Zufriedenheit durch Konsumgüter:Besitz bedeutet nicht alles

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Strebt der Mensch bloß nach Geld und Reichtum? Ach was! Es geht ihm um Wohlergehen und das eigene Glück. Die Wirtschaftswissenschaft stellt das vor ein Problem - sie muss sich grundsätzlich neu ausrichten.

Gastbeitrag von Dennis J. Snower

Sind Ökonomen überflüssig? Seit der Finanzkrise gibt es eine Debatte, ob Ökonomen noch relevante Erkenntnisse für Bürger oder Politiker liefern können. Selbst die Kanzlerin hat Ökonomen jüngst auf dem Nobelpreisträgertreffen in Lindau erneut aufgefordert, praxisnähere Ratschläge für die Politik zu liefern und ihr Gedankengerüst des ökonomischen Erfolgs zu überarbeiten. Die Wirtschaftswissenschaft ist in der Defensive, und sie hat sich dort selbst hineinmanövriert.

Zunächst einmal ist die Kritik paradox. Die Ökonomie hat nach wie vor einen immensen Einfluss: In fast allen Politikbereichen - sei es Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Umweltpolitik, Finanz- und Geldpolitik oder Gesundheitspolitik - fallen Entscheidungen auf Basis gängiger ökonomischer Analysen. Öffentliche Debatten um Inflation, Arbeitslosigkeit, Wachstum oder Ungleichheit werden entlang der Paradigmen geführt, die sich in ökonomischen Lehrbüchern finden.

Angesichts dieses Paradox - weitreichende Unzufriedenheit bei gleichzeitiger Abhängigkeit von ökonomischen Lehrsätzen - plädiere ich dafür, dass sich die Wirtschaftswissenschaft grundsätzlich neu ausrichtet. Was "Ökonomie" umfasst, muss neu definiert werden.

Menschen streben ständig nach mehr

Derzeit wird in der etablierten wirtschaftswissenschaftlichen Lehre angenommen, dass jeder ein Homo oeconomicus ist: ein rational handelndes, selbstbezogenes und vornehmlich auf materielle Zugewinne ausgerichtetes Individuum. Auf dieser Basis definieren Lehrbücher die Ökonomie als Wissenschaft, die Allokation und Verteilung von Ressourcen untersucht. Diese sind dabei immer knapp, weil Menschen ständig nach mehr streben. Das von der Ökonomie zu lösende Problem besteht darin, zu ermitteln, wer angesichts knapper Ressourcen welche Güter und Dienstleistungen produziert und nachfragt. In einer Marktwirtschaft läuft dieser Koordinationsprozess über frei gebildete Preise: Was knapp ist, ist teuer. Wer etwas unbedingt möchte, zahlt mehr dafür.

Das fundamentale Problem dieses Ansatzes ist, dass der Homo oeconomicus falsch abbildet, wie sich Menschen verhalten. Sie sind eben nicht ausschließlich rational, weil Verhalten vor allem durch Emotionen und Erfahrungen gesteuert wird. Sie sind nicht nur selbstbezogen, weil auch Fairness, Leidenschaft und Fürsorge im Menschen verankert sind. Und weil Präferenzen maßgeblich von den sozialen Gruppen abhängen, in denen wir uns bewegen. Auch treibt uns nicht nur Materielles an, sondern persönliche Beziehungen sind uns wichtig, unsere soziale Einbindung.

Indem die meisten Ökonomen den Homo oeconomicus verinnerlicht haben, hat unsere Disziplin den Blick auf das Ziel ökonomischer Aktivität verloren: Es geht nicht darum, so materiell reich wie möglich zu werden, sondern unser Wohlergehen muss im Blickpunkt stehen - also ein viel umfassenderes Bild des Wohlbefindens. Daher sollte die Wirtschaftswissenschaft nicht nur die Allokation und Verteilung knapper Ressourcen behandeln, sondern sich mit der materiellen Basis des menschlichen Wohlergehens befassen.

Das Glück wächst nicht mit materiellem Wohlstand

Dabei geht es nicht um eine semantische Übung. Denn das Menschenbild des Homo oeconomicus ist nicht nur ein vereinfachendes theoretisches Konstrukt für ökonomische Modelle. Sondern, wo es sich aus der Wissenschaft heraus einschleicht in Politik, Unternehmenswelt und Gesellschaft, verinnerlichen Menschen das Bild vom Homo oeconomicus und handeln zunehmend danach. Je mehr wir uns auf Allokation und Verteilung fokussieren, desto mehr tritt das Bestreben nach weitreichendem Wohlergehen in den Hintergrund.

Es gibt inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Belege, dass - sobald man den Bereich wirklicher Armut verlässt - mit dem materiellen Wohlstand nicht in gleichem Maß das Glück wächst. Zumindest nicht auf die gesamte Gesellschaft bezogen. Je stärker der Wohlstand wächst, desto geringer fällt der Zuwachs an Zufriedenheit aus, weil wir uns schnell an materielle Standards gewöhnen. Gleichzeitig sorgt ein materiell motivierter Dauerlauf zum Wachstum für die bekannten negativen Folgen: die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Umweltschäden und Konflikte um materiellen Besitz.

Warum tun wir uns das an? Erstens, weil wir uns an dieses Schema gewöhnt haben, zweitens, weil es die anderen um uns herum auch tun, und drittens, weil wir systematisch überschätzen, wie viel mehr Zufriedenheit uns das nächste Auto, Handy oder die Designer-Handtasche bringt.

Was bringt uns denn wirklich nachhaltig Erfüllung? Studien aus einer Reihe von Disziplinen - etwa Psychologie, Anthropologie, Soziologie, Neurologie - haben dazu inzwischen Erkenntnisse geliefert. Über Zeiten, Länder und Kulturen hinweg sind dafür folgende Faktoren wichtig: durch eigene Aktivität erreichte persönliche Erfolge; das Erkennen, Erweitern und Einsetzen unserer persönlichen Stärken; Selbstbewusstsein und Respekt für andere; erfüllende persönliche Beziehungen und ein soziales Zugehörigkeitsgefühl. Wichtig ist zudem, anderen zu geben und deren Glück zu steigern.

Solche positiven Lebenserfahrungen entwerten sich nicht, weil man sich daran gewöhnt. Im Gegenteil: Sie schaffen dauerhaftes Wohlergehen für sich selbst - und für andere. Die Wirtschaftswissenschaft sollte, zusätzlich zu ihrem derzeitigen Fokus, die materielle Basis dieser Lebenserfahrungen - die Beziehung zwischen diesen Erfahrungen und traditionell ökonomischen Aktivitäten - erforschen. Wenn unser Ziel umfassendes Wohlergehen ist, darf ökonomischer Erfolg nicht nur am Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts gemessen werden. Diese Forderung hat auch die Bundeskanzlerin in Lindau erhoben und sie hat damit recht.

Faktoren des Wohlergehens nicht einheitlich messbar

Aber hier wird es kompliziert. Denn die genannten Faktoren des Wohlergehens sind weder durch ein einzelnes Maß messbar, noch in vergleichbaren Kennzahlen zu erfassen. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Initiativen von traditionellen Ökonomen, Verhaltensökonomen und Glücksforschern, neue Maßzahlen für Wohlergehen oder Lebensqualität zu entwickeln. Der Bundestag hatte eine Kommission dafür eingesetzt. Andere Länder nutzen solche Kennzahlen schon als Grundlage für politische Entscheidungen.

Doch unser Wohlergehen ist kein homogenes Gut, das sich einfach messen lässt. Es hängt zum Beispiel vom sozialen Umfeld ab, in dem wir uns befinden. Das Toben und Lachen eines Kindes kann uns erfreuen, in einer anderen Situation stört es uns und weckt unsere Abwehr. Wer hofft, ein oder zwei neue Kennzahlen können uns künftig bei ökonomischen Entscheidungen leiten, um das Wohlergehen zu erhöhen, wird enttäuscht werden.

Um auch das klarzustellen: Es geht nicht darum, den Sinn von Marktmechanismen generell in Frage zu stellen. Sie sind nach wie vor das effizienteste Steuerungsinstrument für Volkswirtschaften, die politisch und sozial stabil sind. Aber Ökonomen müssen klassische Modelle ergänzen, um unsere materiellen Bestrebungen im Kontext einer dauerhaft erfüllenden Lebensgestaltung zu integrieren.

Wir müssen uns fragen, welche Bereiche unseres Lebens durch Marktkräfte bestimmt werden und ob dies immer sinnvoll ist. Wenn wir im Glauben an den Homo oeconomicus immer mehr Entscheidungen durch Marktprozesse steuern lassen, könnten wir andere Motivationen wie Verantwortungsbewusstsein, Mitgefühl und Vertrauen verdrängen, die uns womöglich mehr Lebenserfüllung bringen könnten.

Wir können dann Antworten auf ganz praktische Fragen gewinnen: Ist es sinnvoll, Kinder für gute Schulnoten mit Geld zu belohnen? Ist es für Länder zielführend, Einwanderungsrechte zu verkaufen? Sollten wir militärische Aufgaben von privaten Firmen erledigen lassen?

Mit der Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer habe ich begonnen, das neue Feld "Caring Economics" zu entwickeln und zu erforschen, wie ökonomische Ansätze zu ergänzen wären. Wir unterscheiden dabei zwischen positionsgetriebenen Bestrebungen, mit denen wir uns selbst besser stellen, aber auf Kosten einer Schlechterstellung anderer. Damit stellt die Gesellschaft sich insgesamt nicht besser.

Auf der anderen Seite gibt es nicht-positionsgetriebene Bestrebungen, in denen wir uns selbst besser stellen, andere aber auch. In der Summe entsteht also ein positives Ergebnis. Auch hier gibt es praktische Implikationen: Gelingt es uns, neben wettbewerblichen auch kooperative Ansätze zu etablieren, werden wir neue Lösungsansätze für Verhandlungen über globale Probleme wie Klimawandel oder Finanzkrisen finden können, die kein Land für sich alleine lösen kann.

Ergänzende Konzepte sind erforderlich

Wir stehen noch am Anfang, aber das Ziel ist klar: Mit dem Leitbild des Homo oeconomicus alleine werden wir als Ökonomen nicht Wege zu nachhaltigem Wohlergehen aufzeigen können. Wir brauchen ergänzende Konzepte, die andere im Menschen verankerte Triebkräfte wie soziale Einbindung, Vertrauen und Mitgefühl nutzen. Dazu werden wir gemeinsam mit anderen Disziplinen forschen müssen, die sich mit den Grundlagen menschlichen Verhaltens befassen.

Auch hier sprechen wir nicht von rein theoretischen Überlegungen, sondern von Fragen, die sich in Politik übersetzen lassen. Das Kanzleramt richtet gerade eine Projektgruppe ein, die verhaltensökonomische Erkenntnisse für politische Entscheidungen nutzbar machen soll. Ähnliche Teams gibt es in den USA und Großbritannien. Das zeigt: Wenn wir Ökonomen offen sind für neue Ansätze und interdisziplinär forschen, werden wir unseren gewaltigen Einfluss auf die Politik und Gesellschaft besser rechtfertigen können und zeigen, dass wir alles andere als überflüssig sind.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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