Darwin-Ausstellung:Reliquien der Evolution

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Im Jahr 2009 jährt sich zum 150. Mal die Veröffentlichung von Darwins "Über die Entstehung der Arten". Dazu gibt es jetzt eine Schau in London mit bisher unbekannten Exponaten.

A. Menden

Gut 80 Jahre lang beherrschte eine Bronzestatue Richard Owens den Treppenaufgang im Londoner Naturhistorischen Museum. Doch vergangenen Mai musste sie ihren Platz räumen: Dort steht nun - wie schon von 1882 bis 1927 - eine Marmorstatue Charles Darwins.

Durch die Lupe sind am Skelett eines Python Reste von Beinen zu erkennen, die sich im Lauf der Evolution zurückgebildet haben. (Foto: Foto: AFP)

In den 1920er-Jahren hatte ein Owen-Schüler dafür gesorgt, dass Darwin in einen Raum hinter der Haupthalle verbannt wurde und Owen als Mitbegründer des Natural History Museum den Ehrenplatz erhielt. Anlässlich der sich im Jahr 2009 zum 150. Mal jährenden Veröffentlichung seines bahnbrechenden Werkes "Über die Entstehung der Arten" sowie seines 200. Geburtstags hat jetzt wiederum Darwin Richard Owen verdrängt.

Man darf bezweifeln, dass es dem bescheidenen Darwin Genugtuung bereitet hätte, seinen schärfsten wissenschaftlichen Kritiker vom Sockel gestoßen zu haben - auch wenn er, für ihn ganz uncharakteristisch, Owen einmal als "Dämon auf Erden" bezeichnete.

Es war eine Rivalität zwischen Charakteren, die gegensätzlicher nicht hätten sein können: Auf der einen Seite Darwin, ein umgänglicher, selbstkritischer Naturforscher mit einer revolutionären Theorie zur Entstehung der Arten.

Auf der anderen der ehrgeizige Karrierist Richard Owen, einer der profiliertesten Biologen des 19. Jahrhunderts, der diese Theorie für kompletten Unfug hielt. Owen wäre wohl kaum erfreut darüber gewesen, dass sein Museum jetzt, pünktlich zu besagten Jubiläen, Charles Darwins Leben und Werk eine große Ausstellung widmet.

Gleich zu Beginn präsentiert die Schau die Präparate zweier Spottdrosseln, reliquienartig aufgebahrt auf einem lila Samtkissen. Besonders aufregend wirken sie zunächst nicht.

Doch diese beiden grauen Vogelkörper - sie wurden noch nie zuvor öffentlich gezeigt - sind von nicht zu überschätzender Bedeutung für die Entwicklung der Evolutionstheorie: Es waren die anatomischen Unterschiede zwischen den Spottdrosseln, die eine von der östlichen Galapagos-Insel San Cristóbal, die andere vom südlich gelegenen Eiland Floreana, die in Darwin erstmals die Idee reifen ließen, das Spezies veränderlich sein könnten.

Ein Großteil der Londoner Ausstellung ist folgerichtig der Expedition gewidmet, die Darwin von 1831 bis 1836 an Bord der Brigg HMS Beagle nach Südamerika und durch den Pazifik unternahm.

Er nannte diese Reise "das bedeutendste Ereignis meines Lebens". Tatsächlich entwickelte er sich in fünf Jahren von einem begeisterten, aber unerfahrenen Beobachter zu jenem scharfen wissenschaftlichen Analytiker, der die Art, wie man über die Entstehung des Lebens dachte, grundlegend umwälzen sollte.

Die Illustration der Beagle-Tour kulminiert in einer Zeichnung aus Darwins kleinem Notizbuch: Unter den Worten "Ich denke" kritzelte er ein verzweigtes genealogisches Modell von Straußenvögeln, und legt damit erstmals eine evolutionäre Erklärung des Lebens nieder.

Bei vielen der Londoner Ausstellungsstücke handelt es sich um Proben, die Darwin selbst sammelte und nach Großbritannien schickte: gepresste Pflanzen, Fossilien von Brachiopoden und Riesengürteltieren, Vogelpräparate. Dass Darwin dabei nicht allein an den Verwandtschaftsverhältnissen der von ihm entdeckten Tierarten interessiert war, belegt ein Zitat am Terrarium eines grünen Leguans.

Schon als Student in Cambridge hatte er einen Club "zum Genuss von Tieren, die dem menschlichen Gaumen unbekannt sind" gegründet. Folgerichtig studierte er die Leguane nicht nur, er probierte sie auch, und vermerkte: "Diese Eidechsen liefern gekocht ein weißes Fleisch, das jenen schmeckt, deren Mägen über Vorurteile erhaben sind."

Eine Locke des Forschers

Kurator Alex Gaffkin ist es sehr daran gelegen, die Geschichte der Evolutionstheorie mit der Person Darwins zu verknüpfen. Mit großem Aufwand hat man etwa Darwins Arbeitszimmer nachgebaut; sogar eine Haarlocke des Forschers ist ausgestellt. Abgesehen von der plastischen Unmittelbarkeit solcher Exponate kommt man der Person Darwins aber vor allem durch eine große Zahl von Briefen und Notizen näher.

Da sind Korrespondenzen zwischen ihm und seinem Vater, der über seine Entscheidung, mit der Beagle in See zu stechen sehr unfroh war, und Liebesbriefe an seine spätere Frau Emma. Da sind die Beobachtungen der "Menschlichkeit" eines kleinen Orang-Utans, den Darwin im Londoner Zoo studierte. Und die Dokumentation seines Lebens in "Down House" in der Grafschaft Kent, wo er jahrzehntelang forschte und viele seiner Bücher schrieb - unter anderem auch "Über die Entstehung der Arten".

Die Ausstellung "Darwin" zeichnet so das plastische Porträt eines ebenso akribisch arbeitenden wie bescheidenen Genies.

Die Spottdrosseln, die Darwin 1835 auf Galapagos einsammelte, haben übrigens noch heute eine wissenschaftliche Bedeutung, die über ihre rein historische weit hinausgeht. Auf ihrer Heimatinsel ist die Floreana-Spottdrossel bereits ausgestorben, die Drossel-Populationen auf anderen Inseln sind stark gefährdet. Anhand von Erbgut-Proben, die Darwins Drosseln entnommen wurden, ermitteln Wissenschaftler an der Universität Zürich, welche der noch lebenden Vögel der Floreana-Unterart am ähnlichsten sind.

Diese sollen dann in einem Zuchtprogramm eine neue Generation von Floreana-Drosseln erbrüten. So könnte Charles Darwins Eifer 127 Jahre nach seinem Tod helfen, jene Vögel wieder auf ihrer Heimatinsel heimisch zu machen, die ihm einst den Weg zur Evolutionstheorie wiesen.

"Darwin" im Natural History Museum London, bis 19. April 2009. Info: +44 20 7942 5000.

© SZ vom 22.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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