Evolution des Menschen:Anders als die anderen Affen

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Was unterscheidet uns von anderen Primaten? Eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage gibt es bislang nicht. Nun soll eine neue Methode der Erbgutanalyse Aufschluss geben.

Katrin Blawat

Was den Menschen vom Affen unterscheidet? Eine zufriedenstellende Antwort gibt es auch drei Jahre nach der Entschlüsselung des Schimpansenerbguts nicht.

Was unterscheidet uns vom Affen? (Foto: Foto: AP)

Denn die Abfolge der DNS-Bausteine alleine birgt nicht das ganze Geheimnis einer Spezies.

98,6 Prozent der Gene von Schimpanse und Mensch seien identisch, schrieb eine internationale Gruppe von Genforschern im Jahr 2003 in den Fachblättern Science und Nature.

Doch entscheidend ist nicht nur, welche Gene ein Organismus hat, sondern vor allem, wie er sie benutzt. Welche Produkte erzeugt ein Gen also, und wie wird die Aktivität einzelner Gene gesteuert?

Diese Fragen hatten Genetiker um Michael Oldham von der David Geffen School of Medicine in Los Angeles im Kopf, als sie nach einer neuen Methode suchten, um die vielen Daten über das Schimpansen-Erbgut zu strukturieren.

"Wenn man jedes Gen einzeln untersucht, ist es etwa so, als würde man in einem Text nur jedes fünfte Wort lesen", sagt Oldham, "der Zusammenhang fehlt".

Also benutzten er und seine Kollegen kleine Chips, mit denen sie die Aktivität vieler tausend Gene gleichzeitig messen konnten.

Daraus erstellten sie Genkarten, die zeigen, welche Gene sich bei Mensch und Schimpanse gegenseitig beeinflussen und wie stark diese Wechselwirkungen in verschiedenen Hirnregionen beider Arten sind ( PNAS, Bd. 103, S. 17973, 2006).

Unterschiede in der Großhirnrinde

Als die Genetiker die Gen-Aktivitätskarten beider Spezies miteinander verglichen, stellten sie fest:

In der Großhirnrinde, dem evolutionär jüngsten Gehirnteil, der beim Menschen dreimal so groß ist wie beim Schimpansen, unterscheidet sich die Zusammenarbeit einer Gruppe von Genen besonders stark.

In anderen Hirnregionen, die zum Beispiel Bewegungen des Körpers steuern, fanden die Wissenschaftler dagegen geringere Unterschiede zwischen Mensch und Affe.

"Komplizierte Netzwerke von Genen vorstellen"

Im Grunde sei dieser Zusammenhang zwischen dem entwicklungsgeschichtlichen Alter einzelner Hirnregionen und dem Ausmaß der artspezifischen Unterschiede in den Genaktivitäten nicht überraschend, sagt Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin.

Allerdings konnte man bislang nur darüber spekulieren, da es an geeigneten Untersuchungsmöglichkeiten fehlte.

Der systembiologische Ansatz von Oldham eröffnet neue Einblicke in die genetischen Unterschiede zwischen den Arten. "Um die Funktionsweise des Primatengenoms zu verstehen, ist es notwendig, sich komplizierte Netzwerke von Genen vorzustellen", sagt Yaspo, die selbst das Chimpansenerbgut erforscht.

Kritische Gedanken zur Aussagekraft der nackten DNS-Sequenz äußerte bereits Andrew Clark kurz nach der Veröffentlichung des Schimpansengenoms, woran der Wissenschaftler von der Cornell University in New York selbst maßgeblich beteiligt war: "Wir sind uns nicht sicher, ob diese Art der Analyse wirklich informativ ist."

Denn selbst wenn Forscher bloß die Abfolge der DNS-Bausteine untersuchen und mögliche Interaktionen außer Acht lassen, sind die Fakten noch unklar.

"Von dem gesamten Schimpansengenom gibt es zurzeit nur eine Art Arbeitsversion; über viele Bereiche weiß man noch nichts Genaues", sagt Helmut Blöcker vom Helmholtzzentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Widersprüchliche Ergebnisse

Zusammen mit Kollegen hat Blöcker das Chromosom 22 des Schimpansengenoms analysiert - und stieß dabei auf viel größere Unterschiede, als sie ein knappes Jahr zuvor publiziert worden waren. Als nächstes wollen die Forscher die Gene auf den Geschlechtschromosomen untersuchen. Diese Gene sind an der Entstehung vieler Erbkrankheiten beteiligt.

Derweil hofft Michael Oldham, aus seinen Genkarten ablesen zu können, welche Mutationen für die Weiterentwicklung des Menschen verantwortlich gewesen sind. Wenn Forscher diesen Prozess der letzten sechs Millionen Jahre, in denen sich der Mensch getrennt vom Affen entwickelt hat, verstehen, wissen sie vielleicht auch, was den Mensch zum Menschen macht.

© SZ vom 14.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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