Anthropologie:Zähne der Zeit

Lesezeit: 1 min

Der Blick ins Innere verrät: Neandertaler und Homo sapiens hatten eine ähnlich lange Jugend.

Hubert Filser

Zähne verraten eine Menge über die Evolution, sagt Roberto Macchiarelli. Sie speichern nämlich wichtige Dinge des täglichen Lebens über Jahrtausende, so der italienische Paläoanthropologe. Von ihnen kann man etwa auf die Nahrung schließen, davon auf die Umwelt und schließlich auf das Klima. Anthropologen versuchen daher, aus den Zähnen von Neandertalern etwas über deren Leben zu erfahren. Bislang dachten Forscher wie der spanische Anthropologe Fernando Ramirez Rozzi, dass die Neandertaler schneller erwachsen wurden als der moderne Mensch, bereits in einem Alter von 15 Jahren. Diese Aussagen nennen nun Macchiarelli und seine Kollegen in einem Online-Beitrag für das Magazin Nature "spekulativ". Denn bisherige Veröffentlichungen über das Wachstum der Neandertaler basierten nur auf den Oberflächen der Zähne.

Die Forschergruppe um Macchiarelli hat nun erstmals das Innere zweier Neandertaler-Zähne untersucht. Neandertaler und moderner Mensch hatten demnach eine in etwa gleich lange Kindheit. Die Aufnahmen aus einem Beschleuniger in Grenoble mit einem hochauflösenden, bildgebenden Verfahren zeigen exakt die Wachstumslinien im Zahnschmelz. Wie Jahresringe in Bäumen spiegeln diese wider, wie sich Zahn und Zahnwurzel Tag für Tag entwickelt haben. Daran lässt sich ablesen, wie reif die Zähne bei der Geburt waren und wie schnell jemand erwachsen wurde. Die innere Struktur der Zähne beider Menschen-Arten war sehr ähnlich, lediglich die Zahnwurzel wuchs bei den Neandertalern etwas anders als beim modernen Menschen.

Zehntausende Zähne gesammelt

Um mehr über das Aussterben der Neandertaler zu erfahren, will Macchiarelli nun weitere Zähne analysieren. Genügend Material hat er an seinem Institut an der Universität Poitiers, dort befindet sich eine der größten Zahn-Sammlungen der Welt, bestückt mit einigen zehntausend Exemplaren aus verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte.

© SZ vom 23.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: