Familie Martens erwartet ihr zweites Kind. Bald geht nichts mehr in ihrer Berliner Zwei-Zimmer-Wohnung, es ist jetzt schon viel zu eng für die drei. Bei Dorothea Paul ist vor einem Jahr der Mann gestorben. Nun lebt die Witwe allein in ihrer große Vier-Zimmer-Wohnung. Zwar hängt sie an der vertrauten Umgebung, aber die 73-Jährige würde doch gern einiges in ihrem Leben verändern. Und wenn es anfangs nur ein Wechsel in eine kleinere, aber feine Wohnung ist.
Ein Wohnungstausch könnte klappen, wenn beide Seiten zueinanderfinden würden. Nur kommt es kaum dazu - jedenfalls nicht in Berlin und auch nicht in den anderen großen deutschen Städten. Denn was nach einer Win-win-Strategie klingt, scheitert meist noch an den teilweise hohen Kosten, die so ein Umzug mit sich bringt: Da sind die eigentlichen Umzugskosten, dann diverse Aufwendungen für passendes neues Mobiliar und andere Einrichtungsgegenstände. Hinzu kommt aber vor allem der neu abzuschließende Mietvertrag, der dem Vermieter trotz Mietpreisbremse die Chance lässt, einen häufig deftigen Neuvermietungszuschlag draufzupacken - bisweilen bis zu 30 Prozent und mehr in Berlin. Mit dem Resultat, dass die kleinere Wohnung, die Alleinstehenden wie Frau Paul reichen würde, oft teurer kommt als das bisherige größere Zuhause.
Schon in der DDR gab es Tauschbörsen für Wohnungen
Die Mieten in Berlin kennen sowieso seit vielen Jahren nur eine Richtung - nach oben. So müssen Wohnungssuchende in der Hauptstadt im Durchschnitt jetzt doppelt so hohe Mieten zahlen wie noch vor zehn Jahren. 2008 verlangten die Berliner Vermieter bei Erst- oder Neuvermietung durchschnittlich 5,59 Euro pro Quadratmeter, aktuell sind es nun im Mittel 11,60 Euro. Und der Aufstiegstrend hält an, ziehen doch jedes Jahr (seit 2011) ungefähr 40 000 Menschen in die Hauptstadt. Die Neu-Berlinerinnen und -Berliner treffen dabei auf einen Markt, der ohnehin schon einen gravierenden Mangel hat: Es fehlen bezahlbare Wohnungen.
So machen wachsende Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, deftig steigende Mieten und Wohnungspreise den Berlinern, ob neu oder eingesessen, mehr und mehr zu schaffen. Mit einem Wohnungstausch, so die einhellige Meinung von Vermieter- und Mieterlobby, könnte das Problem zumindest etwas gelindert werden. Auch die Wissenschaft plädiert dafür, das Potenzial Wohnungstausch besser zu nutzen. In Berlin, so Erhebungen des Landesamts für Statistik Berlin-Brandenburg, sind derzeit von den insgesamt zwei Millionen Haushalten etwa eine Million Einpersonenhaushalte und 570 000 Zweipersonenhaushalte. Zusammengenommen sind das also etwa drei Viertel aller Berliner Haushalte. Die allerdings verbrauchten eine weit größere Fläche, als dies eigentlich angemessen wäre, findet Stadtentwicklungsexperte Gerhard Braun. "Dadurch ist ein Flächennotstand schon bei Bevölkerungsrückgang entstanden."
Keine Frage, durch Wohnungstausch entstehen zwar keine zusätzlichen Wohnungen. Aber die vorhandenen Flächen könnten damit weit besser genutzt werden. Immerhin verfügt jeder Berliner inzwischen über eine durchschnittliche Wohnfläche von knapp 39 Quadratmetern. Das ist fast doppelt so viel wie die Bewohner von Paris oder London (jeweils 22 Quadratmeter) haben.
Und damit scheiden sich auch die Geister in der Mieterstadt Berlin, wo 86 Prozent des Wohnungsbestandes Mietwohnungen sind. Was die einen für "nötig und ausreichend" an Wohnraum bezeichnen, ist für Kritiker und Umweltaktivisten schon aus ökologischer Sicht "Ressourcenverschwendung", weil viele Alleinlebende in großen Wohnungen nur einen Teil der Fläche wirklich nutzen, aber auch die überschüssigen Flächen und Räume möblieren, beheizen und beleuchten. Dabei müsse der Wechsel von einer größeren in eine kleinere Wohnung nicht mit einem Verlust an Komfort einhergehen, glaubt Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnik an der Universität Siegen. "Die Niederländer wohnen auf weniger Fläche pro Person, aber keineswegs schlechter, sondern durchdachter und effizienter."
Ressourcenverschwendung oder nicht - die Berliner Politik versucht seit Jahren, den Wohnungstausch in Gang zu bringen und damit auch an gemachte Ostberliner Erfahrungen aus der Vorwendezeit anzuknüpfen. Zu DDR-Zeiten existierten in den Stadtbezirken von Berlin-Ost staatliche Wohnungstauschdienste, die vor allem den Tausch zwischen Jung und Alt unterstützten und damit vor allem die Wohnungsprobleme junger Familien lindern halfen.
Viele Haushalte suchen nach einer größeren Wohnung. Doch kaum jemand will tauschen
In der Bundeshauptstadt Berlin aber kommt der Wohnungswechsel kaum voran. Zwar wurde schon vor Jahren zwischen dem Berliner Senat und den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften ein erleichterter Wohnungstausch vereinbart. Vor allem Seniorenhaushalte sollten bevorzugt mit Wohnraum versorgt werden, wenn sie große, familiengerechte Wohnungen frei machten. Das Ganze aber erwies sich nach Aussagen des Berliner Mietervereins als Flop. Gerade mal zwölf Mieterhaushalte entschieden sich 2013 für einen Tausch. Und auch in den Folgejahren schwankten die Tauschfälle zwischen 100 und 200 pro Jahr, bei insgesamt 310 000 städtischen Wohnungen.
Im September 2018 startete die rot-rot-grüne Regierungskoalition einen neuen Versuch, den Wohnungstausch in der Hauptstadt anzufachen. Ein Wohnungstauschportal (inberlinwohnen.de) ging online. Daran beteiligt sind wiederum alle sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit ihrem Bestand von 310 000 Wohnungen. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) ist es diesmal gelungen, die Gesellschaften dazu zu verpflichten, dass Nutzer des Portals beziehungsweise die Tauschwilligen den Wohnungswechsel nun auch zwischen den Gesellschaften vollziehen können. Das war bei vorhergehenden Versuchen noch nicht möglich. Auch wird diesmal sichergestellt, dass der Tausch ohne bislang fällige Neuvermietungszuschläge abgewickelt werden kann. Im Gegenteil, die Tauschpartner übernehmen nun jeweils die Quadratmeter-Miete des Vormieters.
Die Bilanz des ersten Jahres fällt dennoch bescheiden aus. Nach Angaben von David Eberhart, Sprecher des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der im Auftrage des Senats die Online-Börse betreut, hatten sich in den zwölf Monaten etwa 5000 Mieter an der Börse registrieren lassen. Zugleich wurden knapp 4000 Wohnungen zum Tausch hochgeladen. "Reichlich 180 Tauschanmeldungen haben wir dann registriert", rechnet Eberhart hoch. Wirklich zum Wohnungstausch sei es aber bei höchstens 60 Fällen gekommen. Diese "Tendenz auf niedrigem Niveau", so der BBU-Sprecher, habe sich auch in den Folgemonaten fortgesetzt.
Für Eberhart ist die Online-Börse der Hauptstadt dennoch kein Flop. "Wir haben mit nicht viel anderen Größenordnungen gerechnet", sagt er. Der Wohnungstausch bleibe eben nur ein kleiner Mosaikstein und kein Massenphänomen auf dem schwierigen Berliner Wohnungsmarkt. Veränderungen seien nicht in Sicht. Das werde nicht zuletzt an der Angebotsstruktur deutlich. "Auf vier Fälle, wo sich der Partner vergrößern will, kommt einer, wo der Tauschwillige eine kleinere Wohnung sucht", sagt Eberhart. Vor allem ältere Menschen schreckten nun mal vor dem Umzug und den damit verbundenen Veränderungen zurück.
Das sieht auch Reiner Wild so. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins glaubt zwar, dass mit dem Wohnungstausch zu gleichen Mietkonditionen, also unter Beibehaltung des Quadratmeterpreises, eine wichtige Hürde für das mögliche Tauschgeschehen gefallen sei. Aber die Bereitschaft zum Wechsel bleibe vor allem auch bei älteren Menschen gering. "Keiner will wirklich weg aus seinem Kiez", ist sich der Mietexperte sicher. Hinzu komme die Angst vor Aufregung und zu hohen Umzugskosten, vor Verlust an Mobiliar und Hausstand überhaupt und den damit verbundenen Erinnerungen. "Das Portal ist gut und schön", sagt er. "Aber die Fluktuation auf dem Mietermarkt lässt eher weiter nach."