Zwischen den Zahlen:Alles Chichi

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Es gibt einen Ort, an dem zeigt der Kapitalismus seine süßeste Seite: Der Ein-Euro-Shop ist eine Hochburg des Überflusses. Und manchmal auch der Selbsterkenntnis.

Von Angelika Slavik

In der Welt des urbanen Hipsters ist ja gerade nichts so angesagt wie demonstrativer Minimalismus. Man verbringt seine Samstagabende nun also ständig mit Menschen, die erzählen, dass sie ja ganz grundsätzlich "nicht so viel Unnötiges besitzen" wollten, und sich "so viel freier" fühlten, seit sie all ihre überflüssigen Küchenutensilien ausgemistet hätten. Sogar die Nespresso-Maschine, neben den bodentiefen Fenstern der ganze Stolz jeder besser verdienenden Jungfamilie, ist beim urbanen Hipster schon wieder out. Er trinkt jetzt nämlich Filterkaffee. Ohne Karamellsirup und ohne Milchschaum. Sogar ohne Herzchen. Ist doch alles kapitalistisches Chichi!

Von so viel Ursprünglichkeit kann man sich natürlich nur an einem einzigen Ort erholen: dem Ein-Euro-Shop. Der Ein-Euro-Shop ist ohne jeden Zweifel das Beste, das der Kapitalismus uns geschenkt hat. Er ist die Hochburg des Überflusses. Ja, der Ein-Euro-Shop ist vermutlich der beste Ort der Welt. Nirgendwo sonst werden alle Bedürfnisse unser kleinen Kapitalistenexistenz besser gestillt als hier.

Im Ein-Euro-Shop gibt es keine Beschränkungen und keine unerfüllten Sehnsüchte. Man muss nicht vernünftig sein und nicht an seine Budget-Planung denken. Es gibt Anti-Rutsch-Socken in Erwachsenengröße, Teelichter im Hunderter-Pack und Schutzmatten für die Windschutzscheibe. Es gibt Glitzerstifte und Luftschlangen und pinke Salatschüsseln. Gut, manchmal hapert es ein bisschen bei der regionalen Abstimmung. In Hamburg zum Beispiel wird im Ein-Euro-Shop schon seit Monaten Rasierschaum mit dem Emblem des FC Bayern München angeboten. Da muss man schon sagen: Bevor sie sich mit Bayern-Schaum rasieren, tragen die HSV-Fans lieber Vollbart - auch wenn sie dann natürlich schnell mal für Hipster-Anhänger vom FC St. Pauli gehalten werden.

Davon abgesehen ist der Ein-Euro-Shop auch ein Ort der Selbsterkenntnis. Denn natürlich wusste man nicht, dass einem bislang ein türkisfarbener Eier-Schneider gefehlt hat. Aber wenn man ihn dann da stehen sieht, zwischen einem Zweier-Pack Spülbürsten und dem Korb mit den Kofferraum-Gummi-Gurten, kommt man nicht umhin, von all dem makellos geschnittenen Eier-Salat zu träumen, den man künftig herstellen wird. Schüsselweise. Tonnenweise! So viel, man wird glatt die Hipster zum Essen einladen müssen.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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