Wohnungsmarkt:Angst in der Siedlung

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Leere Haushaltskassen und renitente Mieter - der Verkauf landeseigener Immobilien in Nordrhein-Westfalen könnte zum Testfall für weitere Privatisierungen werden

Caspar Dohmen

Etwa zwei Dutzend Menschen haben sich eingefunden in der Bergmannshütte, dem Bürgertreff der Essener Siedlung Bergmannsfeld. Sie sind Mieter in der Siedlung. Sonst feiern sie hier Feste. Daran erinnert die tannengrün gestrichene Theke aus Sperrholzplatten. Doch diesmal ist niemand zum Feiern hier. Statt Bier steht Mineralwasser auf den Tischen.

Die Mieter sind da, weil sie den Verkauf der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) verhindern wollen. Dieser landeseigenen Gesellschaft gehören die meisten Wohnungen in der Siedlung.

An der Kopfseite der u-förmig aufgestellten Tische sitzen die Vertreter der "Volksinitiative für sichere Wohnungen und Arbeitsplätze". Das Aktionsbündnis vereinigt LEG-Mieterbeiräte, Deutschen Mieterbund, Mieterforum Ruhr, die Gewerkschaft Verdi und die Betriebsräte der LEG.

Sie klagen, dass die Wohnungswirtschaft zunehmend in die Hände internationaler Finanzanleger gerate, welche Wohnen nur als Wirtschaftsgut und nicht als soziales Grundrecht der Menschen sähen. Unterstützt wird die Volksinitiative von den Oppositionsparteien im nordrhein-westfälischen Landtag, der SPD und den Grünen.

Mutlose Zuhörer

Beide Parteien hatten zu Zeiten der rot-grünen Landesregierung selbst schon mit einem Verkauf der LEG geliebäugelt. Damals konnte die Lobby von Mietern, Sozialverbänden und Gewerkschaften das verhindern. Diesmal ist die Situation anders. Der SPD-Landtagsabgeordnete Dieter Hilser macht unmissverständlich klar, welchen Kraftakt die Initiative stemmen muss. 66.000 Unterschriften zu sammeln sei nur der erste Schritt.

Ein Umdenken der Landesregierung könne nur durch ein späteres Volksbegehren erreicht werden. Seine Zuhörer wirken mutlos. Doch Hilser gibt nicht auf. "Unsere Aktion läuft in allen größeren Städten in Nordrhein-Westfalen", sagt er mit Blick auf die Veranstaltungen, die es bereits in Dortmund, Bochum, Lünen und Dorsten gegeben hat. Es ist der Versuch, den "Gemeinsam sind wir vielleicht doch stark"-Gedanken in den Köpfen der Zuhörer zu wecken.

Doch der nostalgische Moment endet Sekunden später. "Meine LEG-Wohnung ist schon von der Gagfah gekauft worden", sagt ein Mann. Er bekommt schnell erklärt, dass sich hinter dem Wohnungsunternehmen Gagfah mittlerweile der amerikanische Investor Fortress verbirgt, der neben der Gagfah und der niedersächsischen Landesentwicklungsgesellschaft nun auch schon 350 Wohnungen von der LEG NRW in der Siedlung Bergmannsfeld gekauft hat.

Einige hier können die Namen der internationalen Immobilienaufkäufer schon aufzählen wie die Spieler der heimischen Bundesligateams von Borussia Dortmund oder Schalke 04.

Sie heißen Fortress, Terra, Morgan Stanley, Deutsche Annington oder auch Cerberus wie der dreiköpfige Höllenhund aus der griechischen Mythologie. Meist kommen sie aus Großbritannien oder den USA. Für die Finanzinvestoren birgt der Kauf kaum Risiken. Das Gros finanzieren sie durch Bankkredite, die sie aus den laufenden Mieteinnahmen bedienen.

Keine Steuern über Jahre

Mit den Krediten belasten die Investoren die aufgekauften Wohnungsbaugesellschaften und verrechnen deren Mieteinnahmen mit den Kreditkosten. Auf diese Weise müssen sie über Jahre auf ihr Engagement keine Steuern zahlen.

Nach dem Muster kauften Investoren allein in Deutschland in den vergangenen sechs Jahren 650.000 Wohnungen, ob von Unternehmen wie Thyssen-Krupp oder der Deutschen Rentenversicherung Bund, meist aber von Kommunen. Jüngst trennte sich Dresden von 48.000 Wohnungen, auch Freiburg will 8900 Wohnungen verkaufen. Die Städte begründen die Verkäufe mit ihrer desolaten Haushaltslage.

Nun lauern die Fonds auf die insgesamt 106.000 Wohnungen, die der LEG in NRW gehören und in denen mehr als 300.000 Menschen wohnen. Die Privatisierung hat die CDU/FDP-Regierung im Koalitionsvertrag vor vierzehn Monaten festgelegt.

"Es ist keine Aufgabe des Staates, Sozialwohnungen vorzuhalten", sagt Landesfinanzminister Helmut Linssen (CDU). Aufschluss über das Verkaufsprozedere soll ein Gutachten der WestLB und der Privatbank Sal. Oppenheim geben. Das Gutachten wird täglich erwartet. Bis Ende des Jahres könnte die Ausschreibung folgen, im Frühjahr die LEG verkauft werden.

Friedhelm von der Weide schüttelt den Kopf: "Nein, von einer Privatisierung habe ich noch nichts gehört". Auch von dem Protest des Aktionsbündnisses ist noch nichts bis in seine Erdgeschosswohnung in Wulfen-Barkenberg im nördlichen Ruhrgebiet gedrungen, einer Siedlung, die ebenfalls der LEG gehört.

Hier lebt der Mittfünfziger mit kurzen Unterbrechungen seit 27 Jahren. Hier zog er fünf Kinder groß. Hier wohnt er für 234,20 Euro auf rund 50 Quadratmetern. "So günstig können Sie in der ganzen Umgebung nicht wohnen", sagt von der Weide, der an dem Viertel hängt.

Auf den ersten Blick wirkt die parkähnliche Anlage mit hohen Bäumen, weitläufigen Grasflächen zwischen den Häusern und spielenden Kindern idyllisch. Doch die ungenutzten Fußgängerbrücken über leeren, viel zu großen Straßen lassen aufmerken.

Die Erklärung: Die "Neue Stadt Wulfen" planten Bund und Land 1958 als städtebauliches Modellvorhaben für 46.000 Einwohner. Nicht einmal ein Viertel davon ist verwirklicht, weil zwischenzeitlich das Sterben von Zechen und Stahlindustrie insbesondere die nördliche Ruhrregion traf.

Vor allem unattraktive Wohnungen wie die in dem achtgeschossigen Block an der Dimker Allee blieben häufig leer. Jetzt wird der Block ebenso wie weitere Gebäude abgerissen. Dafür zahlt das Land 4,3 Millionen Euro.

Parallel investiert die LEG 20 Millionen Euro in die Modernisierung benachbarter Gebäude. Damit verhindert die Gesellschaft gemeinsam mit dem Land eine Abwärtsspirale von Leerstand, Kriminalität und Ghettobildung, an deren Ende der Wert einer Siedlung vernichtet ist.

Auch in Düsseldorf-Garath hat die LEG Maßnahmen ergriffen, damit das Viertel nicht abrutscht. Schon äußerlich geschah viel. Die grauen Waschbetonwände der Häuser wurden mit strahlend weißem Putz verdeckt, die Balkonbrüstungen verschönert. Die Keller sind renoviert, lange waren sie ein Gefahrenherd, weil die Bewohner Sperrmüll abstellten und anzündeten.

Heute sind die Gänge hell gestrichen und gut ausgeleuchtet. Die LEG reagiert auch früh auf finanzielle Schieflagen ihrer Bewohner. Bleibt die Miete aus, schauen Mitarbeiter vorbei, helfen selbst oder organisieren einen Termin bei der Schuldnerberatung. "Von zwanzig fristlosen Kündigungen wird heute nur noch eine vollzogen", sagt der für die Siedlung Garath zuständige LEG-Geschäftsführer Oliver Gabrian und zeigt im Vorbeigehen auf eine Rollstuhlrampe.

"Die Tochter der Familie dort wird in absehbarer Zeit nicht mehr laufen können, deshalb haben wir bei der Modernisierung der Häuser gleich eine Rampe eingebaut."

Stolz auf das Viertel

Am Ziel sehen sich die LEG-Mitarbeiter, wenn die Bewohner auf ihr Viertel stolz sind. "Das Image einer Siedlung ist unglaublich wichtig", sagt Gabrian. Deshalb organisiert die LEG vor allem in problematischen Großsiedlungen viele Aktivitäten, ob Sommerfeste, Mieterfahrten oder eine Miniweltmeisterschaft.

Das Resultat kann sich sehen lassen, die Siedlung in Garath ist komplett vermietet. Diese Maßnahmen gehörten zu einer nachhaltigen Wohnraumbewirtschaftung, sagt Thomas Hegel, seit vier Monaten Geschäftsführer bei der LEG.

Trotzdem könne die LEG mit dem Geschäftsmodell auf Dauer eine Umsatzrendite von sechs bis sieben Prozent erzielen. Damit erreicht sie jedoch nicht die 15 Prozent Umsatzrendite, welche die Investoren erwarten, die gerne die LEG kaufen würden.

"Das A und O für die Zukunft der LEG ist die Philosophie des Käufers", sagt Hegel. Bei einem Verkauf an kurzfristig orientierte Anleger könnten schnell neue soziale Problemgebiete entstehen, warnt die Architektenkammer NRW.

Eine Privatisierung hält der Aufsichtsratschef der LEG, Bernd Lüthje, für unumgänglich. "Das Hauptproblem ist die geringe Kapitalquote", meint er. Da das Land kein Geld locker machen wolle, blieben nur die Optionen Privatisierung, Teilverkauf oder Verkauf, sagt Lüthje, der wenig Verständnis für das Aktionsbündnis hat.

"Die wollen den Status quo erhalten, das geht nicht." Seiner Ansicht nach setzt das Mietrecht sehr enge Grenzen für den Umgang eines Investor mit seinen Mietern. Zudem wolle das Land zusätzliche Sozialstandards mit einem Käufer aushandeln.

All dies klingt in den Ohren von Karin Schnittker faul. Sie ist Sprecherin der Mietergemeinschaft Essen. Die Privatisierung werde unangenehme Folgen für die Mieter haben, da ist sie sich sicher, sagt sie den Zuhörern, die den Protest für die Siedlung organisieren wollen.

So könnten Investoren das Geld für den Unterhalt der Gebäude kürzen, die Mieten bis an die Obergrenze des Erlaubten anheben oder Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft entlassen. Immer wieder verzichteten Mieter auch auf ihre verbrieften Rechte, nachdem die Eigentümer Druck ausgeübt hätten.

Solche Entwicklungen kann Hans Peter Leymann aus eigener Erfahrung bestätigen. Er ist Mieter beim Wohnungsunternehmen Immeo, das Thyssen-Krupp 2004 an die Investmentbank Morgan Stanley und den Immobilienkonzern Corpus verkauft hat. Hauptanliegen der Käufer sei der Weiterverkauf einzelner Wohnungen an die Mieter, sagt Leymann, der im Mieterbeirat der Immeo sitzt.

Um die Wohnungen derjenigen, die nicht kaufen, kümmere sich die Gesellschaft nicht mehr.

Aufsichtsratschef Lüthje plädiert für mehr Realismus bei den Gegnern der Privatisierung. "Die LEG kann nicht alle sozialen Probleme des Landes schultern", sagt der ehemalige Bankmanager. Noch viel härtere Worte wählt Rainer Zitelmann, der Immobilienunternehmen berät.

"Einigendes Band zwischen den Gruppen sind antikapitalistische Ressentiments, eine etatistische Ideologie, das Misstrauen gegen den Markt und das Feindbild der angelsächsischen Heuschrecken, die es darauf abgesehen hätten, Mieter zu drangsalieren", schreibt Zitelmann.

Möglicherweise werde am Beispiel der LEG entschieden, ob der von vielen Beobachtern erwartete weitere Verkauf kommunaler Wohnungsunternehmen erst am Anfang oder schon am Ende steht.

Doch so weit denken die Mieter hier in der Bergmannshütte an diesem Sommerabend nicht. Sie wollen jetzt auf Empfehlung des Aktionsbündnisses einen eigenen Mieterbeirat wählen. Und an diesem Samstag werden sie gemeinsam mit anderen Mietern durch die Essener Innenstadt ziehen und Unterschriften sammeln.

© SZ vom 5.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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