Geologie:Das Ohr am Vulkan

Lesezeit: 3 min

Das Vulkanfeld Campi Flegrei bei Pozzuoli westlich von Neapel. Die Phlegräischen Felder erstrecken sich auf einer rund 150 Quadratkilometer großen Fläche und zeigen eine hohe vulkanische Aktivität. (Foto: dpa)

Seismologen erproben eine neue Methode, um ins Innere des Supervulkans bei Neapel zu blicken: Sie nutzen die Wellen des Meeres.

Von Angelika Jung-Hüttl

Die Region ist ein Pulverfass", sagt Luca De Siena. Damit meint der bei Neapel geborene Geophysiker nicht den berühmtesten Vulkan Italiens, den Vesuv. Er spricht über das dicht besiedelte Gebiet direkt westlich daneben - die Campi Flegrei, übersetzt die "Brennenden Felder". Deren Fläche ist mit 150 Quadratkilometern etwa so groß wie Liechtenstein. Im Untergrund steckt ein Vulkansystem, das in der Erdgeschichte mehrmals explodiert ist - viel heftiger als der Vesuv.

Zusammen mit seinem Team von der Universität Mainz und Kollegen vom Vulkanobservatorium in Neapel arbeitet er an einer neuen Methode, um die Bewegungen des Magmas, der glutflüssigen Schmelze unter den Campi Flegrei, zu beobachten - und möglichst einen bevorstehenden Ausbruch besser vorhersagen zu können. Die Wissenschaftler nutzen dazu ein ungewöhnliches Instrument: die Schwingungen der Meereswellen im Golf von Neapel.

Ein flacher, öder Krater mit knapp 800 Metern Durchmesser steht unter besonderer Beobachtung

Brandheiß ist derzeit in den Brennenden Feldern neben einigen punktuellen Gasaustritten vor allem ein Fleck in der Solfatara, einem flachen, öden Krater mit knapp 800 Meter Durchmesser. Ätzende Schwefeldämpfe zischen dort fauchend aus gelb verkrusteten Löchern und steigen in weißen Schleiern zum Himmel. Diese Schwefelgase haben den steinigen Boden zersetzt und in eine grau-gelbliche, feinkörnige Masse verwandelt, auf der kein Grashalm wächst. In heißen Tümpeln kocht sprudelnd der Schlamm. Das hat den Solfatara-Krater zur Touristenattraktion gemacht, inmitten der idyllisch mediterranen Metropol-Region am Golf von Neapel. Doch erinnert der Krater die Millionen Menschen, die dort leben, auch ständig daran, dass neben dem benachbarten Vesuv direkt unter ihren Füßen ein noch gewaltigerer Vulkan schlummert, ein sogenannter Supervulkan, dessen Eruption zehn bis hundert Mal so heftig verlaufen kann wie normale Ausbrüche.

Deshalb werden die Campi Flegrei ständig überwacht. Die Wissenschaftler vom Observatorium in Neapel, die auch den Vesuv im Visier haben, registrieren alle Parameter, die auf Änderungen im Untergrund hinweisen: Anomalien im Schwerefeld der Erde zum Beispiel, Hebungen und Senkungen des Erdbodens oder Änderungen der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung der vulkanischen Gase, die aus der Erde strömen.

"Trotzdem wissen wir nicht, was im Innern des Supervulkans vor sich geht", sagt De Siena. Denn um ein Bild von der inneren Struktur des Vulkans zu erhalten, braucht man Erdbebenwellen, die den Untergrund durchlaufen, und deren Aufzeichnung, das sogenannte Seismogramm, einen Blick in die Tiefe der Erde erlaubt - ähnlich wie eine Ultraschall-Tomografie einen Blick ins Innere eines menschlichen Körpers ermöglicht.

Doch seit 1984 hat es unter den "Brennenden Feldern" keine verwertbaren Beben, also auch keine aussagekräftigen Seismogramme mehr gegeben.

Dabei deuten viele Zeichen darauf hin, dass sich im Untergrund etwas tut. Der Erdboden hebt sich seit 2003 beständig an und die Gastemperaturen steigen, sodass der Zivilschutz schon 2012 die Warnstufe auf der vierstufigen Skala der Vulkanausbruchs-Frühwarnung von 1 auf 2 - von "Ruhe" auf "sanft gesteigerte Aktivität" - erhöht hat.

Hier setzt die neue Technik von De Siena und seinen Kollegen an. Anstelle der Erdbebenwellen verwenden sie seismische Schwingungen, die die Brandung des Meeres erzeugt, um ein Bild vom Untergrund zu erhalten. "Wenn das Meer an die Küste rollt", so erklärt De Siena, "produziert es eine Form von Schallwellen, und diese breiten sich in den Boden hinein aus." Wie bei dem traditionellen Verfahren mit Erdbebenwellen durchlaufen diese Schwingungen den Untergrund des Supervulkans. Sie bewegen sich in festem Gestein schneller als in flüssigem - also in glühendem Magma oder in Bereichen, in denen heiße vulkanische Lösungen und Gase zirkulieren. "Damit können wir den Vulkan quasi durchleuchten", erklärt De Siena.

Der Blick der Forscher reicht damit bis in eine Tiefe von etwa zwei Kilometern unter den Supervulkan. Sie konnten dort eine Art Kanal lokalisieren, durch den heiße Flüssigkeiten aus einer tiefer gelegenen Magmakammer aufsteigen und der auch den Solfatara-Krater speist.

Lange haben Geowissenschaftler solche natürlichen Vibrationen, wie sie Meereswellen im Untergrund auslösen und die so schwach sind, dass der Mensch sie nicht fühlen kann, bei ihren traditionellen Erdbebenmessungen als "störende Bodenunruhe" empfunden, erläutert Heiner Igel, Geophysiker an der Universität München (LMU). Auch Wind kann solche Vibrationen erzeugen oder der Mensch, etwa mit dem Straßenverkehr oder mit Maschinen einer Fabrik. "Erst seit etwa zehn Jahren wird man sich allmählich bewusst, dass sich dieser 'ambient' oder 'seismic noise' wie wir sagen, durchaus nutzen lässt."

Mit heutigen Computern lassen sich die enormen Daten zu einem 3-D-Bild kombinieren

Eine große Rolle spielt dabei auch, dass man heute mit neu entwickelten Rechenmethoden enorme Datenmengen filtern, korrelieren und schließlich zu einem dreidimensionalen Bild verarbeiten kann.

Die Methode hat noch einen Vorteil: Die Geowissenschaftler sind auch nicht mehr - wie bei der traditionellen Seismik - auf einzelne Erdbeben-Ereignisse angewiesen, um Signale aus dem Untergrund zu erhalten. "Man kann mit Hilfe dieses ambient noise kontinuierlich messen", erläutert Igel, "und dabei laufende Prozesse studieren und verfolgen." Das sei lange ignoriert worden, so der Wissenschaftler.

Drei Jahre lang haben De Siena und sein Team daran gearbeitet, diese neue Technik in einer so dicht besiedelten Region mit so viel "ambient noise" wie unter den Campi Flegrei zu erproben. Nun wollen sie ihr Messnetz ausbauen, "um die Überwachung zu verbessern", so der Geophysiker, "und im Notfall die Bevölkerung frühzeitig zu warnen".

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: