Zu Besuch beim VW-Vertrauensanwalt:Diskret gegen korrupt

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Wenn Volkswagen-Mitarbeiter über das reden wollen, worüber sonst alle schweigen - gibt es da eine Möglichkeit.

Klaus Ott

Das Mensch-ärgere-Dich-nicht, das einen erheblichen Teil des Tisches einnimmt, fällt sofort auf. Erstens, weil in Konferenzräumen normalerweise keine Brettspiele aufgebaut sind; und schon gar keine, die ungewöhnlich groß sind.

"Vertraulich Hinweise auf Bestechungsfälle entgegennehmen." (Foto: Foto: ddp)

Zweitens, weil die Figuren anders gestaltet sind als üblich; Wandersleute, Pilze, Schafe und Hunde stehen auf den bunten Feldern. Und drittens, weil das Spiel eigentlich gar nicht so recht zu diesem Ort passt. Viele von denen, die in die kleine Bürogemeinschaft im Frankfurter Westend kommen, wollen los werden, was sie ärgert und bedrückt.

"Viele sind verzweifelt"

Sie brauchen jemanden, dem sie vertrauen können, und da sind sie bei Rainer Buchert genau an der richtigen Adresse. Buchert ist kein Arzt, sondern Anwalt, aber manchmal kommt er sich vor wie ein Mediziner mit dem Spezialfach Psychologie.

Das überdimensionale Brettspiel hat der promovierte Jurist vorgefunden, als er 1999 in die Kanzlei in Frankfurt am Main einstieg. Das Mensch-ärgere-Dich-nicht dient als Dekoration in dem ansonsten eher schmucklosen Raum, in dem Buchert seine Mandanten und Informanten trifft.

Buchert, 59, ist ein Mann für besondere Aufgaben. Im Bundeskriminalamt bekämpfte er den RAF-Terrorismus und den internationalen Rauschgifthandel, in Sachsen-Anhalt war er nach dem Ende der DDR Landeskriminaldirektor, und von 1993 bis 1999 diente er als Polizeipräsident in Offenbach, ehe Hessens CDU-Regierung ihn und andere Spitzenbeamte mit SPD-Parteibuch auswechselte.

Buchert mochte mit 52 Jahren nicht in Rente gehen; er ließ sich als Anwalt nieder und hat längst einen neuen Spezialjob, den es in Deutschland allenfalls bei zehn bis zwanzig Firmen und Behörden gibt, obwohl der Bedarf weit größer wäre: Ombudsmann gegen Korruption.

Als Ansprechpartner für die Beschäftigten und Geschäftspartner des Autokonzerns VW setzt der Anwalt heute das fort, was er zuvor sechs Jahre lang erfolgreich bei der Deutschen Bahn und in deren Auftrag praktiziert hat: vertraulich Hinweise auf Bestechungsfälle entgegennehmen. Auch die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES), die Stadtreinigung, hat den Juristen engagiert.

Der Ombudsmann gegen Korruption erweist sich, seitdem ihn die Bahn im Jahr 2000 als eines der ersten Großunternehmen hierzulande eingeführt hat, längst als wirksames Instrument gegen die Wirtschaftskriminalität.

Der Schienenkonzern erhielt über Buchert und zwei weitere eigens eingeschaltete Juristen bisher gut 300 Hinweise auf Bestechung, Untreue und Betrug; die meisten davon waren und sind stichhaltig, mehr als 100 beschäftigen inzwischen Staatsanwälte quer durch die Republik.

Geschmierte Bahnmanager ließen vielfach überhöhte Rechnungen begleichen, auf denen Baufirmen Leistungen notiert hatten, die niemals erbracht worden waren.

Bislang ermittelter Gesamtschaden bei der Bahn: einige zehn Millionen Euro. Delikte dieser Art sind ohne die Hilfe von Anwälten, die ihre Informanten schützen, oftmals gar nicht aufzudecken. Große Teile der Belegschaft haben Angst, seltsame Vorkommnisse den eigenen Chefs zu melden.

Man weiß ja nie, ob nicht auch der direkte Vorgesetzte verstrickt ist. Und dann sind da noch Geschäftspartner, die etwas mitbekommen, die aber um ihre Aufträge fürchten, falls sie auspacken. ,,80 Prozent der Leute, die sich an mich wenden, würden sonst schweigen'', glaubt Buchert.

Er wird von vielen Unternehmen um Rat gefragt, er kommt viel herum, und hat selbst schon erlebt, wie in einem Konzern Mitarbeiter gemobbt oder gar entlassen wurden, die offen auf Missetaten von Kollegen hingewiesen hatten.

Buchert ist meist die letzte Rettung für Beschäftigte, die unter der Last ihres Wissens leiden. ,,Viele sind verzweifelt'', sagt der Jurist; manche nennen vor lauter Angst beim ersten Kontakt am Telefon einen Allerweltsnamen. Kürzlich rief ein Herr Schmidt aus dem süddeutschen Raum an und erreichte Buchert beim Kleiderwechsel im Hotel.

Es wurde ein längeres Gespräch über einen möglichen Korruptionsfall. Kürzlich meldete sich Herr Schmidt wieder, dieses Mal mit richtigem Namen, man vereinbarte ein Treffen. Buchert war es wieder einmal gelungen, dem Informanten die Sorge zu nehmen, dessen Name könne durchsickern. ,,Ich könnte mittlerweile ein Buch über angewandte Psychologie schreiben'', sagt der Jurist.

"Krebsübel der Gesellschaft"

Fast alle, die sich an ihn wenden, haben sonst niemanden, mit dem sie über ihre Beobachtungen reden könnten. Zum Beispiel darüber, dass ein Konzernmanager sich eine private Feier von Lieferanten bezahlen lasse. Vertrauen schaffen, das ist die erste und vielleicht auch wichtigste Funktion von Ombudsleuten gegen Korruption. ,,Mir gefällt das Wort Vertrauensanwalt viel besser als Ombudsmann'', sagt Buchert.

Dem älteren Herrn mit dem weißen Bart schütten inzwischen viele Leute ihr Herz aus, weil sie wissen, dass sie bei ihm gut aufgehoben sind. Als Anwalt unterliegt er der Schweigepflicht und darf nur weitergeben, was die Gesprächspartner gestatten.

Noch kein einziger Name sei durchgesickert, sagt der Jurist, und noch niemand habe versucht, von ihm einen Namen zu erfahren. Weder seine Auftraggeber noch die Polizei oder Staatsanwaltschaft. Die Unternehmen bezahlen Buchert, als Gegenleistung erhalten sie wertvolle Informationen, aber eben keinerlei Hinweise auf die Informanten.

Der Ombudsmann sei ein ,,wichtiger Baustein in der Mauer gegen Korruption'', sagt der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, einer der bundesweit bekanntesten Schmiergeld-Fahnder. Den aus Skandinavien stammenden Ombudsmann könne man inzwischen auch in Deutschland buchstabieren, fügt Schaupensteiner hinzu, aber es gebe noch viel zu tun.

Die Bundesregierung steht noch abseits, die meisten Länder ebenfalls; auch der kürzlich von einer Bestechungsaffäre erschütterte Autobauer BMW glaubt, ohne externe Ansprechpartner für die Mitarbeiter auskommen zu können. Rheinland-Pfalz leistet sich einen Ombudsmann, die R+V Versicherung und ein paar andere Firmen, aber das sind eher die Ausnahmen.

Ein vom Bundeskriminalamt kürzlich veröffentlichtes ,,Bundeslagebild Korruption'' zeichnet ein düsteres Bild. Knapp 1650 Ermittlungsverfahren und 8323 Tatverdächtige wurden 2005 registriert, weit mehr als im Jahr zuvor. Experten schätzen die Dunkelziffer auf mehr als 90 Prozent. Die Bestechung blüht und gedeiht in Deutschland.

Schaupensteiner spricht von einem ,,Krebsübel der Gesellschaft''; Bahnchef Hartmut Mehdorn von einer ,,Geißel der modernen Wirtschaft''. Als Anfang des Jahrzehnts spektakuläre Bestechungsfälle den staatlichen Schienenkonzern in Misskredit brachten, wollte der erst kurz zuvor zum Vorstandschef berufene Mehdorn umgehend einen Selbstreinigungsprozess in Gang setzen. Mehdorn und die Bahn erkannten schnell: Ohne Hilfe von außen musste der Kampf gegen die Korruption scheitern.

Schmiergeldzahlungen sind schwer aufzudecken. Die Geschädigten wissen gar nicht, dass sie betrogen werden; Anzeigen kommen kaum vor. Wer aufklären will, muss an die Mitwisser heran, an Leute aus dem engsten Umfeld der Täter. Mitarbeiter, Familienangehörige, Geschäftsfreunde, oft abhängig von denen, die bestechen oder sich bestechen lassen.

Der persönliche Kontakt ist ausschlaggebend

Polizisten und Staatsanwälte kommen in diese Kreise in der Regel erst gar nicht hinein, auch nicht die Unternehmen selbst. Mehdorn ließ einen Berliner Anwalt, der früher im Unternehmen gearbeitet hatte, und Buchert als Ombudsleute berufen. Als Buchert in diesem Jahr auch ein Mandat bei VW annahm, ersetzte ihn die Bahn durch einen anderen Juristen.

Anonyme Hinweise auf Korruption, wie sie bei Kommunen oder Landeskriminalämtern möglich sind, enden meist in einer Sackgasse. ,,Der persönliche Kontakt ist ausschlaggebend'', sagt Buchert. Nur so ließe sich einschätzen, welche Motivation der Informant habe, wie glaubwürdig er sei; und man könne vor allem nachhaken, falls die ersten Informationen nicht ausreichten. Er habe noch keinen Fall von versuchtem Rufmord erlebt. Auch die betrogene Gattin spreche kaum vor - anders als bei Steuerfahndern und Staatsanwälten. Dort zählen ausgebootete Ehefrauen, die das beiseite geschaffte Vermögen ihrer Männer enttarnen, zu den besten Quellen.

Buchert ist in seinen sechs Jahren bei der Bahn einiges untergekommen. Da wurden, um Oberleitungen zu schützen, angeblich Bäume gefällt, die nie gewachsen waren. Da haben Unternehmen Mitarbeiter abgerechnet, die gar nicht im Einsatz waren. Und da wurde die Bahn auch bei Geschäften mit Schwellen, Schotter oder Güterwaggons fleißig ausgeplündert. Bahnmanager ließen sich mit satten Überweisungen auf Schweizer Konten oder Einladungen zur Großwildjagd nach Südafrika bestechen.

Nun also VW. Schon vor dem Skandal um geschmierte Betriebsräte hat der Wolfsburger Autokonzern erwogen, mit Ombudsleuten zu arbeiten; seit einem dreiviertel Jahr sind Buchert und ein weiterer Anwalt aktiv. Die Belegschaft ist informiert, umfassend und weltweit, in sieben Sprachen, sogar auf Chinesisch; VW ist ein internationaler Konzern. Inzwischen gehen regelmäßig Hinweise ein, in einem ähnlichen Umfang wie bei der Bahn.

Für den Frankfurter Juristen gibt es wieder viel zu tun, auch im Ausland. Wie einst im Bundeskriminalamt, als er weltweit den Drogenhändlern nachspürte und seine Kollegen in anderen Staaten unterstützte, so weit das eben ging. Den Fahndern in Lissabon verschaffte der deutsche Beamte sogar Dienstautos. Ermittlungen mit der Straßenbahn - das ging Buchert eindeutig zu langsam.

© SZ vom 04.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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