Zulieferer:Am Ende der Nahrungskette

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Ein Elektro-Auto braucht keine Zündkerzen, wie sie zum Beispiel Bosch in Bamberg herstellt. (Foto: dpa)

Wenn Stromer Verbrenner ersetzen, braucht es irgendwann keine Zündkerzen mehr.

Von Stefan Mayr, Stuttgart/Bamberg

Dieser Brandbrief lässt keine Fragen offen. Auf drei Seiten befiehlt der Leiter des Bosch-Werks in Bamberg seinen Führungskräften, zu sparen, wo es nur geht. "Beschränken Sie sämtliche Budgets bis auf weiteres auf max. 70 Prozent des Planwertes", schreibt der Werkleiter. Danach zählt er 19 Forderungen auf, mit denen er das Millionendefizit des drittgrößten Bosch-Standortes in Deutschland verkleinern will. "Vermeiden Sie Dienstreisen", steht da. "Reduzieren Sie Energiekosten", und: "Beschränken Sie den Ersatz von IT-Hardware auf das Nötigste." Das klingt, als würde ein Standort abgewickelt werden. Kein Geld mehr für Computer, hat so eine Fabrik noch eine Zukunft? "Die Lage ist katastrophal", sagt Betriebsratschef Mario Gutmann.

Und das gilt nicht nur für das Bosch-Werk in Bamberg, sondern auch die Standorte in Homburg und Stuttgart-Feuerbach, wo ebenfalls vorwiegend Komponenten für Dieselmotoren gefertigt werden. Überhaupt gilt es für immer mehr Autozulieferer. Vor allem jene, deren Produkte mit Verbrennermotoren zu tun haben. Ihr Problem: Der Wechsel zur Elektromobilität kommt viel schneller als erwartet. Die Prognose des Bosch-Betriebsrats Gutmann ist düster: "Der Mittelstand wird komplett in die Knie gehen, dieser Prozess hat schon begonnen." Der 52-jährige Maschinenbau-Ingenieur, der auch im Aufsichtsrat der Konzerns sitzt, geht davon aus, dass von den derzeit 800 000 Jobs in der deutschen Autoindustrie in zehn Jahren die Hälfte wegfallen könnte: "Wenn die E-Mobilität explosionsartig kommt, dann ist es mit unserem Wohlstand in Deutschland vorbei."

Ob diese Explosion wirklich so kommt, ist noch offen. Aber tatsächlich mehren sich die schlechten Nachrichten: Volkswagen, Audi und Ford kündigten vergangene Woche massiven Jobabbau an. Auch die großen Zulieferer Bosch, Continental und Schaeffler wollen abspecken. Leoni kündigte am Sonntag an, 2000 Arbeitsplätze zu streichen; ein Zehntel des gesamten Geschäftes steht zur Disposition. Von betriebsbedingten Kündigungen ist in der Branche zwar noch keine Rede. Aber das könnte kommen, sobald das Auftragsminus bei den kleineren Fischen am Ende der Nahrungskette ankommt. "Das kann schmutzig werden", befürchtet Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall Baden-Württemberg. Die Gründe für diese Krise sind vielfältig: In Europa drohen Fahrverbote, in China werden zunehmend Elektroautos gekauft - und immer weniger Verbrenner.

Etliche Zulieferer haben die Gefahr rechtzeitig erkannt. Sie haben Know-how bei der Elektromobilität aufgebaut oder zugekauft, sodass sie Umsatzverluste bei Verbrenner-Komponenten kompensieren können. Aber so manchem Familienbetrieb fehlt dazu das Geld oder die Zeit. "Vor drei, vier Jahren hätte ich nicht gedacht, dass das so eine Dynamik bekommt", sagt Stefan Wolf, Chef des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Auch Wolf sieht die Zukunft dieser Mittelständler skeptisch: "Die werden entweder aufgekauft oder einige werden auch verschwinden." Wolf kündigt einen "dramatischen Wandel" in der Branche an: "Wir werden in der Entwicklung gut dabei sein, aber das Profil des klassischen Fabrikarbeiters wird aussterben." Wolf weiß, wovon er spricht. Als Vorstandsvorsitzender des börsennotierten Zulieferers Elring-Klinger ist er von der Umwälzung selbst betroffen. Das Unternehmen aus Dettingen gilt als führender Experte für Zylinderkopfdichtungen. Aber wer braucht die noch im Elektro-Zeitalter? Zurzeit macht Wolf mit E-Mobilität nur rund ein Prozent des Umsatzes. Er versucht, das Ruder herumzureißen. Elring-Klinger entwickelt komplette Batteriesysteme und eine Brennstoffzelle, deren Effizienz "einzigartig" sei. Die Börse teilt Wolfs Optimismus nicht: Seit 2016 stürzte die Aktie von 23 Euro auf sechs Euro ab.

Allein in Bamberg werden künftig pro Jahr 200 bis 250 Jobs wegfallen

Bosch muss zwar nicht auf Börsenkurse schauen und hat andere Geschäftsbereiche, die Gewinne einfahren. Dennoch hat auch der Stiftungskonzern 2018 in seiner Dieselsparte 600 Arbeitsplätze abgebaut. Und 2019 sollen mindestens 500 weitere folgen. Allein in Bamberg werden künftig pro Jahr 200 bis 250 Jobs wegfallen, weil ausscheidende Mitarbeiter nicht mehr ersetzt werden. "Das ist ein schleichender Abstieg", sagt Mario Gutmann. In zehn Jahren werde die Belegschaft von 7500 auf 5000 gesunken sein. "Diese Jobs sind für immer verloren." Und wenn der größte Arbeitgeber im Großraum Bamberg schrumpft, dann trifft das auch die umliegenden Zulieferer. Nachzulesen ist das in dem Rundschreiben des Werkleiters: "Reduzieren sie Fremdvergaben auf ein Minimum, setzen Sie, wenn möglich, eigene Mitarbeiter ein." Bosch-Manager Uwe Gackstatter nennt das "Insourcing".

Ein Elektromotor lässt sich mit viel weniger Arbeitskräften bauen als ein Verbrenner. Bosch versucht gegenzusteuern und experimentiert in Bamberg und Homburg mit einer Brennstoffzellen-Produktion. Ob es jemals zur Serienproduktion kommt, ist offen. Und selbst wenn, dann hilft das nur begrenzt. "Wir werden aus heutiger Sicht nie mehr ein Erzeugnis haben, das die gleiche Fertigungstiefe und somit Beschäftigung für gut bezahlte Industriearbeitsplätze hat wie ein Dieselmotor", prophezeit Bosch-Betriebs- und Aufsichtsrat Gutmann. Für den bevorstehenden Abbau macht er auch die Politik verantwortlich. Die wachsende Angst um Arbeitsplätze wird die IG Metall am 29. Juni nach Berlin tragen: Sie organisiert eine Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor. Es könnte, so wie es aussieht, noch ein ziemlich heißer Sommer in der Auto-Republik werden.

© SZ vom 18.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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