Zwischen den Zahlen :Bitte nicht mitnehmen

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"Die Menschen mitnehmen" ist das heimliche Wirtschaftswort des Jahres 2018. Bei näherem Hinschauen entpuppt es sich als Unwort.

Von Harald Freiberger

Das heimliche Wirtschaftswort des Jahres 2018 lautet "mitnehmen", gerne gebraucht in Verbindung mit dem Wort "Menschen". Schon im Januar sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, CDU, er wolle der Digitalisierung mehr Raum geben, "damit wir die Menschen mitnehmen". Im Februar wies Siemens-Chef Joe Kaeser darauf hin, die Digitalisierung führe zu einer "großen Umverteilung in der Gesellschaft, und dabei müssen wir die Menschen mitnehmen". Henkel-Chef Hans Van Bylen fügte im Juli hinzu, er wolle "auf dem Weg in die digitale Arbeitswelt alle Menschen mitnehmen".

Und dann kündigte die Bayerische Oberlandbahn im August auch noch an, ab 2020 ihre 20 Jahre alten Züge zu ersetzen, dann könne man "mehr Menschen mitnehmen". Vom US-Fahrdienst Uber redet man schon gar nicht mehr, der hat sowieso das ganze Jahr über nichts anderes zu tun, als ständig und überall "Menschen mitzunehmen".

Ist es da ein Wunder, dass jetzt, am Ende des Jahres, so viele Menschen mitgenommen aussehen? Vermutlich kommt das daher, dass hinter der Floskel das Bild eines unselbständigen, entmündigten Menschen zum Vorschein kommt. Wer mitgenommen werden muss, bewegt sich nicht aus eigenem Antrieb, sei es, weil er grundsätzlich unbeweglich ist, sei es, weil es ihm am Fahrzeug mangelt.

Wenn ein Manager also sagt: "Wir wollen die Menschen mitnehmen", dann sagt er zwischen den Zeilen dazu: "weil von selbst bewegen sie sich ja nicht". Er bezichtigt seine Mitarbeiter der Passivität. Ganz absurd wird es, wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter dorthin mitnehmen, wo sie selbst gar nicht hingehen, dann zum Beispiel, wenn es zu Umstrukturierungen und Stellenabbau kommt.

Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass das heimliche Wort des Jahres 2018 ein freundlich daherkommendes Unwort ist. Es wäre ein guter Vorsatz im neuen Jahr für alle mitnehmenden Vorgesetzten, sich darum zu kümmern, dass sich ihre Mitarbeiter aus freien Stücken bewegen - und sie dann einfach mal dort zu lassen, wo sie sind.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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