David J. Gross:Falsche Richtung

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David Jonathan Gross. (Foto: LANL)

Nobelpreisträger David Gross hat wenig Verständnis für den Atomausstieg Deutschlands. Als saubere Energiequelle sei die Kernkraft sinnvoll. Die Kernwaffen allerdings hält er für die größte Bedrohung der Menschheit, wie er im Gespräch erzählt.

Interview von Johanna Pfund

David J. Gross hat 2004 den Nobelpreis gemeinsam mit Frank Wilczek und David Politzer für die Arbeit über Quarks erhalten. In Lindau ist der 78-Jährige zum siebten Mal zu Gast. Und er beschäftigt sich nicht nur mit Quarks.

Sie haben einmal gesagt, Sie hätten größten Respekt vor deutschen Ingenieuren, doch die Deutschen seien verrückt, weil sie ihre Atomkraftwerke abschalten.

David Gross: Ja, das hat sich nicht geändert.

Warum?

Kurz, nachdem ich den Nobelpreis bekommen hatte, wurde ich interviewt. Auch zur Energie. Und ich sagte, Kernenergie sei großartig, sie sei sauberer und sicherer als Kohle. Ich war sehr überrascht über die Reaktion. Das Gleiche ist mir hier in Lindau passiert, kurz nach Fukushima. Der deutsche Wissenschaftsminister war bemüht, den deutschen Atomausstieg zu rechtfertigen. Ich war sehr erstaunt, denn die Gefahr, dass eine Flutwelle ein deutsches Atomkraftwerk trifft, ist sehr gering.

Nun ja, wir hatten Tschernobyl 1986. Davon war Deutschland stark betroffen.

Das ist nichts verglichen mit Kohlekraftwerken. Wie gesagt, der deutsche Minister wollte die deutsche Politik erklären, den öffentlichen Druck. Es erschien mir dumm und sehr teuer, keineswegs rational.

Was ist Ihrer Ansicht nach rational?

Rational wäre, Kraftwerke, die laufen, nicht runterzufahren.

Aber was ist mit dem Atommüll?

Haben Sie schon mal den Abraum von Kohlekraftwerken gesehen? Ich bin zwar kein Experte für Atommüll, aber da gibt es Lösungen. Allerdings sind die Standards der Entsorgung anspruchsvoll, 100 000 Jahre Sicherheit, das ist lang. Die Menschen gibt es seit etwa 10 000 Jahren, die Wissenschaft seit 500 Jahren, und wir machen Standards, die eine Million Jahre gelten sollen. Das ist unvernünftig.

Und sind Atomwaffen vernünftig?

Das ist die größte Gefahr. Ich mache mir sehr viele Sorgen um die jüngere Generation. Sie wuchs nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf und weiß nicht, dass wir die ganze Welt innerhalb von 24 Stunden in die Luft jagen können. Tausende Raketen stehen bereit. Der Rüstungswettlauf beginnt wieder. Das ist besorgniserregend, es die größte Gefahr für unser Überleben, größer als der Klimawandel.

Wieso glauben Sie das?

Seit 20 Jahren geht alles in die falsche Richtung.

Alles, was meinen Sie damit?

Man hat die Rüstungsbegrenzung aufgegeben, viele Institutionen wurden zerstört, Verträge gekündigt, der Nationalismus wächst. Es ist schwer, optimistisch zu sein.

Was würden Sie jungen Wissenschaftlern empfehlen?

Ich weiß es nicht genau. Ich befürchte, dass Menschen in erster Linie von Angst motiviert werden. Ich denke aber auch, dass Bildung ein wesentlicher Faktor ist. Da machen wir nicht genug. Das ist schlecht, die Waffen sind immer noch da.

Also mehr Bildung an den Schulen?

Nun, in Sachen Klimawandel sind die Schüler ja gut informiert. Die Wissenschaft hat da ihre Arbeit getan, und man erlebt auch, dass sich Dinge - wie die Hitze jetzt - verändern. Aber ich sehe auch, dass sich vieles verschlechtert. Tschernobyl zeigte die Gefahren einer korrupten Gesellschaft. Fukushima ist ein weiteres Beispiel dafür, welche Dummheiten bei der Planung gemacht werden. Die Angst vor Gentechnik zeigt, wie irrational und antiwissenschaftlich man handeln kann, und welch großen Schaden das anrichtet.

Sind die Menschen einfach dumm?

Nein, aber sie sehen die Gefahr der Waffen nicht. Die USA geben eine Billion Dollar für Verteidigung aus. Aber was erkaufen wir uns damit? Sind wir sicherer? Mein Glaube an stetigen Fortschritt schwindet. Früher dachte ich, alles wird besser. Jetzt scheinen sich die Dinge umzukehren. Manche fragen sich gar, ob Demokratie die beste Regierungsform ist. Wir wissen viel über Atome und Quarks, aber wenig über das Denken der Menschen. Dagegen sind Quarks leicht. Andererseits konzentrieren wir uns oft auf das Schlechte und vergessen, dass unsere Spezies erstaunlich ist. Es gibt auch Grund zur Hoffnung.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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