Zufriedenheit durch Konsumgüter:Besitz bedeutet nicht alles

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Zufriedenheit durch Konsumgüter: Illustration: Lisa Bucher

Illustration: Lisa Bucher

Strebt der Mensch bloß nach Geld und Reichtum? Ach was! Es geht ihm um Wohlergehen und das eigene Glück. Die Wirtschaftswissenschaft stellt das vor ein Problem - sie muss sich grundsätzlich neu ausrichten.

Gastbeitrag von Dennis J. Snower

Sind Ökonomen überflüssig? Seit der Finanzkrise gibt es eine Debatte, ob Ökonomen noch relevante Erkenntnisse für Bürger oder Politiker liefern können. Selbst die Kanzlerin hat Ökonomen jüngst auf dem Nobelpreisträgertreffen in Lindau erneut aufgefordert, praxisnähere Ratschläge für die Politik zu liefern und ihr Gedankengerüst des ökonomischen Erfolgs zu überarbeiten. Die Wirtschaftswissenschaft ist in der Defensive, und sie hat sich dort selbst hineinmanövriert.

Zunächst einmal ist die Kritik paradox. Die Ökonomie hat nach wie vor einen immensen Einfluss: In fast allen Politikbereichen - sei es Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Umweltpolitik, Finanz- und Geldpolitik oder Gesundheitspolitik - fallen Entscheidungen auf Basis gängiger ökonomischer Analysen. Öffentliche Debatten um Inflation, Arbeitslosigkeit, Wachstum oder Ungleichheit werden entlang der Paradigmen geführt, die sich in ökonomischen Lehrbüchern finden.

Angesichts dieses Paradox - weitreichende Unzufriedenheit bei gleichzeitiger Abhängigkeit von ökonomischen Lehrsätzen - plädiere ich dafür, dass sich die Wirtschaftswissenschaft grundsätzlich neu ausrichtet. Was "Ökonomie" umfasst, muss neu definiert werden.

Über den Autor

Dennis J. Snower, 63, Amerikaner, ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

Menschen streben ständig nach mehr

Derzeit wird in der etablierten wirtschaftswissenschaftlichen Lehre angenommen, dass jeder ein Homo oeconomicus ist: ein rational handelndes, selbstbezogenes und vornehmlich auf materielle Zugewinne ausgerichtetes Individuum. Auf dieser Basis definieren Lehrbücher die Ökonomie als Wissenschaft, die Allokation und Verteilung von Ressourcen untersucht. Diese sind dabei immer knapp, weil Menschen ständig nach mehr streben. Das von der Ökonomie zu lösende Problem besteht darin, zu ermitteln, wer angesichts knapper Ressourcen welche Güter und Dienstleistungen produziert und nachfragt. In einer Marktwirtschaft läuft dieser Koordinationsprozess über frei gebildete Preise: Was knapp ist, ist teuer. Wer etwas unbedingt möchte, zahlt mehr dafür.

Das fundamentale Problem dieses Ansatzes ist, dass der Homo oeconomicus falsch abbildet, wie sich Menschen verhalten. Sie sind eben nicht ausschließlich rational, weil Verhalten vor allem durch Emotionen und Erfahrungen gesteuert wird. Sie sind nicht nur selbstbezogen, weil auch Fairness, Leidenschaft und Fürsorge im Menschen verankert sind. Und weil Präferenzen maßgeblich von den sozialen Gruppen abhängen, in denen wir uns bewegen. Auch treibt uns nicht nur Materielles an, sondern persönliche Beziehungen sind uns wichtig, unsere soziale Einbindung.

Indem die meisten Ökonomen den Homo oeconomicus verinnerlicht haben, hat unsere Disziplin den Blick auf das Ziel ökonomischer Aktivität verloren: Es geht nicht darum, so materiell reich wie möglich zu werden, sondern unser Wohlergehen muss im Blickpunkt stehen - also ein viel umfassenderes Bild des Wohlbefindens. Daher sollte die Wirtschaftswissenschaft nicht nur die Allokation und Verteilung knapper Ressourcen behandeln, sondern sich mit der materiellen Basis des menschlichen Wohlergehens befassen.

Das Glück wächst nicht mit materiellem Wohlstand

Dabei geht es nicht um eine semantische Übung. Denn das Menschenbild des Homo oeconomicus ist nicht nur ein vereinfachendes theoretisches Konstrukt für ökonomische Modelle. Sondern, wo es sich aus der Wissenschaft heraus einschleicht in Politik, Unternehmenswelt und Gesellschaft, verinnerlichen Menschen das Bild vom Homo oeconomicus und handeln zunehmend danach. Je mehr wir uns auf Allokation und Verteilung fokussieren, desto mehr tritt das Bestreben nach weitreichendem Wohlergehen in den Hintergrund.

Es gibt inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Belege, dass - sobald man den Bereich wirklicher Armut verlässt - mit dem materiellen Wohlstand nicht in gleichem Maß das Glück wächst. Zumindest nicht auf die gesamte Gesellschaft bezogen. Je stärker der Wohlstand wächst, desto geringer fällt der Zuwachs an Zufriedenheit aus, weil wir uns schnell an materielle Standards gewöhnen. Gleichzeitig sorgt ein materiell motivierter Dauerlauf zum Wachstum für die bekannten negativen Folgen: die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Umweltschäden und Konflikte um materiellen Besitz.

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