Zoiglbierhauptstadt:Habe die Ehre

Lesezeit: 3 min

In Windischeschenbach in der Oberpfalz schenken Bürger selbst gebrauten "Zoigl" aus, seitdem steigen die Übernachtungszahlen, die ersten Holländer sind schon da.

Paul Katzenberger

Und wieder ist es nichts mit einer kleinen Pause: Robert Sperber hatte gehofft, dass er am frühen Samstagnachmittag einige freie Minuten haben würde, dann sind doch wieder "überraschend viele Gäste" in seine Zoigl-Stube "Beim Binner" im nordbayerischen Windischeschenbach gekommen.

Der Regent des Kommunbrauhauses von Windischeschenbach: Robert Sperber braut jedes Jahr 1000 Hektoliter ungefiltertes Zoigl-Bier. (Foto: Foto: pak)

Deshalb muss jetzt die ganze Familie anpacken: Während Frau Irene und Sohn Johannes in der Küche im Akkord Pressack-, Streichwurst- oder Sulz-Brotzeiten anrichten, gibt Sperber in der Gaststube gleichzeitig den Barmann und Kellner: Unzählige Zoigl-Biere wollen erst gezapft und dann an alle zehn Tische der Stube getragen werden.

Sperber macht das souverän und umsichtig - und so verwundert es nicht, dass sich unter dem Einfluss des steigenden Alkoholpegels rasch die typische Zoigl-Geselligkeit einstellt. Wer neu in die Stube kommt, sagt "Habe die Ehre", setzt sich mit an den Tisch und ist sofort beim "Du".

"Hier spricht der Staatsanwalt mit dem Kleinkriminellen", beschreibt ein Tischnachbar diese ganz spezielle Form der Gemütlichkeit. Wobei diese auch durch sehr reelle Preise gefördert wird: 1,50 Euro kostet die Halbe Bier und 3,50 Euro eine herzhafte Brotzeit.

Braurecht seit 1455

Der Zoigl selbst tut als untergäriges und ungefiltertes Traditionsbier ein Übriges: Für seine Qualität reisen Kenner inzwischen extra von weit her an. Schließlich bezeichnet sich Windischeschenbach selbst inzwischen als "Zoiglbierhauptstadt": Diesen Nimbus erarbeitete sich der Ort, seit er im Jahre 1455 das Braurecht erhielt.

Zehn Bürger nutzen derzeit dieses Recht, indem sie das Bier ausschenken, das sie im Kommunbrauhaus brauen. Die Zoiglstuben, mit Namen wie Stern, Schlosshof, Da Roude, Gloser, Fiedlschneider oder eben Binner, sind aber keine Dauereinrichtungen. Vielmehr legen die Wirte ein Jahr im Voraus fest, wer an welchem Wochenende öffnen darf. Von Freitag bis Montag sind so im Wechsel jeweils zwei Zoiglstuben geöffnet - jeder kommt mindestens einmal im Monat dran.

Nachzulesen sind die Öffnungszeiten in einem streichholzschachtelgroßen Faltblatt, das jedes Jahr im Ort kursiert. Wer gerade ausschenkt, hängt den Zoigl-Stern aus der Dachluke oder über die Eingangstür. Der Sechszack sieht aus wie der Davidstern, ist aber das mittelalterliche Zeichen der Brauer. Das Symbol für die drei Elemente Feuer, Wasser und Luft sowie die Bierzutaten Wasser, Malz und Hopfen markiert in der Oberpfalz und in Franken seit Jahrhunderten die Bierschänken. Aus diesem Zeiger wurde später im Oberpfälzer Dialekt der Zoigl.

Per Traktor zum Gärbottich

Ohne Binner-Wirt Sperber würde der Zoigl in Windischeschenbach allerdings rasch zur Neige gehen: Sperber ist der unumstrittene Regent des Kommunbrauhauses: 1000 Hektoliter der Jahresproduktion von 1500 Hektolitern braut Sperber für alle Wirte bis zum Stadium der Würze - für die restlichen 500 Hektoliter zeichnet Schlosshof-Wirt Peter Weiß verantwortlich.

Erst die Vergärung mit der Hefe übernehmen die einzelnen Zoigl-Wirte dann in eigener Regie, weswegen die Würze per Traktor in einem Fuhrfass vom Kommunbrauhaus zu den hauseigenen Gärbottichen gebracht werden muss. Das alles ist recht urig und lockt inzwischen sogar eine beträchtliche Anzahl von Touristen in diese entlegene Region im Oberpfälzer Wald, die als einst florierendes Zentrum der Porzellan- und Glasindustrie einen industriellen Niedergang hinnehmen musste.

Mit dem Zoigl, der noch in den siebziger und achtziger Jahren ein Schattendasein führte, verknüpft mancher Einheimische daher auch Hoffnungen: Bringt das naturtrübe Bier vielleicht auch den bitter nötigen Strukturwandel?

"Ja", sagt Bürgermeister Andreas Meier, "der Zoigl ist ein wichtiger Baustein für den Tourismus, von dem wir uns sehr viel versprechen." Seit zwei, drei Jahren steigen wieder die Übernachtungszahlen in Windischeschenbach. Nach Ansicht des Stadtoberhaupts liegt dies auch am Zoigl: "Inzwischen kommen ja sogar Engländer und Holländer zu uns."

Franz Hutzler ist da pessimistischer. Selbst "Beim Binner", in der Zoigl-Stube von Robert Sperber, kann der Eigner des ortsansässigen Druckereibetriebes seine Sorgen nicht vergessen: "Die jungen Leute ziehen weg von hier, weil es hier null Chancen gibt", sagt er.

Zahlen belegen die Abwanderung: 5500 Einwohner hat Windischeschenbach noch, nachdem es vor ein paar Jahren noch deutlich über 6000 waren. Neben diesem Exodus bedrücken Hutzler aber auch die Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs, die sich hier vor allem rund um den Bahnhof finden.

Auf der einen Seite der Gleise verfällt der Backsteinbau der einstigen Glasfabrik Annahütte. Direkt gegenüber legt eine sauber verkleidete und weiträumige Fabrikanlage Zeugnis darüber ab, dass hier früher einmal der bekannte Porzellanfabrikant Eschenbach prosperierte.

Die guten Zeiten sind allerdings lange vorbei: 500 Arbeitsplätze kostete die Insolvenz der Annahütte bereits im Jahr 1994, doch richtig hart traf es die Kleinstadt, als im Jahr 2004 auch Eschenbach die Türen zumachte und 1200 Arbeitsplätze des Markenherstellers verlorengingen.

Eine geschützte Windischeschenbacher Marke hätte womöglich auch der Zoigl werden können - doch das haben die brauenden Bürger der Stadt versäumt. Als der Begriff noch exklusiv für die ganz spezielle Brauweise in Windischeschenbach und die unmittelbare Umgebung stand, wären Markenschutzrechte leicht zu ergattern gewesen, doch die Brauer-Familien entschieden sich damals dagegen.

Nun muss Binner-Wirt Sperber zusehen, wie Nachahmer von der Zoigl-Renaissance profitieren: "Selbst in Regensburg schreiben sie inzwischen schon Zoigl auf ganz normale Biere drauf."

Allzu viel Trübsal will der Kommunbraumeister aber nicht blasen: Bei ihm gibt es ja den echten Zoigl.

© SZ vom 23.02.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: