Gene und Gesetze:Forschen im Grenzbereich

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Der Bundestag entscheidet heute über die Novellierung des umstrittenen Stammzellgesetzes. Der Biochemiker James Adjaye betrachtet die Probleme durchs Mikroskop.

Christina Berndt

Berlin, im April - Bald ist wieder so ein Tag, an dem sich die Menschen fragen, weshalb James Adjaye eigentlich noch hier bleibt. Wenn sich die hohe Politik an diesem Freitag im Bundestag mit dem Gesetz zur Forschung mit Stammzellen befasst, geht es nicht nur um das Lebensrecht weniger Tage alter Embryonen; es geht auch um die Zukunft von James Adjaye.

Einer der ersten geklonten menschlichen Embryos im Alter von drei Tagen. Aus den Zellhaufen können Forscher Stammzellen gewinnen. (Foto: Foto: AFP/RMB)

Die Parlamentarier werden darüber entscheiden, ob er die Arbeit tun darf, die es ihn zu tun drängt. Adjaye gehört zu den ganz Wenigen in Deutschland, die an embryonalen Stammzellen forschen; an Zellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden.

Wahrscheinlich wird er im Reichstag wieder dabei sein. Er wird wohl sein braunes Cordjacket tragen, mit dem Einstecktuch, und sich einen Platz auf einer der grauen Stoffbänke der Besuchertribüne suchen. Hoch über dem Plenarsaal wird er sitzen, und schon deshalb die Diskussion in gewisser Weise von oben herab betrachten.

Inzwischen kennt er sie alle - die Argumente der Moraltheologen genauso wie die der Patientenvertreter, die Argumente der Lebensschützer wie die seiner eigenen Zunft. Die einen meinen, wenige Tage alte Embryonen besäßen bereits Menschenwürde; niemand dürfe sie zerstören, um Zellen zu gewinnen - schon gar nicht in einem Land, in dem die Menschenwürde schon viel zu oft keine Rolle spielte.

Die anderen hoffen auf neue Therapien für Kranke mit Hilfe der wandlungsfähigen Embryozellen. Der Streit ist so existenziell, dass es bei der Abstimmung im Bundestag keinen Fraktionszwang geben wird. Jeder Abgeordnete soll nach seinem Gewissen entscheiden. Schließlich sind sogar die großen Kirchen in der Frage zerstritten.

Für James Adjaye ist die Debatte auch existenziell. Deshalb will er die Argumente wieder hören. Der 43-jährige Biochemiker ist eine Berühmtheit der deutschen Stammzellforschung, und zugleich - ausgerechnet - britischer Staatsbürger. Der gebürtige Ghanaer besitzt einen Pass eines der freizügigsten Staaten, was die Forschung an den Ursprüngen des Menschseins betrifft: Mit Embryonen, mit Stammzellen und mit Ei und Samen dürfen Wissenschaftler in Großbritannien fast alles machen, außer Babys zu klonen. James Adjaye aber arbeitet in Berlin, der Hauptstadt eines der weltweit restriktivsten Länder im Umgang mit Stammzellen.

Er wird einer der Wenigen im Bundestag sein, die je eine Zelle unter dem Mikroskop betrachtet haben, einen wenige Tage alten Embryo hat noch fast keiner der Parlamentarier gesehen, auch wenn sich dieser Tage zwei in Adjayes Labor informiert haben.

Aber es geht bei der Novellierung des Stammzellgesetzes ja nicht nur um Biologie, sondern um moralische, um emotionale, um theologische Vorstellungen davon, wie schützenswert der Beginn menschlichen Lebens ist. So werden Parlamentarier letztlich bestimmen, ob Wissenschaftler wie Adjaye künftig mit neueren Embryozellen experimentieren dürfen, wie es Befürworter der Forschung beantragt haben. Bisher dürfen deutsche Forscher nur Zellen importieren, die vor 2002 entstanden sind, dem Jahr, in dem der Bundestag erstmals das Stammzellgesetz beschloss. Das war der Kompromiss, für deutsche Forschung sollten keine neuen Embryonen zerstört werden.

Die alten Stammzellen wachsen schon lange in James Adjayes Labor im Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Er züchtet sie in einem fensterlosen Raum, kaum sechs Quadratmeter groß. Sie mögen die Dunkelheit. Sie mögen es 37 Grad warm, und sie mögen viel Kohlendioxid in der Luft. Es soll so wie im Inneren eines Körpers sein. Adjaye hat viel Zeit investiert, um herauszufinden, was diese Zellen, die einmal zu einem Embryo gehörten, noch brauchen.

Die ersten, die er in den USA für viel Geld kaufte, sind bald gestorben. "Man braucht Erfahrung, wenn man sie züchten will", sagt er und blickt durchs Mikroskop auf seine Zellhäufchen, die in orangeroter Flüssigkeit baden. Inzwischen gedeihen sie gut.

Urzellen des menschlichen Körpers

Es sind die Urzellen des menschlichen Körpers. Anders als Zellen fertiger Organe können sie sich noch in alle Richtungen entwickeln, zu Leber- und Nervenzellen genauso wie zu Herzzellen. Deshalb könnten sie eines Tages Patienten helfen, bei denen durch Parkinson, Herzinfarkt oder Diabetes Zellen zugrundegegangen sind.

Seit sieben Jahren ist der Biochemiker nun in Berlin. Wenn er über die Flure des grünen Siebziger-Jahre-Baus in Dahlem schlendert, grüßt er fast jeden. Als er kam, hat er nicht geahnt, wie folgenschwer dieser Umzug für seine Karriere sein würde. Die erste Stammzelldebatte war da gerade voll im Gange. "Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, war ich komplett überrascht", sagt er.

Eine Debatte solcher Schärfe war ihm fremd. Erst nach und nach erfuhr er, dass viele seiner Projekte am Londoner King's College hier verboten sein würden. "Die Umstände in Deutschland sind wirklich eine Herausforderung für mich", sagt Adjaye. Jedes Vorhaben muss gut begründet sein und einem hehren Forschungsziel dienen. Nur dann erlaubt das Robert-Koch-Institut, embryonale Stammzellen zu verwenden.

Stammzellforschung (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Adjaye sucht nach jenen Genen, die am Ursprung des Lebens bedeutend sind, die Stammzellen so besonders machen. Das könnte helfen, gewöhnlichen Körperzellen das Potential der wandlungsfähigen Stammzellen zu verleihen.

Die Zellen, die er braucht, sind heute im Internet zu kaufen. Doch Adjaye darf nur Zellen importieren, die es schon 2002 gab. "Diese alten Zellen sind für viele Forschungsarbeiten nicht mehr zu gebrauchen", klagt er. Sie seien zum Beispiel mit tierischem Material verunreinigt. Schon deshalb könnten sie nie als Medizin für Menschen dienen. Wie die meisten seiner Kollegen hofft er, dass die Parlamentarier den Stichtag zumindest auf Mai 2007 verschieben. Im Grunde ist er für eine völlige Freigabe dieser Zellen, "aber das zu hoffen, ist unrealistisch", sagt Adjaye.

Die Menschen müssten besser Bescheid wissen, denkt Adjaye. Dann hätten sie nicht solche Vorbehalte. Gerne würde er sie alle mit embryonalem Anschauungsmaterial versorgen, im Glauben, dass das ihre ethischen Bedenken zerstreuen würde. Es ist nicht lange her, da kam ein junger Mann wütend in sein Labor. Berlin feierte die Lange Nacht der Wissenschaften, auch James Adjaye hatte seine Labortüren geöffnet.

Aufgebracht blickte der Mann durchs Mikroskop auf Adjayes Stammzellen: "Wo sind sie denn nun, die Embryo-Zellen?", fragte er ungehalten. Diese unscheinbaren Häufchen, das war alles? Den Besucher hätten erst recht die Embryonen enttäuscht, aus denen Adjayes Zellen stammen. Ein wenige Tage alter Embryo hat keine Augen, keine Arme, keine Beine. Er ist eine Kugel, gerade so groß wie der Punkt am Ende dieses Satzes.

Nach sieben Jahren in Berlin hat sich Adjaye in gewisser Weise gewöhnt an die Bedenken vieler Deutscher. "Ich habe das politische System wirklich kennengelernt", sagt er, lächelnd, wie meist. Ans Weggehen denkt er nicht. Adjaye ist es gewöhnt, sich durchzubeißen.

Das lernt man, wenn man als Junge aus Ghana in England Fuß fassen muss. Größer als die abschreckende Wirkung der Gesetze und Anträge ist für ihn die Anziehungskraft des Berliner Max-Planck-Instituts. Er ist hier wegen dieser Forschungsstätte, an der Wissenschaftler exzellente Beiträge zur Erforschung dessen leisten, wie die Gene des Menschen funktionieren.

In einem kaum 30 Quadratmeter großen Raum werkelt Adjayes kleines Team. Sieben junge Leute aus aller Welt. Jeder hat nur einen lächerlich winzigen Schreibtisch, der neben dem Computerschirm gerade noch einem Stapel Unterlagen Platz bietet. An den Labortischen, die die Raummitte ausfüllen, müssen die Forscher aufpassen, dass sie einander nicht auf die Füße treten. Die "Bänke", wie sie im Forscherjargon heißen, sind überfüllt mit all dem bunten Plastik, ohne das die Wissenschaft nicht mehr auskommt. Die Reize des Max-Planck-Instituts sehen nur Kenner: Sie liegen in seinen Maschinen, dem Hightech, den hier etablierten Methoden, sagt Adjaye - und in den klugen Köpfe der rund 1500 Mitarbeiter.

Von Eicheln und Bäumen

Adjaye hat ein gewisses intellektuelles Verständnis für die Vorbehalte, die Sorgen, die es hier gegenüber der Stammzellforschung gibt. Doch im Innern sind ihm die Bedenken fremd. "Ein Embryo in diesem Stadium ist doch kein Mensch", sagt er. Auch wenn eine Eichel alles Potential hat, eine gigantische Eiche zu werden, so sei die Eichel doch kein Baum.

In London hat er das nicht erlebt, die schweren Vorwürfe, das Unverständnis für die Position des Anderen und die hitzigen Debatten, denen er nun wieder folgen wird. "Manchmal empfinde ich die Angriffe als Beleidigung", sagt Adjaye, und dann blitzt es doch wütend aus den sonst freundlichen Augen. "Ich töte doch nicht. Ich bin ein guter Bürger, halte mich an die Gesetze und mache meinen Job." Bleiben wird er, egal wie die Abgeordneten entscheiden. "Berlin ist so idyllisch", sagt er.

© SZ vom 11.04.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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