Frage der Woche:Wie wiegt man seinen Planeten?

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Die Erde ist ein wenig zu groß, um sie auf eine Waage zu legen. Wie lässt sich trotzdem ihr Gewicht ermitteln? Wir suchen für Sie die Antworten auf Fragen, die Sie sich immer schon gestellt haben.

Markus C. Schulte von Drach

Die Deutschen sind bekanntlich zu dick. Um das herauszufinden, brauchte man lediglich eine Reihe von ihnen auf eine Waage zu stellen und anschließend die Ergebnisse mit den Werten des sogenannten Body-Mass-Index zu vergleichen.

So klappt das leider nicht. (Foto: Foto: istock)

Schwieriger ist es, das Gewicht der Erde zu messen. Schließlich gibt es keine Waage, die groß genug wäre, um unseren Planeten darauf zu legen.

Wenn wir aber wissen wollen, wieviel Kilos unser Planet besitzt, dann wären unsere Waagen sowieso untauglich. Denn die zeigen unser Gewicht zwar in Kilogramm (kg) an. Das aber ist gar nicht die Einheit des Gewichts, sondern der Masse. Und was wir eigentlich mit einer Waage messen, ist die Gewichtskraft, also die Anziehungskraft, die im Schwerefeld der Erde auf uns wirkt.

Gewicht oder Masse?

Es ist jene Kraft, die uns, würden wir statt auf eine Waage in einen leeren Aufzugsschacht steigen, immer schneller in Richtung Erdmittelpunkt ziehen würde. Und sie hängt ab von der Erdbeschleunigung und unserer Masse. Isaac Newton untersuchte diese Kraft bereits im 17. Jahrhundert - angeblich, nachdem ihm ein Apfel auf den Kopf gefallen war. (Vermutlich stammt diese alberne Geschichte von Leuten, die es nötig hatten, sich über ein Genie lustig zu machen, dessen Erkenntnisse ihnen zu hoch waren.)

Newton stellte fest, dass diese Kraft sich aus dem Produkt einer Masse m und der Erdbeschleunigung g (etwa 9,81 Metern pro Sekundenquadrat) ergibt.

Gemessen wird die Gewichtskraft in Newton (N). (1 N ist die Kraft, die man braucht, um einen ruhenden Körper mit der Masse 1 Kilogramm in 1 Sekunde auf die Geschwindigkeit von 1 Meter pro Sekunde zu beschleunigen. Genau genommen trägt neben der Anziehungskraft der Erde auch die Erdrotation ihren Teil zur Gewichtskraft bei - doch um die Dinge nicht unnötig kompliziert zu machen, sprechen wir hier weiterhin einfach von der Erdanziehung.)

Wir fragen deshalb besser nicht nach dem Gewicht der Erde, sondern nach ihrer Masse in Kilogramm. Denn ihre eigene Gewichtskraft wird erst im Zusammenhang mit anderen großen Körpern wichtig, von denen sie angezogen wird - etwa der Sonne.

Nun hatte bereits Newton festgestellt, dass nicht nur Menschen in Aufzugsschächte stürzen und Äpfel zu Fallobst werden. Vielmehr ziehen sich alle Körper gegenseitig an. Wie stark, das hängt von ihrer Masse und ihrer Entfernung voneinander ab.

Die Kräfte der Gravitation bewirken demnach, dass auch jeder einzelne von uns die Erde anzieht. Allerdings ist unsere Masse im Vergleich zu der unseres Heimatplaneten so gering, dass sie sich kaum bemerkbar macht - was dazu führt, dass unsere Waagen trotzdem recht gut funktionieren.

Apfel und Erde

Um die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern darzustellen, formulierte Newton sein berühmtes Gravitationsgesetz. Es besagt, dass diese Kraft dem Produkt der Massen dieser Körper geteilt durch das Quadrat ihres Abstands voneinander gleicht. Allerdings musste er feststellen, dass seine Formel nur sinnvolle Ergebnisse mit vernünftigen Einheiten erbringen konnte, wenn er eine Naturkonstante einfügte: die Gravitationskonstante.

Und den Wert dieser Zahl kannte der Forscher selbst nicht. Man braucht ihn aber, um die Masse der Erde zu berechnen.

Denn die zwei Formeln Newtons zur Anziehungskraft (die der Erde und die von Körpern im Allgemeinen) lassen sich zwar wunderbar zusammenfassen. Aber . . .

Doch machen wir besser einen Schritt nach dem anderen. Und dazu bemühen wir noch einmal das Beispiel vom fallenden Apfel und Mathematik für Anfänger.

Newton zufolge ist die Gewichtskraft eines Apfels das Produkt seiner Masse und der Erdbeschleunigung. Und das newtonsche Gravitationsgesetz besagt, dass die Anziehungskraft zwischen dem Apfel und der Erde das Produkt der Apfel- und der Erdmasse ist, geteilt durch das Quadrat ihrer Distanz voneinander. Und das Ganze muss dann mit der Gravitationskonstante multipliziert werden.

Als Formeln sieht das etwa so aus:

Anziehungskraft auf der Erde = Apfelmasse x Erdbeschleunigung g

und

Anziehungskraft zwischen Apfel und Erde = Gravitationskonstante x (Apfelmasse x Erdmasse) / Distanz2

Nun lässt sich die Kraft, die das Obst in Richtung Erde bewegt, und die Kraft, mit der sich Apfel und Erde anziehen, gleichsetzen.

Apfelmasse x Erdbeschleunigung g = G x (Apfelmasse x Erdmasse) / Distanz2

Wie dick der Apfel ist, ist uns nun völlig wurscht. Denn seine Masse steht auf beiden Seiten der Gleichung und fliegt deshalb aus der Formel raus. Es bleiben die bereits bekannte Erdbeschleunigung g, die Distanz D, der Wert der Gravitationskonstante G und die Erdmasse übrig.

Nun kann man als Distanz zwischen den Massezentren von Apfel und Erde getrost den Erdradius betrachten. Und der war schon den alten Griechen bekannt: Er beträgt rund 6370 Kilometer.

Um die Masse der Erde zu berechnen, benötigt man also noch den Wert der Gravitationskonstante. Und der war - wie gesagt - noch nicht einmal Newton bekannt.

Henry Cavendish wiegt die Erde

1798 machte sich der englische Physiker Henry Cavendish an die Aufgabe, diesen Wert herauszufinden - und so die Erde zu wiegen, wie es der Brite formulierte.

Cavendish verwendete eine Apparatur, die sein Landsmann John Michell bereits Jahre zuvor entwickelt, aber nie angewendet hatte: eine Gravitationsdrehwaage.

Das Gerät bestand aus einer Art Hantelstange mit Metallkugeln am Ende, die in der Mitte an einem Draht aufgehängt war. Der Physiker überprüfte, welche Kraft man aufwenden musste, um die Hantel gegen den Widerstand des sich verwindenden Drahtes bis zu einem bestimmten Grad zu rotieren. Damit war sein Gerät geeicht.

Dann wurden die Kugeln am Ende der Hantelstange den Anziehungskräften zweier großer, fast 160 Kilogramm schwerer Bleigewichte ausgesetzt.

Die kleineren Kugeln bewegten sich langsam auf die großen zu, die Hantel drehte sich solange, bis der Widerstand, den der Draht gegen weitere Verdrehungen bot, der Anziehungskraft entsprach. Und aufgrund seiner vorherigen Messungen konnte Cavendish ablesen, wie groß diese Kraft war.

Fast ein Jahr brauchte Cavendish, um seine Experimente, die bereits von einem leichten Luftzug gestört werden konnten, zu beenden. Schließlich war er sich sicher, die Anziehungskraft exakt gemessen zu haben. Da er die Gewichte der Kugelmassen und ihre Abstände zueinander kannte, konnte er nun die Gravitationskonstante G berechnen.

Der Forscher kam auf den winzigen Wert von 6,75 mal 10-11 m3/(kg s2). Damit lag er bereits dicht bei der Zahl, die moderne Experimente erbracht haben: 6,67259 mal 10-11 m3/(kg s2).

Nun standen alle Daten zur Verfügung, um die Masse der Erde zu berechnen. Cavendish zufolge waren es 6,6 Tausend Trillionen Tonnen bzw. 6,6 Milliarden Billionen Tonnen.

Inzwischen weiß man, dass es sich um etwas weniger handelt: 5,9736 mal 1024 Kilogramm (5973.600.000.000.000.000.000.000 Kilogramm).

Mit diesem Wissen lässt sich nun auch die Masse andere großer Körper wie etwa der Sonne bestimmen. Die Anziehungskraft zwischen Erde und Sonne enspricht der Zentripetalkraft, die die Erde in ihrer Umlaufbahn hält. Diese berechnet man mit Hilfe des Radius dieser Umlaufbahn und der Geschwindigkeit, mit der sich die Erde bewegt. Und diese Werte sind bekannt.

Wie die Deutschen wird die Erde allerdings immer dicker. Täglich kommen etliche Tonnen in Form von Kometenstaub und Meteoriten hinzu. Doch ein Gewichtsproblem hat unser Planet deshalb nicht. Im Vergleich zum Gesamtgewicht - oder besser: zur Gesamtmasse - macht das nun wirklich nichts aus.

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