Kommentar:Zetsches Weisheit

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Der frühere Daimler-Vorstandsvorsitzende will nicht den Aufsichtsratsvorsitz des Stuttgarter Autokonzerns übernehmen. Das ist eine kluge Entscheidung - auch wegen des Dieselskandals, der in die Ära Zetsche fällt.

Von Max Hägler

Das Szenario ist ungewöhnlich für weitreichende Entscheidungen in der Industrie. Zu sich nach Hause in Stuttgart hatte Dieter Zetsche dieser Tage Journalisten geladen, um mitzuteilen, dass er seinem Lebenswerk kein weiteres Kapitel hinzufügen will. Das ist bemerkenswert, denn der Begriff Lebenswerk ist schon passend in diesem Fall. Der Fahrzeugkonzern Daimler ist in seiner heutigen Form maßgeblich von diesem Manager geprägt worden. 40 Jahre schaffte Zetsche beim Daimler, über ein Jahrzehnt führte er den Konzern als Vorstandsvorsitzender. Wahrscheinlich rettete er Daimler zu Beginn seiner Amtszeit sogar, indem er die desaströse Verbindung mit Chrysler auflöste. Jedenfalls brachte er Leichtigkeit und ein neues Lebensgefühl in diese Unternehmensbehörde und kurbelte den Absatz an durch lukrative Kooperationen mit Renault oder mit chinesischen Firmen. Auch deshalb sind Marke und Manager so sehr verschmolzen: Dr. Z, den Mann mit dem Schnauzbart, kennt auch, wer sich nicht für Wirtschaft und Autos interessiert.

Als er im vergangenen Jahr die Führung abgab, da war der weitere Weg eigentlich deutlich vorgezeichnet worden von Aufsichtsratschef Manfred Bischoff: Nach einem "Cooling Off" als Privatier sollte Zetsche im kommenden Jahr zurückkehren ins Unternehmen und Bischoff als Chefaufseher beerben. Verweigern können hätte man es ihm schwerlich. Zumal es die Krönung des Lebenswerks gewesen wäre, wie es der 67-Jährige nun im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eingestanden hat. Aber: "In letzter Konsequenz habe ich mich entschieden, dass ich das nicht will." Die Umstände des Gesprächs - entspannt privat daheim samt Blick auf den Swimmingpool - sollen wahrscheinlich den Eindruck erwecken, dass es seine eigene Wahl ist.

Jedenfalls ist es eine richtige Entscheidung, trotz seiner Verdienste. Viele der Gründe spricht Zetsche selbst an, auch das ist bemerkenswert und setzt Maßstäbe für solche Personalwechsel in anderen Unternehmen. Es seien in den vergangenen Monaten "zulässige Fragen" aufgeworfen worden, sagt Zetsche beispielsweise. Die große Nähe des aktuellen Daimler-Vorstandschefs Ola Källenius und ihm etwa. Tatsächlich sind solche Konstellationen oft von Nachteil. Harald Krüger etwa konnte sich bei BMW nie von seinem Vorgänger Norbert Reithofer lösen, der vom Vorstandsvorsitzenden zum Aufsichtsratsvorsitzenden aufgestiegen ist. Ähnlich verhält es sich bei Volkswagen. Jede Entscheidung, die ein neuer Chef trifft, stellt auch das Alte infrage, unbeschwertes Managen ist da schwierig. Bei Daimler ist das noch schwieriger: Etliche Baustellen aus der Vergangenheit sind in Källenius kurzer Zeit offenbar geworden: Es gibt zu wenige Elektroautos, zu viel Komplexität, zu hohe Kosten. Er musste die Gewinnerwartung deutlich nach unten korrigieren, streicht tausende von Jobs. Und schließlich hat auch Daimler bekanntlich einen Dieselskandal, dessen Entstehung in Zetsches Ära fällt und dessen Aufarbeitung teuer und aufwändig ist.

Es waren diese Punkte, die manche Investoren aufbegehren ließen, schon vor Corona - und Zetsche sowie Bischoff so dazu drängten, den Personalplan fallen zu lassen. Sein Rückzug ist auch aus dieser Sicht hilfreich für Daimler: Anders als BMW und Volkswagen gibt es keinen Ankeraktionär. Die gute Stimmung des Finanzmarktes ist so von größerer Relevanz. Um so mehr noch als dass chinesische Investoren noch stärker als bislang nach dem Konzern zu greifen suchen.

Damit wäre eine Anforderungen beschrieben, die ein neuer Daimler-Chefaufseher mitbringen muss: Ein gutes Verständnis für China. Nebst einem guten Netzwerk, samt Zugang zur Arbeitnehmerschaft und einem Industrieverständnis. Das haben diskutierte Kandidaten wie Harald Krüger oder Ex-Daimler Vorstand Bodo Uebber. Aber auch wenn Bischoff darauf Wert legt, dass ein Aufsichtsratsvorsitzender den Konzern kennen muss, heißt das noch nicht, dass sein Nachfolger ein Car Guy sein muss. Die Branche ist derart in Umbruch, derart dominiert von Software und damit neuen Geschäftsmodellen, dass eine andere Perspektive sogar hilfreich wäre.

Und die Zahl potentiell geeigneter Kandidaten steigt (wobei die Kandidatinnen rar bleiben): Am naheliegendsten ist insofern Joe Kaeser, der als Siemens-Chef bald in Rente geht. Falls der abwinkt, wären Brückenmodelle denkbar: Bischoff verlängert ein wenig oder er schickt für ein oder zwei Jahre Jürgen Hambrecht (ehemals BASF) oder Bernd Pischetsrieder (ehemals VW und BMW) in die Verantwortung - und dann übernimmt etwa der Ex-Airbus-Chefpilot Tom Enders (ehemals Airbus) oder der derzeitige Telekom-Chef Timotheus Höttges. Denkt man so, dann wird aus der Lücke, die Zetsche reißt, eine Chance.

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