Ansteckungsgefahr:"Mitteleuropa kann sich schützen"

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Strategien gegen die Vogelgrippe und eine neue Studie, die zeigt, dass Vogelgrippe zwar ansteckender ist als gedacht - aber auch weniger gefährlich.

Christina Berndt

Deutschland hat noch eine Chance, uninfiziert davonzukommen. Davon ist Klaus Stöhr überzeugt - auch wenn der Leiter des Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit mit Sorge in die Türkei blickt. An der Grenze zur Europäischen Union breitet sich die Vogelgrippe massiv aus. 12 der 81 türkischen Provinzen sind bereits befallen; inzwischen sollen sich auch 14 Menschen mit dem aggressiven Virus vom Typ H5N1 angesteckt haben, es sind die ersten Fälle unter Menschen außerhalb Südostasiens. Drei der Infizierten waren in den vergangenen Tagen bereits gestorben.

"Unsere Sorgen sind jetzt doppelt so groß", sagt Klaus Stöhr, der seit Monaten unermüdlich vor der Ausbreitung der Vogelseuche warnt, die in Asien seit Ende 2003 grassiert und vor wenigen Monaten auch Russland, die Ukraine und Bulgarien erreichte. Nun aber breite sich die Krankheit vor den Toren Europas nicht mehr nur punktuell über Zugvögel aus. Weil sie in der Türkei bereits stark den Haustierbestand durchseucht habe, drohe Gefahr durch Tier- und Futtermitteltransporte sowie Reisende mit gefiederten Mitbringseln. "Das macht die Kontrolle ausgesprochen schwer", so Stöhr.

Vorbild Niederlande

Dennoch hat der Influenza-Fachmann Hoffnung, dass sich Mitteleuropa noch vor der Geflügelseuche schützen kann. "In den Niederlanden gab es vor knapp drei Jahren einen viel größeren Vogelgrippeausbruch mit einem für Tiere ebenso aggressiven Virus", so Stöhr. "Dennoch hat der Ausbruch nur auf einen einzigen deutschen Hof übergegriffen."

Die Vogelgrippe müsse nur rechtzeitig erkannt und die Geflügelbestände großflächig getötet werden. "Die Niederlande haben fast ein Viertel ihres Geflügelbestands geschlachtet - größtenteils prophylaktisch", sagt Stöhr. "Dadurch haben sie die Seuche in weniger als drei Monaten in den Griff bekommen."

Aber natürlich seien die Niederlande nicht die Türkei, so Stöhr. Die schnelle Ausbreitung in der Türkei sei auch eine Frage von Informations- und Wissensdefiziten: "Wenn man anders als der Großteil der anatolischen Bevölkerung weiß, dass die Seuche existiert, kann man sich vorsehen."

Angst vor Türkeireisenden, die in diesen Tagen nach Deutschland zurückkehren, müsse trotzdem niemand haben, so Stöhr. "Das Virus ist außerordentlich empfindlich gegen Wärme und UV-Licht." Deshalb komme es auch meist im Winter zu Grippeausbrüchen; da überlebten die Viren länger. "Wenn jemand aus Anatolien zurückkommt, wird das Virus in aller Regel von Händen und Schuhsohlen verschwunden sein. Aber wichtig ist, dass niemand Geflügel mitbringt."

An diese Empfehlung aber halten sich längst nicht alle Reisenden. Schon seit einigen Monaten werden am Frankfurter Flughafen und im übrigen Hessen Flugzeuge und Reisebusse verstärkt kontrolliert; am Montag verschärfte das Verbraucherschutzministerium in Wiesbaden noch einmal seine Weisung. Mehr als 12 Tonnen "potenziell risikobehafteter Lebensmittel" sind seit dem Herbst allein am Frankfurter Flughafen sichergestellt worden, wie der Leiter des hessischen Tierseuchenschutzes, Thomas Fröhlich, dem Handelsblatt sagte: "Von toten Enten in der Handtasche über Entenzungen bis zu lebenden Hunden und Katzen in der Sporttasche war alles dabei."

Sollte das Virus auf diesem Weg doch nach Deutschland gelangen, sei es aber vornehmlich eine Gefahr für Vögel, betont Klaus Stöhr. Menschen würden sich die Tierkrankheit nur im Ausnahmefall und bei engem Kontakt mit Geflügel zuziehen.

Allerdings könnte das Risiko dafür doch größer sein als bisher vermutet: In der aktuellen Ausgabe der Archives of Internal Medicine berichten schwedische Wissenschaftler von einer Umfrage unter Vietnamesen. Die Forscher vom Stockholmer Karolinska-Institut haben 45.000 Menschen in der Region Bavi nach Grippe-ähnlichen Symptomen befragt. In der Gegend ging seit dem Jahr 2003 das H5N1-Virus um. In ganz Vietnam hat es seither insgesamt 87 offiziell bestätigte H5N1-Fälle unter Menschen gegeben, 38 Personen sind gestorben.

Ihre Umfrage aber brachte die schwedischen Forscher zu einem ganz anderen Schluss: Weil von den mehr als 8.000 Menschen, die ihnen von Husten und Fieber berichtet hatten, auffällig viele in Haushalten lebten, in denen totes oder krankes Geflügel zu beklagen war, hätten sich wahrscheinlich 650 bis 750 der Befragten mit H5N1 infiziert. Das hieße, dass die Vogelgrippe viel häufiger auf den Menschen übergreift als bisher angenommen. Es hieße aber auch, dass sie meistens harmlos verläuft.

© SZ vom 10.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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