Frage der Woche:Warum entscheiden wir uns so oft falsch?

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Der eine denkt ewig über das richtige Auto nach, der andere mietet spontan die neue Wohnung. Wie kommt man zur richtigen Entscheidung?

Markus C. Schulte von Drach

Täglich stehen wir vor wichtigen Entscheidungen: Sollen wir aufstehen und zur Arbeit gehen oder einfach darauf hoffen, dass uns niemand vermisst? Wäre der VW-Bus als Familienkutsche jetzt das richtige Auto oder leistet man sich doch den roten Ferrari und kauft dafür das günstige Haus statt der teuren Villa? Vielleicht ist es auch endlich Zeit, die Zahnpasta, den Internetprovider oder den Partner zu wechseln.

Wieder voll daneben gelegen? (Foto: Foto: iStockphoto)

Manche Entscheidungen lassen sich schnell fällen, andere erfordern ein intensives Nachdenken. Doch hilft es tatsächlich, das Für und Wider ausführlich gegenüberzustellen? Vielleicht sind ja Urteile aus dem Bauch heraus manchmal die besten.

Dafür sprechen zum Beispiel die Studien von Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Der Psychologe konnte nachweisen, dass gerade sehr viele Informationen und langes Nachdenken häufig nicht zum besten Ergebnis führen.

Das gilt zum Beispiel, wenn es um die beste Strategie für den Handel mit Aktien geht, oder im sportlichen Wettkampf. Die schnellen und spontanen Entscheidungen bescheren Laien hier häufig größere Erfolge als das kenntnisreiche Abwägen der Profis.

Aber sollte man sich deshalb tatsächlich eher auf den Bauch als auf den Kopf verlassen?

Dieser Frage gehen seit einigen Jahren auch Wissenschaftler der Universität von Nijmegen nach. Und die Ergebnisse ihrer Studien sind bemerkenswert.

Die Niederländer stellten ihren Versuchspersonen zum Beispiel vier fiktive Appartments in Amsterdam vor. Wie in der Beschreibung eines Maklers wurden zwölf verschiedene Eigenschaften angegeben, etwa die Größe und die Lage der Immobilie. Das Team um Ap Dijksterhuis hatte jedoch eines der Appartments mit besonders vielen positiven Merkmalen ausgestattet, eines mit besonders vielen negativen.

Nachdem sie alle Informationen gelesen hatten, sollten sich einige Probanden sofort - aus dem Bauch heraus - für das beste Appartment entscheiden. Eine zweite Gruppe durfte drei Minuten bewusst darüber nachdenken. Und eine dritte Gruppe sollte sich ebenfalls nach drei Minuten äußern. Ihre Mitglieder wurden in dieser Zeit jedoch mit Rätselaufgaben abgelenkt.

Erfolg der "unbewussten Denker"

Dijksterhuis und seine Kollegen bezeichneten diese letzte Gruppe als "unbewusste Denker". Und sie erkannten deutlich häufiger als die Bauchentscheider oder die bewussten Abwäger, welches das beste Appartment war.

Es scheint, als wäre in ihren Köpfen gewissermaßen im Hintergrund ein Entscheidungsprozess abgelaufen, während sie sich mit irgendwelchen Worträtseln beschäftigt hatten - ein unbewusster Entscheidungsprozess, der ein besseres Ergebnis hervorbrachte, als bewusstes Nachdenken.

Sollten wir also, bevor wir ein Urteil fällen, immer einige Runden Sudoku spielen?

Ganz so einfach ist es leider nicht, wie die Niederländer in weiteren Versuchen feststellten. Inspiriert von ihrem Appartment-Test stellten sie Versuchspersonen vor die Wahl eines von vier fiktiven, unterschiedlich gut ausgestatteten Autos.

Diesmal aber verglichen sie nicht nur den Erfolg der bewussten oder unbewussten Denker. In einem Versuch besaßen die Autos vier positive oder negative Merkmale, in einem zweiten Test waren es dreimal so viele Eigenschaften.

Es stellte sich heraus, dass jene, die vier Minuten bewusst nachdenken durften, sich häufiger für das beste Auto entschieden - wenn sie nur vier Merkmale berücksichtigen mussten. Waren es jedoch zwölf Eigenschaften, lagen diejenigen vorn, die abgelenkt worden waren und demnach nicht über ihre Wahl hatten nachdenken können.

Nun gibt es natürlich Produkte wie Autos oder teure Fotokameras, die eine große Zahl von Merkmalen besitzen, welche vor einer Entscheidung berücksichtigt werden sollten. Über andere Dinge wie Shampoo-Sorten, Musik-CDs oder Schuhe denken wir nicht ganz so viel nach.

Wie die niederländischen Wissenschaftler in einer Befragung feststellten, sind wir jedoch gerade nach eher einfachen Kaufentscheidungen besonders zufrieden mit dem Ergebnis, wenn wir ausführlich darüber nachgedacht hatten. "Umgekehrt waren jene, die am meisten über komplexe Produkte (solche mit vielen Eigenschaften) nachgedacht hatten, am wenigsten mit den gekauften Artikeln zufrieden", berichten die Forscher.

Schließlich befragten sie Kunden des Möbelhauses Ikea und der niederländischen Kaufhauskette Bijenkorf, die Haushaltsartikel und Kleidung verkauft. Sechs Wochen nach dem Einkauf waren jene, die nach längerem Nachdenken die einfacheren Bijenkorf-Produkte erstanden hatten, besonders zufrieden. Bei den Ikea-Kunden dagegen war es umgekehrt. Hier erfreuten sich besonders jene an den gekauften Möbeln, die zuvor nicht lange überlegt hatten.

Besser eine Nacht drüber schlafen

Die Ergebnisse aus dem Labor der Niederländer bestätigten sich demnach in der freien Wildbahn der Konsumenten: "Bewusste Denker treffen die beste Entscheidung, wenn es um einfache Produkte geht, doch unbewusste Denker sind in der Lage, die beste Wahl unter komplexen Produkten zu treffen", schließen die Forscher.

Dijksterhuis und seine Kollegen gehen davon aus, dass es keinen Grund zu der Annahme gibt, die Effekte des "unbewussten Überlegens" ließen sich nicht verallgemeinern. So könnten sie sich auch auf die Entscheidungen von Politikern oder Managern auswirken. Geht es um komplizierte Angelegenheiten, sollte man auch hier das Denken vielleicht dem Unterbewusstsein überlassen.

Dieser Gedanke ist natürlich gewöhnungsbedürftig. Allerdings wissen Hirnforscher schon lange, dass unsere Fähigkeiten, über komplizierte Probleme bewusst nachzudenken, stärker eingeschränkt sind, als wir wahrhaben wollen. Das hängt zum Beispiel schlicht und einfach mit den Kapazitäten unseres Arbeitsgedächtnisses zusammen.

Auf der anderen Seite unterschätzen wir die Fähigkeiten unseres Unterbewusstseins. Das ermöglicht uns nicht nur, Auto zu fahren, ohne ständig über die Bedienung der diversen Pedale und Schalter nachzudenken. Es kann viel mehr. Wir bekommen davon nur nicht so viel mit.

Aber manchmal stellen wir doch fest, dass da in unserem Kopf, unbemerkt vom Ich, etwas stattgefunden hat. Wenn wir zum Beispiel eine "Eingebung" haben. Oder uns fällt eine halbe Stunde nach einem Gespräch unvermittelt das Wort ein, nach dem wir erfolglos gesucht hatten. Auch Wissenschaftler und Erfinder berichten immer wieder davon, dass ihnen die Lösung eines Problems erst eingefallen ist, nachdem sie sich etwas anderem zugewandt haben. Verlassen kann man sich darauf natürlich auch nicht.

Auf jeden Fall bestätigen die Erkenntnisse der Psychologen und Hirnforscher einen altbekannten Rat: Wer vor einer schwierigen Entscheidung steht und sie nicht sofort fällen muss, sollte noch eine Nacht darüber schlafen.

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