Es ist der vielleicht beste Ego-Shooter des Jahres. Trotzdem wurde selten ein Spiel so heftig im Netz attackiert wie "Wolfenstein 2: The New Colossus". Es entwirft einen alternativen Geschichtsverlauf. Die Nazis haben eine Atombombe über New York abgeworfen und so den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Wir schreiben das Jahr 1961, inzwischen haben sich die Amerikaner mit dem Faschismus recht gut arrangiert. Aus allen Rohren ballernd, zieht nun der Spieler gegen die Nazis ins Gefecht. "Make America Nazi Free Again" lautet der Slogan zur US-Version. Wer so etwas im Jahr 2017 fordert, muss mit Widerstand rechnen.
Seit dem Erscheinen des Spiels Ende Oktober überziehen die digitalen Schlägertrupps der Alt-Right-Bewegung das Spiel mit Negativ-Bewertungen, pöbeln herum und fluten Diskussionen mit gehässigen Kommentaren. Auf diversen Plattformen liest man Varianten des derzeit beliebten Argumentationsmuster, Faschisten pauschal zu verurteilen sei ja total faschistisch. Überhaupt hätten Computerspiele gefälligst unpolitisch zu sein.
Dreieckiges Symbol statt Hakenkreuz
Diese Forderung wurde nun ausgerechnet in Deutschland eingelöst. In der hierzulande vermarkteten Version gibt es keine Nazis, sondern "das Regime". Hakenkreuze wurden durch ein nichtssagendes, dreieckiges Symbol ersetzt. Dem "Kanzler" haben die Selbstzensoren das Hitlerbärtchen abrasiert. Besonders pikant: Auch den ursprünglich jüdischen Figuren wurden "normale" Identitäten verpasst, die Hinweise auf den Massenmord an ihnen entfernt - Kritiker sprechen von Geschichtsrevisionismus. Der Grund für diese Änderungen ist der Paragraf 86 StGB, der verfassungsfeindliche Propaganda und Symbole verbietet. Erlaubt sind sie nur unter der Voraussetzung der Kunstfreiheit. Aber die gilt nicht für Computerspiele.
Man lehnt sich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man prophezeit, dass es mit dem juristischen Ausschluss von Games aus dem Bereich der Kunst bald vorbei sein wird. Bisweilen hat man ja vielmehr das Gefühl, Computerspiele könnten in absehbarer Zeit ebenso pauschal aus kritischen Diskussionen herausgelobt werden, wie es bei "der Literatur", "dem Kino" oder "dem Theater" geschieht, wenn Politiker Reden halten.
Einstweilen ergibt sich in "Wolfenstein 2" aber eine interessante Überschneidung verschiedener Diskussionen: In den USA wird über die politische Validität von Computerspielen gesprochen, in Deutschland über ihren Kunststatus, und das Alarmgeschrei über die verrohenden Wirkungen von Ballerspielen steht natürlich auch immer noch im Hintergrund. Wie hängt all das zusammen? Wichtiger noch: Wie positioniert sich das Spiel selbst?
Zunächst einmal sollte man erwähnen, dass "Wolfenstein 2" eine Big-Budget-Produktion ist, vergleichbar einem Kino-Blockbuster. Insofern ist der Mut des Publishers Bethesda erstaunlich, das von Nazis eroberte "Homeland" der USA eindeutig auf Trumps Amerika zu beziehen. Im Spiel verstreut liegen an vielen Stellen Zeitungen herum. Eine alte Ausgabe des The Star-Spangled Daily, gedruckt vor der Machtübernahme, warnt vor dem Tag, an dem "das einfache Volk vom Land seinen Willen durchsetzen und das Weiße Haus einem völligen Idioten überlassen" wird. Einige entscheidende Jahre später will dasselbe Blatt plötzlich herausgefunden haben, dass "der Anteil der Lügenpropaganda, von der amerikanische Zeitungen befallen waren, auf 0% gefallen ist".
Das Spiel erzählt nicht von ängstlichem Gehorsam, sondern von einer geschmeidigen Unterwerfung unter die Verlockungen des Rassismus. Denn zumindest die weißen Amerikaner scheinen die ihnen zurückgegebene Vormachtstellung in der Gesellschaft großteils gar nicht so übel zu finden. Viele Jobs und Häuser sind frei geworden, als die Afroamerikaner wieder in Gefangenschaft kamen, und die Sklaverei war, alltagspraktisch betrachtet, für die Weißen natürlich eine recht bequeme Angelegenheit. Also schleimen sie bei den Besatzern herum und erzählen, sie hätten diese Urwaldmusik sowieso nie gemocht.
Gegen derlei trägen Opportunismus mobilisiert "Wolfenstein 2" nun die brutalen Feuerkräfte eines Ego-Shooters. Irgendwann ist auch mal genug mit Rechten geredet, scheint das Motto zu lauten. Das beschert den Entwicklern allerdings ein moralisches Dilemma. Im Spiel haben die Nazis Zugriff auf überlegene Technologie und züchten mit ihrer Hilfe einen neuen Typ Maschinensoldaten, "ausschließlich für den Kampf", wie ein herumliegender Notizzettel verrät. Es handele sich dabei "nicht um einen Erwachsenen mit veränderter Physiologie, sondern um etwas völlig anderes". Solche Gegner sind ideal für Ego-Shooter. Entgegen anderslautender Spekulationen macht es den meisten Leuten nämlich keinen Spaß, Menschen zu erschießen. Also müssen die Entwickler darauf achten, dass die Widersacher nicht allzu menschlich wirken. Genau das bezweckte aber auch die Rassenlehre der Nazis.
"Wolfenstein 2" erteilt uns daher erst mal eine Lektion. In einer Rückblende erinnert sich William Blaskowicz, so der Name der Hauptfigur, wie sein Vater ihn als kleinen Jungen zwang, seinen Hund zu erschießen. Der Spieler muss selbst den Abzug drücken - das tut weh. Dieser Schmerz bildet das negative Gegenstück zu der Lust, die es später im Spiel bereitet, Nazis mit der Schrotflinte zu jagen. Irgendwann treffen wir auch den Vater erneut. Wir erfahren, dass er ein Überläufer ist und die Mutter, im Original eine Jüdin, an die Nazis verraten hat. "Weißt du, was ich jetzt fühle? Einen gottverdammten Scheiß", knurrt Blaskowicz, bevor er den Abzug betätigt. Ist ballern immer verkehrt? "Wolfenstein 2" scheint zu sagen, dass es schon auch darauf ankommt, auf wen man unter welchen Umständen schießt, dass es eventuell sogar geboten sein kann. Aber auch, dass es einen in jedem Fall kaputtmacht.
Nie war das Szenario eines Amerika unter Nazi-Herrschaft näher an der Gegenwart
Blaskowicz ist zu Beginn schwer verletzt. In der US-Version diagnostiziert ein jüdischer Wissenschaftler, immer wieder Brocken von Jiddisch in seine Sätze einbauend, der Superkrieger könne Probleme beim Wasserlassen und beim Benutzen seines "Schmeckels" haben. Die erste Mission verbringt der Held ballernd im Rollstuhl. Schließlich kann er nur noch mithilfe eines Spezialanzugs kämpfen. "Wenn ich ihn ausziehe, falle ich auseinander, und nichts passt mehr zusammen", sagt er. Er nennt sich selbst einen "alten Mann", dabei müsste er, laut Zeitrechnung des Spiels, erst 51 Jahre alt sein. Es geht also offenbar nicht nur um das biologische Alter.
"Call of Duty: WWII" im Test:Mal wieder Weltkrieg spielen
Call of Duty kehrt zu den Wurzeln der Reihe zurück. Wer von der Normandie bis Aachen stumpf ballern möchte, kommt voll auf seine Kosten. Wer beim Thema 2. Weltkrieg etwas Tiefgang erwartet, wird enttäuscht.
Das erinnert an den Film "Logan", der ebenfalls von einem müden Superkrieger erzählt. Plötzlich fühlt sich die Gewalt brutal an, es tut weh beim Zuschauen. Als würde das Game schon mal die individuellen Konsequenzen dessen durchspielen, wozu die Figuren im Abspann aufrufen, und als würde es angesichts dieser Vorstellung eine lähmende Schwäche ergreifen: "Findet eure Unterdrücker, wo immer sie sind!"
Nie war das in der Literatur schon einige Male entworfene Szenario eines Amerika unter Nazi-Herrschaft näher an der Gegenwart. Wie ernsthaft der bewaffnete Widerstand hier erwogen wird, ist erschreckend. Zumindest in der US-Version des Spiels.