Das neue Umweltbewusstsein:Prima Klima fürs Klima

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Seit Jahrzehnten warnen Experten vor den Folgen des Klimawandels. Doch bislang war Umweltschutz in der Politik immer nur ein Thema für die Weichgespülten unter lauter Pragmatikern. Das hat sich geändert. Aber warum gerade jetzt?

Markus C. Schulte von Drach

Wissen Sie eigentlich, wie viel Strom Ihr Bildschirm im Stand-by-Modus verbraucht? Haben Sie eine Ahnung, wie viel Ihr Auto schluckt? Und, ach ja, wissen Sie eigentlich, dass es bereits eine ganze Reihe von Unternehmen gibt, die Ökostrom anbieten?

Auch Al Gores Film über den Klimawandel hatte sicher Einfluss auf das wachsende Umweltbewusstsein. (Foto: Foto: ddp)

Noch vor wenigen Monaten kam derjenige sich wie ein Miesepeter, Schwarzmaler oder Vergnügungsverächter vor, der solche Dinge öffentlich angesprochen hat. Nun traut man sich, beherzt dem Klimaschutz das Wort zu reden.

Plötzlich ist es da - das Umweltbewusstsein. Und dann ist auch gleich noch gesamt-europäisch.

Grüne und Naturschützer reiben sich derzeit verwundert die Augen angesichts dieses Stimmungswandels in Sachen Klimawandel. Schließlich sah das noch vor wenigen Monaten ganz anders aus.

Dabei weisen Fachleute und Umweltschutz-Organisationen aus aller Welt bereits seit Jahrzehnten auf die Gefahr hin, dass die Treibhausgase, die wir in die Atmosphäre blasen, die Temperatur am Boden steigen lassen. Erste Hinweise stammen bereits von dem schwedischen Chemiker Svante Arrhenius aus dem Jahre 1896. Und Ende der 70er Jahre häuften sich die warnenden Stimmen der Fachleute.

Vor 19 Jahren entstand der UN-Weltklima-Rat (IPCC), seit 27 Jahren gibt es die Partei "Die Grünen" und 35 Jahre ist es her, dass der Club of Rome seinen Bericht "Grenzen des Wachstums" veröffentlicht hat.

Und jetzt ist Klimapolitik plötzlich so wichtig, dass die deutsche Regierung sich nicht nur vorgenommen hatte, das Thema auf die EU-Agenda zu setzen. EU-Ratspräsidentin Angela Merkel ist es sogar innerhalb kürzester Zeit gelungen, die 27 Staaten auf feste Klimaschutz-Ziele zu verpflichten.

So soll der Ausstoß schädlicher Treibhausgase in den nächsten 13 Jahren um 20 Prozent reduziert werden. Darüber hinaus wollen die Europäer bis 2020 zwanzig Prozent weniger Energie verbrauchen.

Wie kommt es, dass die alternative Stromquelle Wind den Umweltschützern mit einem Mal nicht mehr ins Gesicht bläst, sondern ihnen die Segel füllt?

Ein Artikel zum Thema Klimawandel nach dem anderen

Im Laufe der Jahre 2006 und 2007 hat sich die Zahl der Klimaphänomene mit hohem Aufmerkamkeitspotential zu einer Art Medien-Wirbelsturm verdichtet. Ein Artikel zum Thema Klimawandel jagte den nächsten.

So häuften sich etwa die Wetter-Rekord-Meldungen: Der Winter Anfang des Jahres 2006 wollte nicht mehr aus Deutschland verschwinden, dafür war dann der Sommer extrem. In den USA war 2006 das wärmste Jahr, das dort jemals gemessen wurde, und amerikanische Forscher meldeten darüber hinaus die größte Erderwärmung seit 400 Jahren.

Der Herbst in den Alpen war der heißeste seit 250 Jahren. Skifahren war gestern. Die Gletscher schmelzen, das Eis der Antarktis auch. Der letzte Winter war keiner. Und für das nächste Jahr sagen die Klimaforscher bereits wieder eine Rekordwärme voraus.

Tiere und Pflanzen reagieren bereits auf die erhöhte Erdtemperatur: Arten breiten sich nach Norden aus, und viele Zugvögel reisen zum Überwintern nicht mehr in den Süden.

Und Wirtschaftswissenschaftler berichteten, wie viel der Klimawandel die Welt kosten würde - und dass sich die Menschheit die Rettung ihres Planeten sogar finanziell leisten könnte.

So ging es in einem fort. Dazu kam, dass man auch subjektiv das Gefühl bekam, das Wetter sei extrem.

Dann wurde diese subjektive Wahrnehmung geadelt von Erkenntnissen des Weltklimarats IPCC. Erst wurde berichtet, was in den noch nicht fertiggestellten Dokumenten der UN-Organisation zu lesen war. Es folgten die Artikel über die gleichen, jetzt offiziell vorgestellten Berichte. Und was die UN-Wissenschaftler zu sagen hatten, hat eben doch mehr Gewicht als Warnungen der Naturlobbyisten von Greenpeace oder dem BUND: Der Wandel ist bereits da.

Großen Einfluss hatte vermutlich auch Al Gores Film "An Inconvenient Truth", der selbst in den USA die Kinos füllte. Und immer wieder ließ Governator Arnold Schwarzenegger medienwirksam seine politischen Muskeln spielen, um Kalifornien im Klimaschutz weiter nach vorn zu treiben.

Folge des Matthäus-Effekts

Einen Teil seiner Prominenz dürfte der Klimawandel auch dem so genannten Matthäus-Effekt verdanken. Die schiere Masse der Veröffentlichung zu einem Thema führt häufig dazu, dass sich daraus ein Massenphänomen entwickelt, über das dann noch mehr berichtet wird.

Benannt ist der Effekt nach dem nach dem biblischen Gleichnis im Matthäus-Evangelium: "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden."

Nachdem schließlich so der Boden für das Stichwort Kohlendioxid-Reduzierung bereitet war, lag es nah, die größten Umwelt-Verbrecher (real oder fiktiv) auszumachen und an den medialen Pranger zu stellen.

Als Zielscheibe boten sich da natürlich unter anderem die auffälligen deutschen Prachtkarossen an, die ja tatsächlich ein wunderbares Symbol für die Versäumnisse der Industrie im Bereich umweltschonende Zukunftstechnologie darstellen. So kontrovers die Diskussion hierzu geführt wird, so gut eignet sie sich zur weiteren Vertiefung des Themas Klimawandel im Bewusstsein der Bevölkerung. Genauso verhält es sich mit der Diskussion um die Kurzurblaube in ferne Ferienparadise oder den Wochenend-Shopping-Flug nach New York.

Und dann ist da noch Frau Merkel. Egal, ob die Bundeskanzlerin nun einfach nur mit einem Thema punkten wollte, das die Menschen gerade umtreibt (schließlich wollte die Bundesregierung ihre Ratspräsidentschaft ursprünglich einem ganz anderen Thema widmen), oder ob ihr der Klimaschutz wirklich am Herzen liegt - möglicherweise dient das Engagement einer CDU-Vorsitzenden der Umwelt mehr als die gesamte Arbeit der Vorgänger-Regierung, an der sich immerhin die Öko-Partei Bündnis90/Die Grünen beteiligt hatte.

Während Autokanzler Schröder an der Macht war, konnte sein kleiner Koalitionspartner zwar beim Verbraucherschutz, in der Energie-, Außen- und Gesellschaftspolitik einige Punkte machen. Beim Klimaschutz blieb Rot-Grün jedoch erstaunlich blass. Was Grüne zu diesem Thema zu sagen haben, wird schon lange als Pflicht-Programm der Partei wahrgenommen - beziehungsweise eben darum nicht wahrgenommen. Die Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein war und ist gering.

Anders sieht das bei Frau Merkel aus. Sie als Umweltschutz-Fanatikerin zu sehen, der das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft egal ist, fällt schwer. Umso mehr Gewicht hat ihr Bemühen im Kampf gegen die Erderwärmung im öffentlichen Umweltschutz-Bewusstsein.

So hat letztlich das Zusammenspiel zwischen den Forschern, die den Klimawandel beobachten, den Medien, die darüber berichten, und den Politikern, die sich vor dem Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit damit beschäftigen, aus dem Schutz der Erdatmosphäre ein richtig heißes Thema gemacht.

Ob der Klimawandel seinen Weg auch in das Bewusstein der breiten Öffenlichkeit gefunden hätte, wenn die USA Anfang des Jahres Iran angegriffen oder ein Tsumani wieder hunderttausende Opfer gefordert hätte? Wer weiß.

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