Genf (dpa) - Um Strom zu sparen, geht der weltweit größte Teilchenbeschleuniger vorzeitig in die übliche Winterpause. Wegen der Energiekrise wird die Anlage der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) im französisch-schweizerischen Grenzgebiet bei Genf am 28. November zwei Wochen früher als geplant heruntergefahren.
Auch 2023 soll die Betriebszeit gekürzt werden, in beiden Jahren zusammen um 20 Prozent. Dadurch werden weniger Daten für die Forschung erzeugt, wie Forschungsdirektor Joachim Mnich der Deutschen Presse-Agentur erläuterte. Auch bei stromintensiven deutschen Forschungsinstituten gibt es den Druck, Energie zu sparen.
Beim Cern hatte der französische Stromlieferant EDF um die kürzere Betriebszeit gebeten. Sie dürfte das System deutlich entlasten: Der Beschleuniger LHC verbraucht in einem vollen Betriebsjahr so viel Strom wie die Haushalte einer 300.000-Einwohner-Stadt.
Einschränkung ist „verschmerzbar“
Im LHC werden während der Laufzeit pro Sekunde etwa zwei Milliarden Kollisionen zwischen Protonen erzeugt. Aus den Zerfallsprozessen gewinnen Physikerinnen und Physiker Erkenntnisse über die Bausteine der Materie. Eine kürzere Laufzeit bedeutet weniger Kollisionen. Der Verlust lasse sich zwar nicht aufholen, weil der LHC und die Geräte, die die Daten aufzeichnen, an ihrer derzeitigen Leistungsgrenze seien, sagte Mnich. Aber: „Gemessen an der ganzen derzeitigen LHC-Betriebsperiode von vier Jahren sind 20 Prozent weniger Kollisionen in diesem und im nächsten Jahr verschmerzbar.“
Die Physiker denken aber weiter. „Sollten die Strompreise langfristig hoch bleiben, könnte das dazu führen, dass wir das Physikprogramm reduzieren oder zeitlich strecken müssen“, so Mnich. Geprüft werde, wo sonst noch Strom gespart werden könne. Unter anderem soll mit der Abwärme der Energie, die verbraucht wird, bald eine Neubausiedlung beheizt werden. Zudem sollen ab Ende 2023 Cern-Gebäude mit der Abwärme eines neuen Rechenzentrums versorgt werden.
Auch in Deutschland wird gespart - aber anders
Auch deutsche Forschungseinrichtungen haben Energiesparpläne. Dabei geht es aber weniger um eine Reduzierung bei laufenden Experimenten und Anlagen als um Einsparungen in den Gebäudekomplexen. So werden Kühl- und Lüftungsleistungen reduziert, Gebäudetemperaturen gesenkt, Lichter ausgeschaltet, die Warmwasserversorgung reduziert oder mehr Photovoltaik-Anlagen eingerichtet.
Das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) etwa will den Betrieb der energieintensiven Röntgenquelle Bessy II im Winter ohne Unterbrechung fortsetzen. Die Forschung dort sei eine „Grundlage für die sichere, nachhaltige Energieversorgung der Zukunft und muss deshalb weitergehen“, sagte eine HZB-Sprecherin der dpa. Ziel seien Konzepte zur Energieversorgung ohne klimaschädliche fossile Quellen. Geforscht werde an effizienteren Solarzellen und Materialien für Batterien sowie neuen Katalysatoren für die Erzeugung und Verarbeitung von grünem Wasserstoff. Der Elektronenspeicherring in Adlershof benötige samt zugehöriger Einrichtungen im Jahr so viel Strom wie 7500 Vier-Personen-Haushalte.
Bei einem der größten Rechenzentren Europas in Garching bei München, dem Leibniz-Rechenzentrum, wurde geprüft, ob Energie durch die Reduzierung der Taktfrequenz der Prozessoren gespart werden könnte. „In der Realität führt dies aber dazu, dass die einzelnen Anwendungen länger auf dem Supercomputer rechnen und am Ende sogar mehr Strom verbrauchen“, erklärte der Leiter, Dieter Kranzlmüller, der dpa.
Sparen durch Wartung
Beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt ist der Beschleuniger ohnehin in einer geplanten Wartungsphase. Auch beim Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching fällt der Energiebedarf für das Großexperiment „ASDEX Upgrade“ in weiten Bereichen erst mal weg, weil es in den kommenden zwei Jahren umgebaut wird. Das zweite IPP-Experiment in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, „Wendelstein 7-X“, lasse sich weder in einen Sparmodus schalten noch könne die Experimentierzeit sinnvoll verkürzt werden, sagte ein Sprecher. Mit dem Netzbetreiber sei aber vereinbart, dass die Arbeits- und Experimentierzeiten im Fall von Versorgungsengpässen in verbrauchsärmere Tageszeiten gelegt werden.
Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven geht nicht davon aus, dass geplante Expeditionen im nächsten Jahr abgesagt werden müssen. Das AWI betreibt das Forschungsschiff „Polarstern“, das durchschnittlich an mehr als 300 Tagen im Jahr im Einsatz ist, sowie weitere Schiffe und Polarflugzeuge. In diesem und den nächsten beiden Jahren werden die deutlich höheren Ausgaben für Treibstoff noch durch staatliche Zuwendungen oder Umschichtungen im Budget gedeckt. „Sollte die aktuelle Hochpreislage beim Schiffsdiesel über mehrere Jahre anhalten oder sich gar verschärfen, wäre der Expeditionsbetrieb des AWI gefährdet“, teilte das AWI mit.
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