Ganz schön schlau:Schwamm vorm Mund

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Von wegen Riesentumor: Delfine schützen ihre Schnauze beim Jagen - und lehren es ihren Jungen.

Von Anke Foßgren

Es war Mitte der 80er Jahre, als ein Fischer ganz aufgeregt zu den Wissenschaftlern der Forschungsstation Monkey Mia in Westaustralien kam. Er habe einen Delfin mit einem riesigen Tumor auf der Schnauze beobachtet.

Ein Jahr später erkannte eine Forscherin das Tier in der Bucht wieder. Doch das ungewöhnliche Gewächs auf der Schnauze des Delfins schrumpfte offenbar von Tauchgang zu Tauchgang.

"Damals glaubten einige Leute der New-Age-Bewegung, sie seien Zeugen der Selbstheilungskräfte der Natur geworden", sagt Michael Krützen von der Universität Zürich, der zwei Jahre lang in der australischen Forschungsstation gearbeitet hat.

Aber der Delfin hatte keinen Tumor, er benutzte ein Werkzeug. Mit einem Schwamm vor der Schnauze "schützte sich das Tier vermutlich beim Gründeln", sagt Krützen, "wie mit einem Handschuh".

Delfine ernähren sich unter anderem von Krebstieren und Tintenfischen, die sie aus dem Bodenschlamm aufscheuchen. Der Schwamm bietet dabei Schutz vor den Stacheln der Seeigel. Schwimmt die Beute davon, lassen die Delfine den Schwamm kurz zum Fressen los, anschließend verwenden sie das Polster weiter.

"Wir haben Delfine gesehen, die denselben Schwamm vier oder fünf Stunden lang benutzten. Er ist offenbar wertvoll für sie", sagt Krützen. Etwa 40 Tiere beherrschten inzwischen die Technik.

Bei der genaueren Analyse ist Krützen jetzt auf eine weitere Besonderheit gestoßen. Offenbar bringen Mütter ihren Töchtern den Gebrauch des Schwammes bei - was in der Tierwelt sehr selten ist.

"Die Kinder brauchen drei bis vier Jahre, bis sie selbstständig sind, da haben sie viel Zeit, das zu lernen." Dass der Nachwuchs auf anderen Wegen die Vorteile des Schwammes entdeckt, schließt Krützen weitgehend aus. In dem Habitat leben Delfine, die ungeschützt jagen. Auch eine Vererbung sei, so die aktuellen Forschungsergebnisse, "extrem unwahrscheinlich".

Erst einmal schießen lernen

Um zu diesem Schluss zu kommen, benötigte der Genetiker allerdings Gewebeproben der Delfine. Inspiriert von Walforschern, die mit einem Luftgewehr kleine Nadeln in die Rückenflosse ihrer Studienobjekte schießen und wieder herausziehen, tüftelte Krützen monatelang.

"Ich musste erst einmal schießen lernen", sagt der ehemalige Zivildienstleistende. Geübt wurde im heimischen Garten in Sydney: "Ich hatte mir die Haut eines Schweins beim Schlachthof besorgt, über einen Styroporblock gezogen und darauf geschossen." Das schreckte die Nachbarn auf, und so musste Krützen eines Tages der Polizei sein Forschungsprojekt erklären.

Das Training war dennoch erfolgreich: Seit 1997 konnte der Genetiker mehr als 800 Gewebeproben von den Delfinen aus der Shark Bay vor Monkey Mia sammeln.

Unter den 185 Tümmlern, deren genetische Daten Krützen jetzt ausgewertet hat, sind 13 "Sponger", also Schwamm-Nutzer. "Als ich an einem verregneten Sonntag in Sydney mit den Daten herumspielte, sah ich auf einmal, dass die Delfine, die Schwämme benutzen, eng verwandt sind", erzählt Krützen. Dennoch ist das Verhalten offenbar nicht vererbt.

"Wir haben zehn verschiedene Vererbungsmechanismen angeschaut und keinen Hinweis auf mögliche Verhaltensgene entdeckt", sagt der Genetiker. Krützens These: Vor wenigen Generationen muss es ein Delfin-Weibchen gegeben haben, das die Vorteile des Schwammes entdeckt und das Verhalten seinen Nachkommen beigebracht hat.

Aber offenbar nur den weiblichen Kindern. Unter den Spongern ist lediglich ein männliches Tier. Krützen erklärt das mit dem natürlichen Verhalten der erwachsenen Männchen. Sie benötigen viel Zeit, um Delfin-Weibchen zu jagen, mit denen sie sich paaren wollen; Weibchen können sich hingegen auf die ungewöhnliche Futtersuche mit dem Schwamm konzentrieren.

Vor dem Geschick der Tiere hat Krützen viel Respekt. Sie beißen offenbar nicht in den Schwamm, stattdessen drückt die Strömung das Polster beim Schwimmen gegen die Schnauze. Unterwasserbilder davon hat Krützen allerdings nicht. "Die Bucht heißt nicht umsonst Shark Bay", sagt er. "Es gibt dort fünf Meter lange Tigerhaie."

PNAS, doi 10.1073, pnas.0500232102

© SZ vom 7.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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