Chemie:Neues von der Ur-Erde

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Vor über 60 Jahren machte der Chemiestudent Stanley Miller ein bahnbrechendes Experiment: Er wollte in einem Glaskolben den Ursprung des Lebens simulieren und stieß dabei auf einige wichtige Zutaten. Bei der Wiederholung des Versuchs gab es jetzt eine Überraschung.

Von Hanno Charisius

In einem Glaskolben versuchte der Chemiestudent Stanley Miller 1952 nachzustellen, was vor Milliarden Jahren im brodelnden Ur-Ozean auf der noch jungen Erde passierte: den Beginn des Lebens. Miller füllte Wasser, Ammoniak, Methan und Wasserstoffgas in das Gefäß, erhitzte es über einem Gasbrenner und ließ elektrische Blitze hindurchzucken. Unter diesen Bedingungen, so stellte man es sich damals vor, müssten die ersten Bausteine des Lebens entstanden sein und tatsächlich fand Miller in seiner Miniaturausgabe der Ur-Erde nach einer Woche einige Aminosäuren. Auch wenn Geowissenschaftler heute davon ausgehen, dass die Bedingungen der jungen Erde nicht jenen in Millers Glaskolben glichen, gilt das berühmte Experiment noch immer als Beweis dafür, wie ein Starter-Kit fürs Leben auf der Erde entstanden sein könnte. Es zeigte zum ersten Mal, dass aus anorganischen Zutaten biologische Grundbausteine entstehen können.

Oft wurde Millers Ursuppe seither von anderen Forschern nachgekocht, manche variierten das ursprüngliche Rezept ein bisschen und stießen auf weitere Aminosäuren. Jetzt zeigt ein weiteres Wiederholungsexperiment, dass unter den von Miller angenommenen Bedingungen auch andere biologische Grundbausteine entstehen können. Chemiker aus Frankreich und Tschechien berichten im Fachmagazin PNAS, wie sie in ihrem Ur-Suppenversuch auf RNA-Bausteine stießen. Diese Moleküle gelten als Vorläufer der DNA, in der alle Organismen, ob einfacher Einzeller oder komplizierter Mensch, ihre Erbinformationen abspeichern.

Dem Chemiker Martin Ferus von der tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag und seinen Kollegen gelang damit, was Stanley Miller und sein Mentor Harold noch nicht geschafft hatten. Die Arbeitsgruppe wies vier RNA-Bausteine in ihren Proben nach. Die Wissenschaftler schreiben Formamid bei der chemischen Verwandlung der anorganischen Zutaten in Grundbausteine des Lebens eine zentrale Rolle zu. Kohlenmonoxid und Ammoniak - aus diesen Verbindungen wird Formamid auch industriell hergestellt - könnten sich etwa durch die Energie eines Blitz- oder Meteoriteneinschlags, zu diesem reaktionsfreudigen Zwischenprodukt verbunden haben, argumentieren Ferus und seine Kollegen. Aus zerfallendem Formamid können sich unter geeigneten Bedingungen RNA-Bausteine formen.

Nach einer heute weitgehend akzeptierten Theorie entstand das Leben auf der Erde aus RNA-Molekülen, die sich selbst vervielfältigen konnten. RNA kann, wie auch ihr Schwestermolekül DNA, biologische Informationen speichern, etwa Baupläne für andere Moleküle. Sie kann aber auch wie ein Katalysator chemische Prozesse steuern. Deshalb glauben viele Wissenschaftler, dass sich das Leben in einer RNA-Welt entwickelt hat.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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