Embryonenforschung:Ran an die Genschere

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Bisher genießen Embryonen - wie dieser fünf Tage alte Embryo - in Deutschland umfassenden Schutz - doch das könnte sich ändern. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Forscher der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädieren dafür, Experimente mit Embryonen zu genehmigen. In anderen Ländern ist das längst erlaubt.

Von Kathrin Zinkant

In einem zehn Seiten umfassenden Diskussionspapier spricht sich ein Expertenteam der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina dafür aus, Experimente an überzähligen menschlichen Embryonen auch in Deutschland zu gestatten. Zugleich plädieren die Akademie-Mitglieder dafür, das deutsche Embryonenschutzgesetz entsprechend zu ändern. Dieses verbietet derzeit jede Verwendung eines frühen menschlichen Lebens zu Forschungszwecken. Um diesen Schritt auch öffentlich zu vermitteln, sei eine neue, differenzierte Debatte um den Embryonenschutz notwendig.

Die Forscher rühren mit ihrem Papier an einem heiklen Thema, denn in Deutschland genießen selbst wenige Tage alte Embryonen umfassenden Schutz. Zahlreiche heftige Forschungsdebatten, etwa jene um die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, hatten zu Verboten und Verwerfungen geführt. Warum also erneut Öl ins Feuer gießen? Als Anlass für ihren Vorstoß nennen die Experten das sogenannte Genome Editing - eine moderne Gentechnik, die punktgenaue Korrekturen im Erbgut ermöglicht. Das jüngste Werkzeug dieser Technologie, die Gen-Schere Crispr-Cas, hat tatsächlich schon eine Revolution in den Lebenswissenschaften ausgelöst. Pflanzen, Bakterien, Tiere werden mit der Methode, auch Gene Editing genannt, verändert. Seit dem vergangenem Jahr laufen auch die ersten Studien an Menschen, in denen die Technik Blutzellen von Krebs oder anderen Leiden heilen soll.

In anderen Ländern sind diese Experimente längst erlaubt

Diese Möglichkeiten gentechnischer Eingriffe finden im Papier zwar Erwähnung. Doch im Kern fokussieren sich die Autoren auf den Einsatz der neuen Technologie an menschlichen Keimzellen und Embryonen. Dieser sei ethisch nicht grundsätzlich abzulehnen. Eine genetische Verbesserung des Menschen schließt das Autorenteam zwar genauso von der Forderung aus, wie eine übereilte Anwendung des Gene Editing in der klinischen Praxis. Die Risiken seien zu groß. Trotzdem plädieren die Forscher dafür, die früheste menschliche Entwicklung und andere Aspekte des werdenden Lebens an humanen Embryonen zu erforschen - auch in Deutschland.

Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer Gesetzesänderung, denn der Embryonenschutz in Deutschland ist mit Bezug auf die Wissenschaft fest im gleichnamigen Strafgesetz von 1990 verankert. "Menschliche Embryonen müssen selbstverständlich vor willkürlicher Verwendung geschützt werden", schreiben die Wissenschaftler dazu. Das Embryonenschutzgesetz in seiner jetzigen Form behindert nach Auffassung der Autoren jedoch jeden weiteren Erkenntnisgewinn. "Eine eng begrenzte Weiterentwicklung des geltenden Rechts, wie sie hier befürwortet wird, würde es ermöglichen, dass Deutschland sich . . . an völlig neuen Behandlungsmöglichkeiten genetischer Erkrankungen beteiligen kann."

Eine solche Novelle soll nach Ansicht der Experten zumindest die Kooperation mit ausländischen Forschergruppen ermöglichen, die mit menschlichen Embryonen arbeiten "Derzeit macht sich jeder Wissenschaftler in Deutschland strafbar, der auch nur unwissentlich mit Forschern zusammenarbeitet, die menschliche Embryonen verbrauchen", erklärt Jochen Taupitz von der Universität in Mannheim, der als Rechtsexperte am Papier mitgearbeitet hat. Eine entsprechende Änderung des geltenden Rechts sei allerdings die "Minimallösung", wie Taupitz erklärt. Gewünscht sei, wissenschaftliche Freiräume zu schaffen, die in anderen Ländern wie Großbritannien bereits bestünden. Tatsächlich ist die verbrauchende Forschung an bis zu 14 Tage alten, überzähligen Embryonen mittlerweile nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch in Schweden und Frankreich erlaubt.

Überzählige Embryonen aus künstlichen Befruchtungen gibt es auch in Deutschland. Nach Vorstellung der Wissenschaftler könnten sie mit dem Einverständnis der Eltern der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählten auch Embryonen mit ungünstigen Erbgutveränderungen oder Defekten. "Nehmen Sie die Präimplantationsdiagnostik, die es erlaubt, genetisch belastete Embryonen nach der künstlichen Befruchtung auszusortieren", sagt Taupitz. Diese Embryonen hätten aufgrund ihres Defektes keine Chance, jemals in eine Frau übertragen und geboren zu werden. "Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie nicht für den Erkenntnisgewinn zu nutzen."

Ethiker reagierten auf den Vorstoß am Mittwoch mit deutlicher Kritik. Steffen Augsberg, der an der Universität Gießen Öffentliches Recht lehrt und Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, hält das Papier der Leopoldina für ärgerlich. "Hier wird mit Blick auf ein ungemein praxisrelevantes, rechtlich und ethisch hochkomplexes Thema eine Eindeutigkeit suggeriert, die es nicht gibt", sagt der Jurist. Augsberg zufolge mögen zwar gute fachliche Gründe dafür existieren, die Möglichkeiten für die Wissenschaft auszuweiten. "Verfassungsrechtlich betrachtet ist das aber überaus problematisch, und aus politischer Perspektive ist die Forschung an überzähligen Embryonen keinesfalls alternativlos."

Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann von der Universität in Tübingen bescheinigte dem Diskussionspapier "hemmungslose Einseitigkeit". Die Öffentlichkeit würde mit der Feststellung in die Irre geführt, dass es ohnehin überzählige Embryonen aus künstlichen Befruchtungen gebe, die keiner mehr brauche und die daher ohne Weiteres für fremdnützige Forschungsvorhaben verzweckt werden könnten. "Die Situation dieser Embryonen ist bereits prekär", sagt Bormann, der ebenfalls Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Das Gremium hatte sich zuletzt mit der Frage befasst, ob überzählige Embryonen adoptiert werden können. "Eine Verwendung für die Forschung konterkariert diese Diskussion um die Embryonenspende." Bormann vermutet, dass die Wissenschaftler den deutschen Embryonenschutz zu Fall bringen und ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz implementieren wollen.

Über ein solches Gesetz wird seit Jahren diskutiert. Taupitz, der ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz schon lange befürwortet, betonte jedoch am Mittwoch, dass es in dem aktuellen Papier lediglich um eine Teiländerung des bestehenden Gesetzes geht.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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