SZ: Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Ekman: Meine Tochter Eve hat mit 16 Jahren ein paar Monate als Freiwillige in einem tibetischen Flüchtlingsheim in Nepal verbracht. Als sie nach Hause kam, hat sie einen Free Tibet-Verein gegründet.
Ich wusste, dass sich der Dalai Lama sehr für Wissenschaft interessiert, also bewarb ich mich vor acht Jahren um ein Gespräch mit ihm. Bei solchen Gesprächen darf man einen stillen Beobachter mitbringen. Ich habe meine Tochter mitgenommen und sie ihm als meinen spirituellen Führer vorgestellt, und so durften wir zusammen fünf Tage mit ihm verbringen.
SZ: Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?
Ekman: Er ist für mich wie der Bruder, den ich nie hatte, und er macht sich darüber lustig, dass ich das nicht wissenschaftlich erklären kann. D.L. glaubt an Karma, und er glaubt tatsächlich, dass wir in einem unserer Leben Brüder waren.
SZ: D.L.?
So nenne ich ihn, denn ich weiß nicht recht, wie ich ihn anreden soll. Er sagt 'Paul' zu mir, aber ihn mit seinem Vornamen, Tenzin, anzureden, ist unpassend.
SZ: Wie wär's mit ,Heiligkeit'?
Ekman: Ich sehe niemanden als heilig an, deshalb kann ich auch niemanden so anreden. Dieser Titel kommt vom Papst, und der Dalai Lama ist das Gegenteil vom Papst. Der Dalai Lama ist ein Debattierer und Logiker, beim Papst basiert alles auf Dogma und Glauben. Also kann ich den Dalai Lama nicht mit dem Namen des Papstes anreden. Ich sage: Sir. Oder D.L.
SZ: Der Dalai Lama hat Ihnen 50.000 Dollar gegeben, damit Sie herausfinden, wie Lehrer und Manager besser mit ihren Emotionen fertig werden. Wieso?
Ekman: Das hat mich selbst vom Stuhl gehauen. Wir haben ein Programm namens ,Emotionale Balance kultivieren' entworfen und darin das Beste von ihm und das Beste von mir eingebaut: Meditation, Mitgefühl und die wissenschaftlichen Methoden meines Instituts. Ich habe D.L. gefragt, wie viele Stunden es braucht, um einen Menschen zu verändern. Er sagte: vierzig.
Und so war es. Nach vierzig Stunden stellten wir einen deutlichen Rückgang von Angst, Stress und Anspannung fest. Das Schwierigste, was wir Leuten beibringen, ist, sich ihrer eigenen Impulse und Emotionen bewusst zu werden, bevor sie in Rage geraten.
SZ: Sie wirken hingegen sehr ausgeglichen, trotz Ihres Pensums.
Ekman: Dabei war ich von Geburt an ein schwieriger Mensch. Ich bin von der High School geflogen, weil ich den Lehrern immer widersprochen habe.
SZ: Sie sind Jude, tragen aber die tibetische Flagge am Revers. Sind Sie konvertiert?
Ekman: Ich habe es nur ein Jahr lang ernsthaft mit dem jüdischen Glauben versucht, das war, nachdem meine Mutter gestorben war. Es hat für mich nicht funktioniert. Aber ich bin auch kein Buddhist, ich bin Wissenschaftler. Die beiden härtesten Dinge, die ich je getan habe, waren nach 35 Jahren das Rauchen aufzugeben und in ein 10-Tage-Meditations-Seminar zu gehen.
SZ: Also hat D.L. Sie doch tief beeindruckt?
Ekman: Auf halber Strecke, in der ersten Wissenschaftskonferenz, hat er meine Hand gehalten. Ich hatte plötzlich ein ganz ungewöhnliches Gefühl. Das Unglaubliche war, dass ich die nächsten sieben Monate lang keine Wut gespürt habe. Bis dahin hatte ich mindestens ein bis zweimal die Woche mit Wut zu tun.
SZ: Der weltbeste Experte für Emotionen braucht also den Dalai Lama, um sich von seiner Wut zu befreien?
Ekman: Nach sieben Monaten kam die Wut zurück, aber nie mehr so intensiv wie vorher und nie mehr so gewaltig, dass ich etwas tue, was ich hinterher bereue.
SZ: Was hat Sie zuvor so wütend gemacht?
Ekman: Ich glaube, es waren die Nachwirkungen des Hasses auf meinen Vater. Ich habe mir oft gewünscht, ich könnte ihn umbringen. Ich habe ihn für den Tod meiner Mutter verantwortlich gemacht. Als ich den Dalai Lama traf, war mein Vater schon 33 Jahre tot, aber mein Hass auf ihn hatte mich nie verlassen. Nach dem Treffen mit D.L. habe ich aufgehört, ihn zu hassen, ein Jahr später hatte ich ihm vergeben.
SZ: Wie erklären Sie sich das?
Ekman: Als Wissenschaftler habe ich natürlich gleich Fälle von Menschen gesammelt und erforscht, denen Ähnliches mit ihm passiert war. Ich interviewte sie und legte D.L. die Mappe vor, aber ich konnte ihn einfach nicht dazu bringen, darüber zu sprechen! Er lachte nur. Und sagte: 'Paul, du bist zu westlich!'