Frage der Woche:Warum sind wir alle Klatschweiber?

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Ständig und überall kursieren Gerüchte. Manche hören wir gern, andere machen uns fertig. Wem nützt bloß der ganze Klatsch und Tratsch?

Markus C. Schulte von Drach

Getuschel in der Kaffeeküche, das abrupt endet, wenn man auftaucht, oder verstohlen gewechselte Blicke der Arbeitskollegen verheißen normalerweise nichts Gutes. Jedenfalls für den, den die hier ausgetauschten Gerüchte betreffen.

Klatschen und Tratschen - wir können offenbar nicht anders. (Foto: Foto: istock)

Die Folgen übler Nachrede können furchtbar sein. Nicht nur in der Politik dienen unbewiesene Behauptungen dazu, Gegner zu ruinieren. Darüber hinaus lässt sich mit Gerüchten Hass schüren oder gar die Kriegsbereitschaft anheizen.

Man denke nur an die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion", die den Anspruch der Juden auf die Weltherrschaft belegen sollen und insbesondere in der arabischen Welt noch immer als Rechtfertigung für dem Antisemitismus gelten.

Auf der anderen Seite, so belegen inzwischen eine ganze Reihe von Studien, haben Gerüchte offenbar einen Sinn.

So hilft üble Nachrede, innerhalb einer Gruppe auf nachhaltige Weise zu klären, welches Verhalten akzeptabel ist, und welches nicht. Wer mit anderen "Klatschweibern" schmutzige Wäsche gewaschen und verräterische Flecken in der Bettwäsche anderer Gesellschaftsmitglieder entdeckt hat, bekommt schnell ein Gefühl für die Regeln, nach denen gespielt wird.

Vorteile für die Gruppe

Das geht zwar häufig auf Kosten der Reputation eines anderen, und oft genug völlig zu Unrecht. Doch für die Gruppen selbst stellt das Verhalten offenbar letztlich einen Vorteil dar.

Gerüchte, so erklärt etwa Roy Baumeister von der Florida State University, ermöglichen es den Leuten, soziale Normen innerhalb ihrer Gruppe zu erlernen.

Charles Walker von der St. Bonaventure University im Staat New York stimmt ihm zu. Als die Amerikaner zum Beispiel über Bill Clintons Affäre mit einer Praktikantin im Weißen Haus diskutierten, waren die Gespräche seiner Meinung nach eine Art Test, um festzustellen, ob sich die Haltung der Gesellschaft gegenüber Seitensprüngen und Büro-Romanzen verändert hat.

Ein anderes Beispiel ist die aktuelle Debatte um Steuerhinterziehung. Wenn Prominente wie etwa der ehemalige Postchef Klaus Zumwinkel die Normen ignorieren, zeigt ihr Verhalten vielleicht eine Änderung dieser Normen an? Diese Frage wird gewissermaßen in der Gerüchteküche gestellt - und beantwortet. Im Falle Zumwinkel überwiegend ablehnend.

Und wem es gelingt, im neuen Job die kursierenden Gerüchte zu interpretieren, kann sein eigenes Verhalten - etwa gegenüber den Vorgesetzten - anpassen.

Studien von Kevin Kniffin von der University of Wisconsin in Madison zeigten, dass üble Nachrede tatsächlich als soziales Druckmittel angewendet wird. Kniffin hatte Gruppen von Studenten beobachtet, die auf Zusammenarbeit angewiesen waren - zum Beispiel Teamsportler. Gefährdete ein neues Mitglied den Erfolg, indem es etwa das Training schwänzte, begannen die übrigen, über den Neuen herzuziehen.

Das diente vermutlich nicht nur dazu, den Quertreiber wieder auf Linie zu bringen, sondern machte auch allen anderen deutlich, was in der Gruppe für wichtig erachtet wird. So, ergänzt David Wilson von der State University of New York in Binghamton, gewährleisten Gerüchte das erwünschte Gruppenverhalten.

Das scheint tatsächlich zu funktionieren. Wie Baumeister feststellte, nutzte die Mehrheit der von ihm befragten Studenten Gerüchte, um aus den Fehlern jener, die Opfer übler Nachrede geworden waren, zu lernen. Dabei ging es zum Beispiel um Richtlinien wie: Vergiss nicht, wer deine wahren Freunde sind, oder Untreue kommt am Ende immer ans Licht.

Ein gutes Gefühl dazuzugehören

Letztlich fühlt es sich offenbar gut an, in der Gerüchteküche mitzuköcheln. Man erlebt sich als Teil der Gruppe und darf über andere, die sich nicht gruppenkonform verhalten, herziehen - beides stärkt das Selbstbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl und hilft, mit sozialen und beruflichen Ängsten umzugehen.

Mitglieder einer Gruppe mit starkem inneren Zusammenhalt sind gegenüber Mitgliedern konkurrierender Gruppen mit weniger Teamgeist natürlich im Vorteil. Damit wäre die Entwicklung von Gerüchten und übler Nachrede sogar aus evolutionsbiologischer Sicht plausibel.

Der Einfluss übler Nachrede ist übrigens noch größer als bislang gedacht. Wie eine Studie des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön und der Universität Wien kürzlich gezeigt hat, messen wir ihr sogar größere Bedeutung bei als Fakten.

Wissenschaftler um Ralf Sommerfeld hatten mehr als 100 Studenten ein kleines Spiel spielen lassen: Ein Spender musste jeweils entscheiden, ob er 1,25 Euro, die die Forscher ihm überließen, behalten oder an einen Mitspieler weitergeben wollte.

Spendete der Spieler das Geld, legten die Wissenschaftler noch 75 Cent drauf, so dass ein Empfänger mit zwei Euros aus der Runde herauskommen konnte. Behielt der Spender das Geld, hatte er 1,25 Euro mehr in der Tasche.

Da über mehrere Runden gespielt wurde und die Rolle der Spender und Empfänger wechselte, hatten alle Teilnehmer zusammen die Chance, mit gegenseitiger Hilfe weit mehr Geld mit nach Hause zu nehmen, als wenn alle lediglich die 1,25 Euro Spieleinsatz behielten.

Der Ruf ist wichtiger als die Realität

Während des Spiels sammelten die Forscher Informationen über das Verhalten der einzelnen Spieler und gaben diese später an die Teilnehmer weiter. Ein Spender wusste dann, ob sein Gegenüber selbst zuvor häufig gespendet hatte oder nicht. Und je großzügiger ein Partner gewesen war, umso eher wurde ihm nun Geld überlassen.

Dann allerdings informierten die Forscher die Spieler über Gerüchte, die angeblich unter den Mitspielern kursierten. Und galt der Partner demnach als "übler Geizkragen", ging er nun häufiger leer aus. Angeblich "spendablen Gönnern" dagegen wurde das Geld gern überlassen.

Bis hierher hatte die Studie bestätigt, dass Menschen teilen, wenn sie sich davon am Ende einen Vorteil erhoffen können.

Doch die Neugier der Forscher war noch nicht befriedigt. Deshalb konfrontierten sie die Studienteilnehmer nun gleichzeitig mit einer Liste der vorherigen Entscheidungen ihrer Partner und den kursierenden Gerüchten. Und siehe da: Selbst wenn jemand faktisch konsequent spendabel gewesen war, maßen viele Spender seinem Ruf als Geizkragen größere Bedeutung bei - und umgekehrt.

Die Bereitschaft der Spender, den Einsatz abzugeben, sank bei übler Nachrede das Gegenüber betreffend um rund 20 Prozent und sie stieg um den gleichen Prozentsatz, wenn der Empfänger eine - ungerechtfertigte - gute Reputation hatte.

Vielleicht, so vermutet Sommerfeld, sind wir stärker daran angepasst, auf unsere Mitmenschen zu hören als andere selbst zu beobachten. "Weil wir die meiste Zeit nicht in der Lage sind, deren Verhalten zu sehen, besteht die Gefahr, etwas verpasst zu haben."

Natürlich sind die Situationen in der realen Welt komplizierter als in den Labors der Wissenschaftler. Und wer Gerüchte verbreitet, muss immer auch damit rechnen, dass durch diese der eigene Ruf beschädigt wird.

Damit jetzt nicht das Gerücht aufkommt, wir wollten hier alles nur miesmachen, am Schluss noch zwei gute Nachrichten:

Nicht immer, aber meist betrifft üble Nachrede Personen mit hohem Status - die sich demnach besonders anstrengen müssen, um ihre Position zu rechtfertigen.

Und über Freunde streuen wir besonders häufig positive Gerüchte.

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