Anthropologie:Frühe Fischköpfe

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Anthropologen haben neue Beweise für eine ungewöhnliche These vorgelegt. Demnach haben Fische die Evolution des modernen menschlichen Gehirns angetrieben.

Patrick Illinger

Der Physiologe Stephen Cunnane von der University of Sherbrooke in Quebec hat während der AAAS-Tagung in St. Louis die Ansicht vertreten, dass sich die Vorfahren des Homo sapiens intensiv von Fisch und Krustentieren ernährten. Diese hätten die mehrfach ungesättigten Fettsäuren geliefert, die ein leistungsfähiges Gehirn benötigt. "Es muss einen Auslöser für die physische Entwicklung des Gehirns gegeben haben", sagte Cunnane.

Fische sind dem Menschen ähnlich - zumindest die Köpfe und der Hang zu Zärtlichkeit. (Foto: Foto: Reuters)

Diesen Auslöser will er auf dem Speiseplan der Vormenschen entdeckt haben: Muscheln, Frösche, Vogeleier und Fische. Dies sei eher zufällige Folge dessen gewesen, dass die frühen Menschen sich vor allem in der Nähe von Ufern aufgehalten hätten.

Die in Fisch enthaltenen ungesättigten Fettsäuren seien der ideale Nährstoff für die seinerzeit rapide Entwicklung des Gehirns gewesen, meint Cunnane. Die Anthropologie vernachlässige bislang die ernährungsphysiologischen Umstände, unter denen sich das Hirn entwickeln konnte.

Mehr als die Größe ist eine der herausragenden Eigenschaften des menschlichen Hirns sein großer Energiebedarf. Obwohl das Denkorgan nur zwei Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht es 20 Prozent der Energie. Bei Säuglingen liegt dieser Wert mit 75 Prozent noch weit höher. Bis heute ist nicht genau geklärt, warum die Evolution ein so aufwendig zu unterhaltendes Organ schuf, das in dieser Ausprägung nicht unmittelbar dem Überleben dient.

Cunnane und seine Kollegin Kathy Stewart vom kanadischen Museum of Nature wollen nun weitere Hinweise für die These entdeckt haben, wonach die frühen Menschen eher zufällig auf die an ungesättigten Fettsäuren reichhaltige Nahrung stießen. Die Forscher wenden sich somit gegen die weit verbreitete Ansicht, dass Vormenschen vor allem landlebende Säugetiere aßen.

Cunnane verweist auf die Tatsache, dass neugeborene Menschen einen vergleichsweise hohen Anteil an Körperfett haben. Dieses macht bei der Geburt etwa 14 Prozent des Körpergewichts aus. Dieses Reservoir ermögliche es Säuglingen, den enormen Energieverbrauch ihres Gehirns zu decken. Cunnane ist der Ansicht, dass dieser ernährungsphysiologische Luxus nur möglich sei, weil die Mütter unserer Vorfahren sich im Übermaß mit üppig verfügbarem Fisch ernährten.

Cunnane verwies in St. Louis auf Ausgrabungen Kathy Stewarts, die an mehreren Stellen im Lebensraum des Homo habilis auf angekaute Fischknochen gestoßen ist. Zu den Fischarten, die im urzeitlichen Afrika vorkamen, gehöre insbesondere der Catfisch, der ganzjährig zu finden gewesen sei. Sein Fettgehalt sei ungewöhnlich hoch, besonders während der Laichphase.

Für die unter Anthropologen nicht allgemein akzeptierte Fischtheorie gibt es auch ernährungsphysiologische Belege. Denn die Entwicklung des Gehirns braucht neben ungesättigten Fettsäuren auch Iod.

Dieser für das Gehirn essenzielle Stoff ist in Fisch enthalten. "Ursprünglich gab es keine Selektion hin zu einem leistungsfähigeren Gehirn", sagt Cunnane. Die genetische Disposition sei zwar angelegt gewesen, aber erst die fischhaltige Diät habe die Gehirnentwicklung beschleunigt.

© SZ vom 21.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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