meißel hergestellt, frühe Prestigeobjekte. Mit der Metallverarbeitung produzierten die Menschen nun erstmals, wie der britische Archäologe Colin Renfrew sagt, "zahlreiche wertvolle Gegenstände, die es wert waren, in großer Anzahl gehortet zu werden."

Metall war kompakt, wertvoll und ideal zum Tauschen. Aus ihm wurden vor rund 4000 Jahren die ersten Münzen geprägt. Sie trugen entscheidend bei zum Aufbau internationaler Handelsnetze, die von Kleinasien bis nach Skandinavien reichten. Die Herrscher tauschten Bronze gegen Bernstein. Dänische Handwerker fertigten aus den Bronzebarren kunstvolle Schwerter oder verzierte Bronzescheiben, wie man sie etwa beim berühmten Mädchen von Egtved im Grab fand. Ganze Königreiche basierten auf dem Metall. Erst das Eisen ermöglichte durchschlagskräftige Waffen und eine neue militärische Macht, die wiederum vermehrt zu kriegerische Auseinandersetzungen führte. Es entstand ein Bild des Kriegers, dessen Waffen sozusagen aus dem Feuer kamen. Feuer selbst wurde als Waffe eingesetzt, um die Behausungen der Gegner in Brand zu stecken.

Der Mensch studierte das Feuer, er lernte, es für verschiedene Zwecke gezielt einzusetzen. Bereits im Mittelalter wird das Feuer zunehmend eingehegt. Es entstehen weitere spezialisierte Berufe wie Bäcker, Koch, Wagner und Seifensieder. Zugleich werden Feuersbrünste zu einer großen Bedrohung in den Städten. Vom 15. Jahrhundert an werden in Europa Brandschutzordnungen erlassen, es gibt vielerorts Feuerbrigaden.

Im 18. und 19. Jahrhundert ersetzen dann die Physiker die Vorstellung vom offen, prasselnden Feuer durch andere Konzepte, sie zerlegten es sozusagen in die Bereiche Wärme, Energie und Licht. Die Dampfmaschine setzt die industrielle Revolution in Gang. Feuer wird zur puren Energie, sie treibt nun Maschinen an. Nur in deren Innerem lodert es weiter. Aber die Flammen verschwinden zunehmend aus der Wahrnehmung. Stattdessen leuchten nun die Glühlampen - eine Art umgewandeltes Feuer.

Ein großer Schritt war auch die Erfindung des Verbrennungsmotors. Im Inneren der Motoren zündet zwar noch immer ein Funken das Kraftstoffgemisch, doch man sieht ihn nicht mehr. Auf ähnliche Weise wurde das Feuer in Kraftwerken zentralisiert, wo es Strom produziert, der zu jeder Tages- und Nacht und rund um den Globus verfügbar ist. Das Feuer wird zunehmend kontrolliert, gemanagt, versteckt und umgewandelt. Offene Flammen, die wirklich eine Funktion haben, sieht man heute fast nur beim Grillen, vielleicht fasziniert es deshalb so viele Menschen. Ansonsten haben sie heute meist nur noch dekorative Bedeutung - als romantisches Lagerfeuer, als Kerzenflamme oder Kaminfeuer. Selbst das lodert in vielen Wohnzimmern nur noch auf einem digitalen Bildschirm. Und sogar das versteckte Feuer in den Kraftwerken könnte ausgelöscht werden, wenn erst mal Wind, Wasser und Sonne die meiste Energie erzeugen.

Es wäre woh mehr als überfällig, denn längst ist das Feuer auch zu einer Bedrohung der Zivilisation geworden. Der immer steigende Energiebedarf und das Verbrennen fossiler Brennstoffe ist bekanntlich für Kohlendioxid-Emissionen und Klimawandel verantwortlich, Luftschadstoffe sind vor allem in unterentwickelten Ländern eines der größten Gesundheitsprobleme. Der Mensch mit seinem Feuer hat es geschafft, die ganze Erde aufzuheizen. Er betreibt gerade wahrlich ein Spiel mit dem Feuer.

Vielleicht geht es mal wieder nur darum, die zerstörerischen Auswirkungen des Feuers zu begrenzen. Doch auch in Zeiten größtmöglicher Kontrolle bleibt die archaische Kraft der Flammen für uns Menschen immer sichtbar. Wenn der Kilauea auf Hawaii oder irgendein anderer Vulkan spuckt, zerstört die Lava alles, was im Weg ist. Der nächste Ausbruch eines Supervulkans in einer dicht bevölkerten Region wird verheerend sein. Und von einem Himmelsereignis könnte sogar die Zukunft des Planeten abhängen: Schlägt wieder einmal ein riesiger Asteroid auf der Erde ein, wird es eine unvorstellbare Explosion geben - und dann gewaltige Feuersbrünste. Feuer, das wissen die Menschen seit langer Zeit, ist schon immer Segen und Gefahr zugleich.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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