Europäische Studie:Entwaldung kommt teurer als die Finanzkrise

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1,4 Billionen Dollar kostet der Abschwung. Doch durch die Zerstörung der Wälder verliert die Weltwirtschaft zwei bis fünf Billionen Dollar. Jährlich.

M. C. Schulte von Drach

Die Aktienkurse sind im freien Fall, der globale Abschwung beschleunigt sich, an den Börsen herrscht Panik, das Vertrauen in die Finanzinstitutionen ist auf das Schwerste erschüttert, ganze Länder stehen vor dem Bankrott - die Finanzkrise liefert eine dramatische Schlagzeile nach der anderen. In dieser Woche fasste der Internationale Währungsfonds (IWF) die Krise in Zahlen: 1,4 Billionen Dollar (rund eine Billion Euro), beträgt der Verlust der Finanzmärkte.

Zwei bis fünf Billionen Dollar gehen verloren aufgrund der Zerstörung der Wälder weltweit. Jährlich. (Foto: Foto: AFP)

Die Aufregung ist gerechtfertigt. Doch auf der anderen Seite verliert die Weltwirtschaft auf anderen Wegen noch viel mehr Geld, ohne dass deshalb in den Industriestaaten Panik ausbricht. Zwei bis fünf Billionen Dollar - also etwa doppelt so viel Geld wie aufgrund der Finanzkrise - gehen verloren aufgrund der Zerstörung der Wälder weltweit. Und zwar jedes Jahr aufs Neue.

Das geht aus einer Studie von Experten der Europäischen Kommission hervor. Demnach, so berichtete jetzt Pavan Sukhdev, Abteilungsleiter bei der Deutschen Bank in Indien und Studienleiter auf dem World Conservation Congress der Weltnaturschutzunion IUCN in Barcelona, stellen die Kosten, die durch die Zerstörung der Umwelt verursacht werden, die Verluste der Finanzmärkte weit in den Schatten.

Teuer kommt es die Menschheit zu stehen, dass Wälder in vielen Regionen der Welt Wasserversorgung und Landwirtschaft gewährleisten. Außerdem speichern sie Kohlendioxid und helfen so, den Klimawandel zu bremsen. Und das, was bislang von der Natur gewissermaßen umsonst bereitgestellt wurde, muss nach einem Verlust der Waldflächen bezahlt werden.

Noch immer werden diese "ökosystemaren Dienstleistungen", von denen "unser Wohlergehen vollkommen abhängig ist, ... von unserem aktuellen Wirtschaftskompass oft nicht wahrgenommen", hatten die Experten der EU-Kommission nach der ersten Phase ihrer Studie "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" (Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität), kurz TEEB, festgestellt.

Bereits 2006 hatte der britische Ökonom Nicholas Stern gewarnt, die Kosten der Erderwärmung könnten fünf bis zwanzig Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes betragen.

Daraufhin hatte der deutsche Bundesumweltminister Sigmar Gabriel im Rahmen der EU-Präsidentschaft Deutschlands im vergangenen Jahr zusammen mit dem EU-Kommissar für Umwelt die TEEB-Studie auf den Weg gebracht. Finanziert wird die Untersuchung von der Europäischen Kommission.

Die Untersuchung hat das Ziel, den wahren ökonomischen Wert der Leistungen festzustellen, den die Menschen von der Natur erhalten. Bereits im Mai 2008 konnten Sukhdev und seine Mitarbeiter im Rahmen der UN-Naturschutzkonferenz in Bonn den ersten Zwischenbericht vorlegen. Demnach sind manche Ökosysteme wahrscheinlich bereits "irreparabel geschädigt". Und ohne gravierende Veränderungen, so stellten die Experten fest, muss die Menschheit bis 2050 mit schwerwiegenden Folgen rechnen.

"In den ersten Jahren des Zeitraumes 2000 bis 2050 wurde geschätzt, dass jedes Jahr allein an Land Ökosystem-Leistungen im Wert von etwa 50 Milliraden Euro verlorengehen", erklärten die Fachleute. Wobei diese Summe nicht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betreffen soll, sondern "ein Wohlstandsverlust ist, da große Teile des Nutzens gegenwärtig nicht Bestandteil des BIP sind". Diese Verluste könnten "bis 2050 auf mindestens sieben Prozent des weltweiten Jahresverbrauchs anwachsen".

Vor allem Arme sind betroffen

Warum diese Zahlen in den Industriestaaten keine ähnliche Panik auslösen wie die Finanzkrise, liegt möglicherweise daran, dass vor allem arme Länder betroffen sind, in denen große Teile der Bevölkerung direkt abhängig sind von den Wäldern. Für den Westen wird sich der Verlust der Wälder zumindest anfänglich "nur" bemerkbar machen, weil Kohlendioxid-Emissionen von der Natur nicht mehr so stark kompensiert werden.

Wie Sukhdev am Rande der IUCN-Konferenz in Barcelona dem britischen Nachrichtensender BBC erklärte, begreifen Regierungen und Wirtschaftsunternehmen langsam, was auf dem Spiel steht. "Die Zeiten haben sich geändert", zitiert der Sender den Ökonomen. "Wenn ich heute mit ihnen spreche, hören sie zu."

Die Zahlen im Stern-Bericht hätten die Politiker aufgeweckt, erklärte Andrew Mitchel von der Umweltschutzorganisation Global Canopy Programme der BBC. "TEEB wird ihnen nun den Wert der Natur vor Augen führen, und das Risiko, das wir eingehen, wenn wir diesen nicht angemessen berücksichtigen."

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