Gentechnik:Stärke für die Knolle

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Eine Industriekartoffel soll der grünen Gentechnik zum Durchbruch verhelfen: Amflora wurde speziell für die Stärkeindustrie entwickelt - zur Herstellung von Papier, als Oberflächenbeschichtung, zum Einsatz in der Textilindustrie.

Tina Baier

Wenn alles so läuft, wie Ralf-Michael Schmidt es sich vorstellt, werden nächstes Frühjahr in Deutschland große Mengen gentechnisch veränderter Kartoffeln angepflanzt. Der Vizepräsident der Firma BASF Plant Science in Ludwigshafen erwartet, dass sein Unternehmen innerhalb der nächsten Monate aus Brüssel die Zulassung für den kommerziellen Anbau der Sorte "Event EH92-527-1" bekommt, die unter dem Namen "Amflora" vermarktet werden soll.

"Wir haben Anfang des Jahres eine abschließende Stellungnahme der European Food Safety Authority bekommen, wonach unsere Kartoffel sicher für Mensch, Tier und Umwelt ist", sagt er. "Jetzt warten wir nur noch auf die Zustimmung der EU-Kommission." Bis spätestens April müssen die Saatkartoffeln unter der Erde sein, sonst ist im Jahr 2007 kein Anbau mehr möglich.

Amflora ist keine Speisekartoffel, sondern wurde speziell für die Stärkeindustrie entwickelt. Diese verbraucht in Deutschland etwa 650.000 Tonnen Kartoffeln pro Jahr, ein Drittel der Ernte. Kartoffelstärke wird unter anderem bei der Herstellung von Papier verwendet, als Oberflächenbeschichtung verhindert sie, dass beim Schreiben die Farbe verläuft. In der Textilindustrie werden Garne mit einem Film aus Stärke umgeben, der den Faden stabiler und unempfindlicher gegen Schmutz macht.

Dabei ist vor allem eine bestimmte Stärkesorte begehrt: Amylopektin. In herkömmlichen Kartoffeln ist es zu etwa 75 Prozent enthalten. Die restliche Stärke besteht aus Amylose, die meistens eher störend ist. Die Gentech-Kartoffel Amflora wurde so verändert, dass sie nur noch Amylopektin produziert.

Dafür wurde das Gen für ein Enzym, die "Granule Bound Starch Synthase" (GBSS) ausgeschaltet, das in konventionellen Kartoffeln an der Bildung von Amylose beteiligt ist.

Eingeschränkter Pollenflug

Auf wie vielen Hektar im Frühjahr die Amylopektin-Kartoffel gesät werden soll, sagt Ralf-Michael Schmidt nicht. Das müssten die Kunden aus der Industrie entscheiden; Interesse gebe es.

"Wenn die Genehmigung da ist, können wir sofort anfangen", sagt Schmidt. Amflora soll dann von sogenannten Vertragsbauern angebaut werden, die fest an bestimmte Stärkehersteller gebunden sind, denen sie ihre gesamte Ernte abliefern. Die Pülpe, also das, was nach Verarbeitung in der Fabrik übrig bleibt, wird an Kühe und Mastbullen verfüttert.

Zum Stärkehersteller Südstärke haben Mitarbeiter von BASF schon vor Jahren Kontakt aufgenommen. "Für uns kommt eine Verarbeitung von Amflora zurzeit nicht in Frage", sagt aber Geschäftsführer Richard Lenk. Sein Unternehmen beliefere wie die meisten Stärkehersteller in Deutschland auch die Lebensmittelindustrie und die fordere gentechnikfreie Produkte.

"Wenn bekannt würde, dass wir in unserem Betrieb gentechnisch veränderte Kartoffeln verarbeiten, bekämen wir ein Imageproblem", sagt Lenk. Tatsächlich wäre es schwierig, die Verarbeitung gentechnisch veränderter und konventioneller Kartoffeln zu trennen. Auch wirtschaftlich lohne sich Amflora nicht. Zwar könne man sich mit der Amylopektin-Kartoffel bei der Stärkeherstellung einen Verarbeitungsschritt sparen. "Dafür sind die Kartoffeln teurer und nicht so ertragreich wie herkömmliche Sorten", sagt Lenk.

Ob sich das Projekt Amflora ökonomisch für BASF lohnen wird, erscheint also fraglich. Doch das ist dem Konzern möglicherweise gar nicht so wichtig. Entscheidender für BASF und andere Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut könnte die politische Bedeutung von Amflora sein, über die weniger gesprochen wird: Die Stärkeknolle hat das Potential, der grünen Gentechnik in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.

"Anbau- und Anwendungsschwerpunkt von Amflora wäre unter anderem Deutschland", sagt Ralf-Michael Schmidt. "Und wenn Landwirte und Verbraucher erst einmal sehen, dass dabei nichts passiert, könnte so etwas wie Normalität einkehren."

"Es gibt kaum eine gentechnisch veränderte Pflanze, die besser geeignet wäre, der grünen Gentechnik die Tür zu öffnen", sagt Heike Moldenhauer, Gentechnikexpertin beim BUND. Anders als beim Mais MON 810, der bisher einzigen gentechnisch veränderten Pflanze, die in Deutschland kommerziell angebaut werden darf, ist bei Amflora kaum zu befürchten, dass Pollen auf benachbarte Äcker gelangen.

"Die Koexistenz mit konventionellen Pflanzen ist bei Amflora nicht das Problem", räumt sogar Benny Haerlin von der Organisation "Save our Seeds" ein, die sich für eine gentechnikfreie Landwirtschaft einsetzt. Denn Kartoffeln vermehren sich vor allem vegetativ, also ungeschlechtlich. Aus der Mutterknolle wachsen unterirdische Ausläufer, deren Enden sich zu neuen Kartoffeln verdicken. Diese sind genetisch identische Klone der Ursprungsknolle. Zwar blühen Kartoffelpflanzen auch. Doch die Samen fliegen höchstens 20 Meter weit. Und selbst für den Fall, dass Amflora-Pollen eine konventionelle Kartoffel befruchten, entstünden daraus lediglich Beeren, die nicht gegessen werden und die in der Regel nicht keimfähig sind.

Das könnte auch die Bauern überzeugen, die Amflora anbauen sollen. Der Mais MON 810 wird vor allem deswegen kaum verwendet, weil die Bauern Schadensersatzansprüche fürchten, wenn sich die Pflanze ungewollt ausbreitet. Zu Recht: Nach dem derzeit noch geltenden Gentechnikgesetz, haftet derjenige, der eine veränderte Pflanze anbaut für eventuelle Schäden, wenn beispielsweise die Pollen auf das Feld eines benachbarten Biobauern fliegen und der deswegen seine Ernte nicht mehr los wird.

Auch das sonst überzeugende Argument vieler Gentechnikkritiker, die manipulierten Pflanzen könnten sich unkontrolliert in der Umwelt ausbreiten, greift bei Amflora nicht. Anders als Raps haben Kartoffeln in Deutschland keine wilden Verwandten, mit denen sie sich kreuzen könnten, um ihre veränderten Gene unkontrolliert zu verbreiten.

Munition liefert Kritikern höchstens ein Gen, das die Pflanze widerstandsfähig gegen das Antibiotikum Kanamycin macht. Dieses könnte auf Bakterien im Boden übertragen werden und dazu führen, dass Krankheitserreger resistent gegen dieses Medikament werden.

Dass Amflora nicht im Lebensmittelbereich eingesetzt werden soll, könnte die Markteinführung zusätzlich erleichtern. Das glaubt auch Carel Mohn, Sprecher des Bundesverbands der Verbraucherzentralen: "Solange die Gentech-Kartoffel nichts mit Lebensmitteln zu tun hat, wird es keine große öffentliche Diskussion um ihren Anbau geben".

Christoph Then von der Umweltschutzorganisation Greenpeace hält es dennoch für möglich, dass das gentechnisch veränderte Erbgut von Amflora in die Nahrungskette gelangt. Rein äußerlich sei die Amylopektin-Kartoffel nicht von herkömmlichen Industriekartoffeln und auch nicht von Speisekartoffeln zu unterscheiden.

Es sei daher nicht auszuschließen, dass die Gentech-Knollen bei Transport, Lagerung oder Verarbeitung versehentlich mit herkömmlichen Sorten vermischt würden. "Zudem bleiben pro Hektar mindestens 10 000 Knollen auf dem Acker, die von der Erntemaschine nicht erfasst werden" sagt Heike Moldenhauer. Die Wahrscheinlichkeit, dass einige davon im nächsten Jahr trotz aller Frostempfindlichkeit keimen, sei groß.

Auch BASF kann offenbar nicht ganz ausschließen, dass Amflora eines Tages doch in Lebensmitteln auftaucht. Um sich abzusichern, hat die Firma für ihre Gentech-Knolle vorsichtshalber auch eine Genehmigung als Lebens- und Futtermittel beantragt.

© SZ vom 28.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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