"In der Natur ist Effizienz ein Überlebenskriterium", sagt Oliver David Krieg, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ICD. "Tiere und Pflanzen sind ideale Vorbilder, um ökologisch wie ökonomisch zu bauen." Dafür müssen die Planer allerdings umdenken und selbst langjährig erprobte Baumethoden in Frage stellen. Denn die Natur konstruiert völlig anders als der Mensch. "Im Ingenieurbau hat jedes Teil meist nur eine Funktion", sagt ITKE-Leiter Jan Knippers. "Platzt beim Auto ein Reifen, fährt es nicht weiter. Baumstämme bestehen dagegen größtenteils aus Zellen, die mit Zellulosefasern verstärkt sind. Diese sind lokal unterschiedlich ausgeformt und übernehmen verschiedene Aufgaben."
Die filigrane und zugleich robuste Bauweise der Pflanzen stellt die Freiburger Forscher immer wieder vor Rätsel. Um das Geheimnis ihrer Stabilität zu lüften, malträtieren sie Halme mit Schlagpendeln oder spannen sie in Zugmaschinen ein und simulieren Orkane. Der Riesenschachtelhalm offenbarte in diesen Tests erstaunliche Materialeigenschaften. Bis zu zwei Meter hoch wächst der nur fingerbreite Pflanzenstängel. Ein Hochhaus in Grün, dessen einzelne Bauabschnitte sich wie eine Teleskopstange auseinanderschieben. Das Material wiegt fast nichts, trotzdem ist es extrem stabil. Erst wer den Halm aufschneidet, versteht sein Geheimnis: Innen hohl, stützt ihn ein äußerer Ring aus Kammern. Zusammen mit dem Pfahlrohr, einem Gewächs, das selbst schweren Mittelmeerstürmen standhält, diente der Schachtelhalm den Freiburger Forschern als Vorbild für einen neuen Baustoff: den "Technischen Pflanzenhalm", den sie gemeinsam mit dem Institut für Textil- und Verfahrenstechnik im schwäbischen Denkendorf, Deutschlands größtem Textilforschungszentrum, entwickelten. Der recycelbare Halm aus Kunststofffasern ist belastbarer als Stahlbeton und leichter als Aluminium. Mit Beton gefüllt, soll er künftig herkömmliche Stahlstützen und -träger ersetzen. In den Hohlräumen wollen die Wissenschaftler platzsparend Wasserleitungen oder Stromkabel verlegen. "Wir verbauen nur dort Material, wo wir es tatsächlich brauchen", erklärt Biologe Thomas Speck. Der neue Baustoff könnte in Zukunft etwa bei Hochhäusern zum Einsatz kommen. Dort ist das Eigengewicht der Bauteile ein großes Problem. Beim Burj Khalifa in Dubai, dem mit 828 Metern höchsten Gebäude der Welt, wurden in den unteren Etagen gewaltige Mengen hochfester Beton verbaut, um die Last der Obergeschosse zu tragen. Der extrem hohe Materialverbrauch solcher Wolkenkratzer ließe sich durch den neuen Baustoff verringern. Aber auch für ganz normale Wohnhäuser, Messe- und Zeltbauten ist der "Halm" interessant.
Reparierender Schaum
Was aber, wenn sich die Last im Laufe der Zeit erhöht? Auch hier weiß die Natur eine Antwort. "Bäume formen an Stellen mit höherer Spannung Rippen, Wülste oder Brettwurzeln aus", sagt Speck. "Auf diese Weise trotzen sie selbst schweren Unwettern." Entstehen dennoch Risse, verarztet sich der Baum selbst. Auch Schlingpflanzen beherrschen die Selbstheilung. Reißt durch Wachstum der verholzte Festigungsring unter der Rinde auf, füllen sie die Bruchstellen mit frischem Gewebe. "Die Zellen stehen unter einem höheren Innendruck als ein Autoreifen und quellen sofort in den Riss", sagt Specks Frau Olga. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Bionik-Forschungsteam konstruierte die promovierte Biologin, die für ihre Bionik-Forschung an der Uni Freiburg mehrfach ausgezeichnet wurde, nach dem Vorbild der Schlingpflanze einen selbstreparierenden Schaum. Mit diesem lassen sich Risse in luftgefüllten Membranen, die Hallen oder Sportstadien umhüllen, schon im Moment der Beschädigung reparieren. Verletzt ein Nagel die Dachhaut, quillt der Schaum in die beschädigte Stelle und versiegelt bis zu fünf Millimeter große Löcher dauerhaft.
Werden unsere Häuser sich also künftig selbst verarzten und Fenster sich von allein öffnen? "Bislang bauen wir nur einzelne Pavillons und Prototypen", sagt Thomas Speck. "Für Einfamilienhäuser oder Büros sind die Baukosten noch viel zu hoch." Er forscht mit seinem Team in einem 70er-Jahre-Hochschulbau - ein unbeweglicher Klotz, weit entfernt von der Flexibilität der Pflanzen, die dort untersucht werden. Die Elektronenmikroskope der Forscher lagern auf tonnenschweren, schwingungsdämpfenden Betonplatten. Sie wurden nachträglich eingebaut, die Gebäudestatik ist eigentlich nicht für sie ausgelegt. Notgedrungen wurden die Mikroskope an die wenigen Stützen im Haus gerückt - ein dauerhaftes Provisorium.
Ein Gebäude, das nicht starr ist, sondern sich wie ein Organismus an die stetigen Veränderungen in unserem Leben anpasst? Keine Frage, der Biologe Speck würde sofort einziehen.