Erbgut-Analyse:Zellen, die in die Zelle führen

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Das Ziel neuester wissenschaftlicher Untersuchungen ist, unter den tausenden Erbgut-Partikeln am Tatort diejenigen des Täters zu finden.

Hanno Charisius

Verbrecher sollten schweigsam sein. Ein Satz genügt, um sie zu überführen. In einer Strumpfmaske zum Beispiel hinterlassen bereits wenige Wörter genügend Speichel, um daraus einen genetischen Fingerabdruck herauszulesen.

"Die Erbgut-Analyse hat die Kriminaltechnik revolutioniert", sagt der Rechtsmediziner Burkhard Rolf von der Universität München. 1985 entwickelte der Brite Alec Jeffreys das Verfahren, nachdem er entdeckt hatte, dass es im menschlichen Erbgut Abschnitte gibt, die zwar keine wichtigen genetischen Informationen tragen, aber bei jedem Menschen einzigartig sind. Inzwischen können Genetiker auch Haar-, Augen und Hautfarbe halbwegs sicher aus frischen DNS-Spuren bestimmen, in Deutschland ist das aber nicht erlaubt. Das für die Analyse nötige Erbmaterial kann aus Blutstropfen am Tatort stammen, aus Sperma, Haaren oder einer Hautschuppe, von denen jeder Mensch in jeder Minute Tausende verliert.

Anhand alter Erbgutspuren konnten bereits Verbrechen aufgeklärt werden, die dreißig Jahre zuvor verübt worden waren. Genauso hat die Methode bereits unschuldig Verurteilte nach Jahren aus dem Gefängnis befreit, in den USA sogar vor der Vollstreckung des Todesurteils bewahrt. Und die Bedeutung des genetischen Fingerabdrucks für die Kriminalistik wächst stetig, "auch weil die Methode immer empfindlicher wird", sagt Burkhard Rolf.

Nur fünfzig Zellen benötigt er im Idealfall, um das DNS-Profil eines Verdächtigen zu erstellen. Vor wenigen Jahren brauchte man noch ein Vielfaches der Menge. So entgingen den Forensikern damals Spuren, die man heute ohne Probleme auswerten kann. Bis Ende des vergangenen Jahres hatten sich so 648.644 Datensätze in der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamts angesammelt und jeden Monat kommen mehr als 9000 neue hinzu.

Wie sensibel die Methode heute ist, zeigt ein Experiment des britischen Forchers Guy Rutty von der Universität Leicester. Er ließ eine Versuchsperson einen sterilen Raum betreten, einen kurzen Satz sprechen und wieder hinausgehen. Aus dem, was er in der Kammer fand, konnte Rutty ein eindeutiges DNS-Profil des Sprechers erstellen.

Diese extreme Empfindlichkeit birgt aber auch Probleme. Meist findet die Spurensicherung an einem Tatort nicht nur Erbgut vom Täter, sondern auch reichlich Material von Unbeteiligten. Wenn man genau genug hinschaut, wird man auf einem aufgebrochenen Auto DNS-Spuren von Dutzenden Menschen finden, die vielleicht mit dem Wind heranweht wurden. Wie man in einem solchen Gemenge die "tatrelevanten" Spuren erkennt, sei eine der wichtigsten Fragen, erklärt Werner Pflug vom Landeskriminalamt in Stuttgart. Dafür gebe es Methoden, doch werde er das Vorgehen der Ermittler nicht verraten - um Kriminellen keinen Vorteil zu verschaffen.

Diese Vorsicht sei durchaus begründet, befürchtet der britische Forensiker Rutty. Fernsehberichte über die moderne Kriminaltechnik gäben Verbrechern Hinweise darauf, wie sie ihre Spuren verwischen können. Ein Krimineller müsste nur ein paar fremde Zigarettenstummel am Tatort verteilen, um eine falsche Spur zu legen. Er könnte auch Computertastaturen aus einem fremden Büro über einer Plastiktüte ausklopfen und den Dreck dann strategisch am Tatort verstreuen.

Solche Trugspuren würden häufig diskutiert, sagt Pflug, doch spielten sie in der Praxis bislang keine Rolle. Das bestätigt Christa Augustin vom Institut für Rechtsmedizin an der Uni-Klinik in Hamburg. Soweit sie es beurteilen könne, habe sie es noch nie mit einer gefälschten Spur zu tun gehabt. Es sei sicherlich die Ausnahme, dass Kriminelle bewusst falsche Spuren legen, erklärt auch Burkhard Rolf. Ohnehin würde ein einzelner DNS-Fingerabdruck einem Gericht nicht genügen, um einen Verdächtigen zu verurteilen.

"Nach mehr als 30 Jahren mit der Fernsehserie Tatort müsste eigentlich jeder wissen, dass man keine Fingerabdrücke hinterlassen sollte", sagt Rolf. "Und trotzdem findet die Spurensicherung noch immer reichlich." Auch die Totalrasur des Körpers oder Schutzkleidung schützt nicht vor DNS-Verlust. "Irgendein Fehler passiert immer", sagt Christa Augustin. Und sei es, dass der Täter einfach nur niesen muss. Im Sprühnebel aus Mund und Nase findet sich reichlich Erbgut.

© SZ vom 29./30.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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