Agrarökonomie:Der schlafende Riese

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In vielen afrikanischen Städten - hier ein Vorort von Lusaka - nimmt die Bevölkerungsdichte kontinuierlich zu. Könnte eine landwirtschaftliche Nutzung der Savanne die Ernährung der Menschen sichern? (Foto: Gianluigi Guercia/AFP)

In vielen Ländern Afrikas gibt es noch massenhaft ungenutztes Land. Agrarökonomen wollen es für die Landwirtschaft erschließen. Doch so einfach ist es nicht.

Von Thomas Daum

Staub und schwülwarme Luft strömen durch die Fenster des Taxis und streifen den ausgeblichenen Duftbaum, der an der Windschutzscheibe baumelt. "Ich muss Land kaufen und Mais anbauen", sagt der Fahrer, der sich Patrick nennt. Eigentlich ist er Lehrer. Aber das reicht kaum, um seine Familie zu ernähren. Deswegen fährt er Taxi in Lusaka, Sambias Hauptstadt. Und deswegen will er mehr Land kaufen. "Im Nordwesten gibt es ungenutztes Land", sagt Patrick.

Das Land jedoch, auf das er seine Hoffnungen setzt, ist Teil einer der größten Kontroversen der Agrarwissenschaften: Kann man die Guinea-Savanne, eines der hungergeplagtesten Gebiete der Welt, in einen Brotkorb für Afrika verwandeln? Der gewaltige Bogen der Savanne reicht von Sierra Leone in Westafrika bis in den Sudan im Osten, schwingt sich von dort weit nach Süden bis Mosambik und Sambia und erreicht in Angola wieder den Atlantik. 600 Millionen Hektar Bäume, Büsche und Grasland. Laut einer Weltbank-Studie von 2009 könnten zwei Drittel davon landwirtschaftlich genutzt werden: Das wäre ein Viertel der weltweiten Ackerfläche.

Einen "schlafenden Riesen" nennt die Autorengruppe der Weltbank um Derek Byerlee die Guinea-Savanne und will den Riesen wecken. Bis 2030 wird die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents laut Vereinten Nationen um 600 Millionen auf 1,7 Milliarden Menschen wachsen. Es ist so gut wie unmöglich, den künftigen Nahrungsbedarf in Afrika südlich der Sahara allein durch höhere Erträge auf bisherigen Flächen zu decken, berechneten Forscher in dieser Woche im Fachmagazin PNAS. Neue Äcker müssen her.

Doch sind die erschließbaren Landreserven wirklich so riesig? Die Schätzungen schwanken enorm. "Ich kenne kein Problem der landwirtschaftlichen Entwicklung dieser Größenordnung, das so umstritten ist", sagt Regina Birner, die am Institut für Tropische Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim forscht.

Im Jahr 2009, als die Studie der Weltbank erschien, suchten Investoren wegen der Finanzkrise nach neuen Anlagemöglichkeiten. Die Agrarpreise waren hoch, es entstand ein Wettlauf um Land, mancherorts wurde die lokale Bevölkerung vertrieben. Die Ausmaße dieses Landrausches jedoch sind ebenso umstritten wie die des ungenutzten Landes: Der Verbund von Hilfsorganisationen Oxfam spricht forsch von 230 Millionen Hektar. Die Beobachtungs-Initiative Land Matrix verzeichnete auf ihrer Website ursprünglich 83 Millionen Hektar Landakquisitionen, das meiste davon in Afrika. Mittlerweile wurde die Zahl auf 47 Millionen korrigiert, da viele angekündigte Käufe doch platzten oder kleiner ausfielen. Manche Investoren haben sich auch ganz zurückgezogen oder lassen Land brach liegen, weil die Weltagrarpreise deutlich gesunken sind. Doch was, wenn die Preise wieder steigen? Dann wäre es gut zu wissen, wie viel Raum für Großfarmen bleibt - ohne lokale Bauern zu verdrängen.

Viele Flächen sind nur scheinbar ungenutzt: Hirten, Elefanten oder Bauern sind auf sie angewiesen

Es gibt Zweifel an den 400 Millionen Hektar. Jordan Chamberlin, Landnutzungsökonom am internationalen Mais- und Weizenverbesserungszentrum (CIMMYT) in Äthiopien, hat ebenfalls den Riesen gemessen. Allerdings hat er Waldflächen abgezogen und eine strengere Schwelle festgelegt, oberhalb der die Nutzung ökonomisch sinnvoll wäre. Demnach könnten nur 80 bis 170 Millionen Hektar bepflanzt werden. Davon seien 20 Millionen schon an Investoren vergeben, vom Rest liege die Hälfte in Konfliktgebieten.

Womöglich sind sogar diese Zahlen zu hoch. Da sich mit Satellitenaufnahmen eine Nutzung oft nicht erkennen lässt, schätzen sowohl Chamberlin als auch die Weltbank-Forscher, dass Land mit weniger als 15 Einwohnern pro Quadratkilometer brach liegt. Ob das stimmt, sei unklar, gibt Chamberlin zu: Im Wanderfeldbau etwa lassen Bauern Äcker bis zu 20 Jahre brach liegen, damit die Böden sich erholen.

Trotzdem sieht Weltbank-Ökonom Derek Byerlee vor allem Potenziale: "Es wäre nicht fair, wenn wir Afrika die Entwicklungschancen durch Agrarlandexpansion verweigern, die wir selbst genutzt haben", sagt er. Die Artenvielfalt ließe sich trotzdem schützen, mit klug gewählten und gut verwalteten Naturschutzgebieten.

Dass Savannen genutzt werden können, zeigt Brasilien. Lange galt dessen Cerrado als nutzloses Grasland. Dann investierte die Regierung massiv, ließ Sojasorten und Anbaumethoden für die erosionsanfälligen Böden entwickeln, finanzierte Infrastrukturprojekte. Investoren bauten Großfarmen auf, Brasilien wurde zum größten Sojaproduzenten der Welt. Einkommen stiegen, Schulen und Kliniken wurden gebaut. Allerdings ist die Cerrado-Nutzung keineswegs nur eine Erfolgsgeschichte. Land und Einkommen sind heute sehr ungleich verteilt. Indigene Gruppen und Kleinbauern wurden zurückgedrängt. Moderne Farmen benötigen kaum Arbeitskräfte.

Wie groß auch immer der schlafende Riese Afrikas ist: Die Frage ist also auch, wie das Land genutzt werden sollte. "Eine kleinbäuerliche Strategie wäre das weitaus effektivere Mittel zur Armutsbekämpfung", sagt Landrechtsexpertin Marion Aberle von der Welthungerhilfe. Dem stimmt auch Agrarökonomin Birner zu. Allerdings gibt sie zu bedenken, dass man "ökonomische Gesetzmäßigkeiten" berücksichtigen müsse. In Sambia etwa gibt es gewaltige Land- und Wasserreserven. Trotzdem hat das Land eine der höchsten Hunger- und Armutsraten Afrikas, besonders auf dem Land. Könnten diese Bauern nicht auf den freien Flächen Mais für sich und die wachsende Stadtbevölkerung anbauen?

So einfach ist es nicht. 50 Prozent von Sambias Landreserven sind mehr als neun Stunden von der nächsten Stadt entfernt. Kleinbauern siedeln aber eher da, wo es Straßen, Märkte und Schulen gibt. In solchen Gegenden ist Land knapp: Nach Angaben des sambischen Forschungsinstituts für Landwirtschaftspolitik (IAPRI) sagt gut die Hälfte der Kleinbauern, keinen Zugang zu weiterem Land zu haben. In den abgelegenen Regionen jedoch entwickelt sich oft eine Landnutzung mit modernen Maschinen. Schon heute koexistieren deswegen Kleinbauern, mittelgroße Betriebe von aufstrebenden Landwirten, und eben auch Großfarmen von Investoren, die zwölf Prozent des Agrarlands bewirtschaften.

Profitiert Sambia von den Großfarmen? Manche konkurrieren mit Kleinbauern um Land und produzieren nur für den Export. Andere halten die freiwilligen UN-Landnutzungs-Standards ein, teilen Ideen und Technologien und produzieren mit ihren hohen Erträgen dringend benötigte Nahrungsmittel für die Stadtbevölkerung. Antony Chapoto vom IAPRI hält einen solchen Mix aus kleinen und großen Betrieben für die beste Lösung. "Wir müssen das Land erschließen", sagt er. "Durch Forschung, Straßen und Bewässerungsprojekte. Aber wir müssen sicherstellen, dass alle profitieren", sagt Chapoto. Dazu brauche es Landrechte für Kleinbauern und strenge Umweltschutzregeln. Und eine Regierung, die diese umsetzt.

Doch oft sind die Kosten und die sozialen und ökologischen Risiken der Landerschließung hoch. Viel wichtiger sei es deswegen, die Produktion auf bestehenden Äckern zu steigern, sagt Agrarexpertin Birner. Eineinhalb Tonnen Mais je Hektar erntet Patrick, der Taxifahrer, auf seinen Feldern in Zentralsambia. Mit modernen Methoden und Saatgut wären bis zu sechs Tonnen möglich. Dafür aber braucht es funktionierende Saatgut- und Düngermärkte und gute Agrarberatung. Gäbe es die, könnte Patrick seine Erträge vervielfachen. Ganz ohne zusätzliches Land.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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