Geigenbauer:Mit neu mach alt

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Stradivari-Klang mit Kunstharz: Ein Psychoakustiker in Sachsen versucht, modernen Geigen den Klangreichtum alter Instrumente einzuhauchen.

Helmut Martin-Jung

Das ehemalige Sportheim am Rande des Städtchens Geyer im Erzgebirge liegt einsam. Immer enger werden die Straßen, erst unmittelbar vor dem Wald duckt sich das einstöckige Gebäude linker Hand an einen Hang. Hier fährt niemand durch, der nicht hierher will. Was für viele Gewerbetreibende ein Problem wäre, ist für Friedrich Blutner ein Standortvorteil, vielleicht sollte man auch sagen: eine Grundvoraussetzung. Ruhig muss es sein, absolut ruhig, wenn der Psychoakustiker und die Mitarbeiter seiner Firma Synotec ans Werk gehen. Wenn sie dem sanften Gluckern beim Einschenken von Flaschenbier lauschen, dem Knackgeräusch eines Wiener Würstchens - oder dem Klang meisterlicher Geigen.

Blutner wirbt für die Zusammenarbeit von Forschern und Instrumentenbauern: "Auch Stradivari hat sich seinen Lack von einem Apotheker besorgt." (Foto: Foto: Reuters)

Ein heller, fast glockenhaft-metallischer Ton entsteht, wenn Blutner mit den Fingerknöcheln auf einen etwa 40 Zentimeter langen, 25 Zentimeter breiten und 15 Zentimeter tiefen Holzblock klopft. Es ist Fichtenholz, das vor 300 Jahren in Südtirol auf etwa 1600 Metern Höhe geschlagen wurde. Schnell wachsen die Bäume dort ans Licht, erst hoch oben können sie weitere Äste ausbilden. Das Holz dieser Fichtenstämme hat daher regelmäßige, feste Strukturen und wenige Äste. Schon die alten Meister aus dem norditalienischen Cremona, die Andrea Amati, Giuseppe Guarneri und Antonio Stradivari, haben es verwendet für den Bau von Teilen ihrer legendär gewordenen Instrumente.

Musiker wie Laien

Ausgesuchte Hölzer, der Lack, der Leim, die Proportionen des Resonanzkörpers - diese und viele andere Faktoren wirken zusammen bei einem einzigen Ziel: Einer Violine einen großartigen Ton zu geben. Einen Ton, der trägt, auch wenn ein Solist sich gegen ein ganzes Orchester behaupten soll. Wie aber kommt dieser Klang zustande, fragte sich Friedrich Blutner, als er sich vor einigen Jahren mit Meistergeigen zu befassen begann: "Gibt es Gesetze, was sind die Grundmuster?"

Er vermaß Geigen im Hör-Labor, nahm sie mit seiner "akustischen Kamera" auf. Das ist ein computergestütztes Messinstrument, das die Ausbreitung von Schall im zeitlichen Verlauf darstellen kann. Er ließ Testpersonen - Musiker wie Laien - Aufnahmen vorspielen und erfasste deren Eindrücke: Klingt eine Geige eher hell oder dunkel? Wirkt sie aktiv oder passiv? Ist ihr Ton eher fein oder grob? Und schließlich: Empfindet man ihren Klang als angenehm? Die Hörtests lieferten eine Art akustischen Fingerabdruck. "Das akustische Hauptgeheimnis", glaubt Blutner heute, "sind Mischungen, die sich widersprechen". Eine Geige kann also beispielsweise gleichzeitig hell und dunkel sein. "Das ist das Geheimnis von Stradivari", sagt er, "er begriff intuitiv, dass man solche Mischungen braucht".

Fichtenholz aus Südtirol

Wie aber stellt man sie her, diese Mischungen? "Es gibt locker hundert Parameter, die man verändern kann", sagt Blutner, theoretisch hätten Geigenbauer also 10 hoch 100 Kombinationsmöglichkeiten. Auch Stradivari habe erst 30 Jahre Erfahrung sammeln müssen, um seine wirklichen Meisterwerke zu bauen, "das kann man nicht bloß mit dem Kopf machen, sondern nur mit Gespür".

Schon immer haben Friedrich Blutner Klänge interessiert. Als der heute 60-Jährige als Jugendlicher zum ersten Mal hörte, wie sich mit einem Vocoder Geräusche und Stimmen verschmelzen lassen, beschloss er, Fernmeldetechnik zu studieren. Schon bald sattelte er um auf Akustik und Messerfassung und fand seinen Platz schließlich im Instrumentenbau der ehemaligen DDR. Mit Computern überprüft er, ob der Klang der Instrumente den Qualitätsvorgaben entspricht. Nach der Wende entdeckt die Industrie Blutners Fähigkeiten. Wie Gebrauchsgegenstände klingen, ja sogar Lebensmittel, ist ein immer wichtigerer Verkaufs-Faktor, Sounddesign ist das Wort dafür.

"Die Hörwahrnehmung ist anders als das Auge", sagt der Psychoakustiker. Hören sei eine subtile, innere Wahrnehmung. "Die entscheidenden Schlüsselmuster sind unbewusst." Messtechnisch lasse sich das nicht immer erfassen, weiß Blutner. Wie soll man auch messen, was Biertrinker tatsächlich am Klang unterscheiden können: ob das eben eingeschenkte Bier kalt oder warm ist, während ausgebildete Akustiker, die kein Bier mögen, an der Aufgabe scheitern? Oder dass Testpersonen Würstchen als würziger empfinden, nur weil deren Haut beim Hineinbeißen angenehmer knackt?

Auf der Suche nach dem ultimativen Wohlklang landete Blutner schließlich bei der Geige. Sie sei das Vorbild schlechthin für guten Klang, sagt er. Er ließ zuerst mit Holz experimentieren, aber der Werkstoff war ihm zu unbeständig. Um überhaupt erfassen zu können, wie sich Änderungen einzelner akustischer Parameter auswirken, muss dafür gesorgt sein, dass die anderen Werte stabil bleiben. Gerade das aber kann Holz nicht bieten. "Die Streuung war sehr hoch", erzählt Blutner. Nach seinen Vorgaben wurden schließlich Geigen aus Karbonfaser-Werkstoff gebaut.

"Die Streuung war sehr hoch"

Obwohl die Instrumente messtechnisch und in Hörtests gut abschnitten, lehnten viele Musikfreunde sie wegen ihres schwarzen Korpus ab. So wandte sich der Akustiker wieder dem Holz zu. Um dem Naturmaterial Stabilität zu verleihen, lässt er nun den Boden der Instrumente mit Kunstharz ausgießen, das mit einer Fasermatte verstärkt ist. Nur 0,2 Millimeter dick ist die Schicht aus dem Hightech-Material, die im Inneren der Geige aufgetragen wird. Von außen sieht man einer solchen Geige nichts an, aber das Holz wird dadurch erstaunlich stabil. Blutner demonstriert das an einem offenen Geigenkorpus. Obwohl er mit der Hand mit ziemlich viel Kraftaufwand das gewölbte, dünne Holz völlig durchbiegt, bricht es nicht.

Die Instrumente halten durch die Armierung viel leichter dem Zug stand, der durch die gespannten Saiten entsteht, trotzdem bleibt das Holz dünn genug um zu schwingen. Schon immer bestand die Kunst der Geigenbauer darin, das Holz beispielsweise durch Imprägnierungen stabil zu machen. "Aber die alten Meister hatten damals eben noch kein Composite-Harz", sagt Blutner.

Ansonsten ist es wie vor 300 Jahren reine Handwerkskunst, eine moderne Meistergeige zu bauen. Blutner arbeitet mit fünf Geigenbauern zusammen, die nicht nur seine Technik der Harz-Verstärkung nutzen, sondern auch seine Erfahrung mit akustischen Messungen. Die Werte jeder Geige, an deren Bau er beteiligt war, speichert er in einer Datenbank ab. Jeder Geigenbauer erhält die Daten seiner eigenen Instrumente und Ratschläge, wo er verändern kann, damit das Instrument den Klangvorstellungen des Kunden besser entspricht. Das kann beispielsweise eine Matrix sein, die zeigt, wie dick das Holz an welchen Stellen sein sollte, um einen bestimmten Klang zu erzeugen. Zwischen 12.000 und 20.000 Euro kostet ein auf diese Weise verfeinertes Instrument am Ende.

Datenbank der Meistergeigen

Schon die Cremoneser Meister verwendeten die sogenannte Form, einen exakt zugeschnittenen Holzblock, um den herum neue Geigen gebaut wurden. Diese Arbeitsweise hält Blutner sogar für ihre größte Errungenschaft. Diese Standardisierung erst habe die Produktion von Instrumenten auf gleichbleibend hohem Niveau ermöglicht. Durch Intuition und Erfahrung gelangten die italienischen Meister zu dieser Idealform, die dank ihrer Bauweise dafür sorgt, dass einige Frequenzen verstärkt werden - so wie bei ausgebildeten Sängern.

Diese lernen in vielen Jahren harten Trainings, ihren Stimmapparat so zu gebrauchen, dass, wie die Akustiker sagen, Formanten entstehen; das sind Bündel verstärkter Frequenzen. So sind sie auch über einem großen Orchester noch zu hören. Blutner berechnete anhand seiner Daten ebenfalls eine Form. Als er sie in Cremona mit einer erhaltenen Form Stradivaris verglich, stellte sich heraus, dass sein mathematisches Modell und das 300 Jahre alte Holzstück nur um 0,2 Millimeter voneinander abwichen.

Blutner wirbt für die Zusammenarbeit von Forschern und Instrumentenbauern: "Auch Stradivari hat sich seinen Lack von einem Apotheker besorgt", sagt er. Doch lässt er auch der Intuition ihren Platz. Die Menschen aus Stradivaris Zeit seien mehr in sich gekehrt gewesen als das heute möglich sei. Aber um Meisterinstrumente zu bauen, müsse auch heute "etwas im Inneren zünden", sagt er: "Es gibt Sachen, die kann man nicht in Maße bringen."

© SZ vom 30.12.2008/reb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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