Evolution oder Schöpfung?:Lasst Darwin in Ruhe

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Die hessische Kultusministerin hat gefordert, Schöpfungsthemen in den Biologieunterricht einzuführen. Wie viele Deutsche hegt sie offenbar Sympathie für "Intelligent Design". Doch das ist keine Wissenschaft - und hat im Biologieunterricht nichts zu suchen.

Patrick Illinger

Die Schwierigkeiten der Herren Kepler, Kopernikus und Galileo mit den Geistlichen ihrer Zeit sind weithin bekannt. Bei dem Versuch, die Erde aus dem Mittelpunkt des Sonnensystems zu rücken, stießen die Astronomen auf heftige Gegenwehr.

Weniger bekannt ist, dass auch die Himmelsforscher seinerzeit Skrupel hatten, die Erde zum Trabanten zu degradieren. Und nachdem die Hierarchie im Planetensystem nicht mehr zu leugnen war, verfestigte sich das nächste anthropozentrisch gefärbte Weltbild: Bis weit ins 20.Jahrhundert hinein vermuteten Astronomen die Milchstraße, mithin den Wohnort der Menschheit, im Zentrum des Universums.

Es ist eine urmenschliche Sehnsucht, sich selbst an einem besonderen Platz im Kosmos zu sehen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse erregen unweigerlich Anstoß, wenn sie das Selbstbild der Menschheit zu beschädigen scheinen. Heute löst die Vorstellung eines basisdemokratischen Weltraums kaum mehr Proteste aus.

Doch nun droht eine andere naturwissenschaftliche Disziplin Opfer menschlichen Unbehagens zu werden: die vor 150 Jahren von Charles Darwin begründete Evolutionsbiologie, welche die Vielfalt der Lebewesen als Produkt eines Milliarden Jahre währenden Wechselspiels von genetischer Mutation und natürlicher Auslese beschreibt.

Vielen Menschen sticht es wie ein Dorn ins Auge, dass Affen oder gar "niedere" Lebewesen zu ihrer Verwandtschaft zählen. Proteste gegen die Evolutionslehre sind nicht mehr nur aus dem mittleren Westen der USA zu hören, sondern auch in Deutschland, wo Umfragen zufolge mehr als ein Fünftel der Menschen Vorbehalte gegen die Evolutionsbiologie hat.

Ähnliche Zweifel dürften auch die hessische Kultusministerin Karin Wolff jüngst zu der Forderung veranlasst haben, Schöpfungsthemen in den Biologieunterricht der Schulen einzuführen. Auf die Kritik seitens der Wissenschaft hin legte der Augsburger Bischof Walter Mixa dann nach: Das Festhalten der Forscher an der Evolutionstheorie habe "etwas Totalitäres", sagte Mixa, und sei auch aus Sicht der Wissenschaft unvernünftig.

Die Finger des "großen Gestalters"

Nun stehen weder die Ministerin noch der Bischof im Verdacht, eine mittelalterliche Schöpfungslehre zu vertreten, der zufolge die Erde mit allen Lebewesen vor 6000 Jahren erschaffen wurde. Doch in den Anwürfen schwingt durchaus Sympathie für eine sanftere Form des Kreationismus mit, eine in den vergangenen Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks populär gewordene, modernisierte Form der klassischen Schöpfungslehre.

Die Verfechter der "Intelligent Design" genannten Idee vermeiden eine Frontalkollision mit den Naturwissenschaften, indem sie Grundzüge der Erdgeschichte anerkennen.

Sie behaupten allerdings, bei der Entstehung neuer Tier- und Pflanzenarten habe ein großer Gestalter die Finger im Spiel. Das Wort Gott wird geflissentlich vermieden, um die Lehre für amerikanische Klassenzimmer tauglich zu machen, wo religiöse Inhalte strikt vom übrigen Unterricht getrennt werden.

Den Verfechtern dieser im Laborkittel daherkommenden Version des Kreationismus ist es auf perfide Weise gelungen, den Eindruck zu erzeugen, es gebe ein wissenschaftlich begründetes Gegenmodell zu der etablierten Evolutionslehre.

Die Argumente der Kreationisten zielen daher vor allem darauf ab, in den - durchaus vorhandenen - Lücken der Darwinschen Idee zu stochern, um Indizien für den "Intelligenten Designer" zu sammeln.

Dass es erkenntnistheoretisch Unfug ist, eine Theorie zu untermauern, indem man eine andere Theorie ablehnt, stört die Anti-Darwinisten nicht. Konstruktive Beweise für die eigene Schöpfer-These bleiben sie schuldig, und anstelle falsifizierbarer Daten präsentieren sie Behauptungen.

Bischof Mixas Vorwurf des "totalitären" Festhaltens an der Evolutionslehre ist deshalb so verwerflich, weil er insinuiert, wissenschaftliche Erkenntnisse seien ein persönliches Anliegen der beteiligten Forscher, also Ansichtssache. Das ist ein massiver Schlag gegen die Prinzipien der Aufklärung, auf denen die moderne Zivilisation basiert.

Die Durchbrüche in den Naturwissenschaften gelingen vor allem deshalb, weil Wissenschaftler ihre eigenen, menschlichen Meinungen, Sehnsüchte und Vorlieben der mühsamen Methodik des Erkenntnisprozesses unterordnen.

Dieser Ablauf wird von Neokreationisten pervertiert, indem das Ergebnis feststeht, bevor die Beweissuche begonnen hat. Unabhängig von der Darreichungsform ist Kreationismus nicht einmal schlechte Wissenschaft. Es ist gar keine Wissenschaft - und hat im Biologieunterricht nichts zu suchen.

Gott als Handwerker

Noch mehr aufstoßen müsste gläubigen Menschen, dass die neokreationistische Idee bei genauem Hinsehen nur den seichten Abklatsch einer christlichen Religionslehre darstellt.

Was sonst soll man von eine Theorie halten, die dem allmächtigen Schöpfer abverlangt, dass er sich Milliarden Jahre lang mit Facettenaugen und Krebsschwänzen beschäftigt, dabei regelmäßig scheitert, weil die meisten Geschöpfe aussterben, und schließlich den Menschen erschafft, der sich zwar selbst gern für vollendet hält, von dem aber längst nicht erwiesen ist, dass er erdgeschichtlich relevante Zeiträume überdauern kann?

Nein, solch eine Vorstellung enthält arg viel menschliche Sehnsucht. Hier wird nicht Gottes Ebenbild gezimmert, sondern ein Gott nach allzu menschlichem Ebenbild. Diese Vorstellung eines vor sich hin dilettierenden Schöpfers, einer Art Handwerkergott, ist bei Naturvölkern verbreitet. Mit der christlichen Idee eines allmächtigen Schöpfers hat das nichts zu tun.

Auch in seiner runderneuerten, wissenschaftlich anmutenden Ausprägung ist Kreationismus nur die kümmerliche Light-Version der christlichen Religionslehre. Warum sich Papst Benedikt XVI. dieser Strömung weniger explizit entgegenstellt als sein Vorgänger, bleibt offen.

Die modernen Kreationisten profitieren davon, dass sie eine Entweder-oder-Entscheidung konstruieren, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Um gläubige Menschen vor die Gewissensfrage zu stellen, wird die Evolutionsbiologie mutwillig mit dem üblen Beigeschmack der Gottlosigkeit verpestet.

Immer wieder zitieren Kreationisten den Genetiker und Buchautor Richard Dawkins. Er behauptete, dass man dank der Evolutionstheorie endlich "ein zutiefst befriedigter Atheist" sein könne.

Doch Dawkins missbraucht hier die Aussagekraft seiner Wissenschaft auf unredliche Weise und bringt lediglich eine persönliche Weltsicht zum Ausdruck.

So wie es für einen fundierten Glauben unnötig ist, in jedem Darmbakterium das Werk Gottes zu erkennen, sollten Naturwissenschaftler nicht damit kokettieren, die überwältigenden Fragen nach dem Warum und dem Sinn des Daseins beantworten zu können. Hier liegt ein gewaltiges, den Naturwissenschaften nicht zugängliches Reich. Dieses kann - zutiefst befriedigend - mit Glauben erfüllt werden.

© SZ vom 14.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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