Wohlstand:Fairteilungsfragen

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Braucht es Grundrente, Vermögensteuer, Mietendeckel, gar Enteignungen? Das Problem ist: Was sozial klingt, ist oft nur eine Scheinlösung.

Von Henrike Roßbach

Nur gucken, nicht anfassen! Ein Poster des Berliner Bündnisses "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mieterwahnsinn". (Foto: Stefan Trappe/imago)

Der Aufreger kam im Liegestuhl daher. Am 21. August verbreitete die SPD-Fraktion über Twitter eine Illustration, die einen dösenden Jungspund in der Horizontalen zeigt, neben ihm plumpsen Geldbündel von einem Fließband. "Keine Steuergeschenke für Spitzenverdiener!" lautete der Begleittext. Und: "Wir schaffen den Soli ab. Für fast alle." Kurz zuvor hatte die Bundesregierung das Ende des Solidaritätszuschlags beschlossen; nur die oberen zehn Prozent, das war der dringende Wunsch der SPD gewesen, sollen ihn weiterhin ganz oder teilweise zahlen. Fünf Tage später stellte die SPD ihr neues Konzept für die Wiedereinführung der Vermögensteuer vor, und spätestens damit hatte eine der großen deutschen Debatten wieder Betriebstemperatur erreicht: jene über Arm und Reich.

Es ist ein Streit, der aus Zahlen gemacht ist, der sich aber anders anfühlt - persönlicher. Das gilt sowohl für diejenigen, die sich anstrengen, aber trotzdem wenig haben, als auch für hart arbeitende Gutverdiener, die das Bild mit dem Liegestuhl gar nicht witzig finden, erst recht nicht beim Blick auf ihre Steuererklärung. Die Gerechtigkeitsdebatte aber machte 2019 nicht beim Soli und der Vermögensteuer halt. Auch der Streit um die Grundrente, die Rufe nach Enteignung von Immobilienbesitzern, die Aufregung um den Berliner Mietendeckel waren Ausdruck der einen großen Frage: Geht es noch fair zu in diesem Land? Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert trieb die Frage spektakulär auf die Spitze, indem er in einem Interview mit der Zeit die vermeintlichen Vorzüge des Sozialismus rühmte.

Das weitverbreitete Gefühl, dass es nicht fair zugeht in Deutschland, lässt sich nur schwer ergründen. Bleiben die Zahlen, und für die gibt es Markus Grabka. Er forscht beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Einkommens- und Vermögensverteilung und sagt: "Wir stellen seit zehn Jahren keinen Anstieg der Vermögensungleichheit fest." Erfreulich aber ist das seiner Meinung nach nicht, denn was da stagniert, nämlich der "Gini-Koeffizient", stagniert auf hohem Niveau. Bei knapp 0,8 liegt er hierzulande, international ein hoher Wert. Bei null würde allen gleich viel gehören, bei eins einem alles. Die Einkommen sind mit einem Gini-Koeffizienten von knapp 0,3 etwas weniger ungleich verteilt als die Vermögen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aber warnte kürzlich vor steigenden Tendenzen.

"Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“ Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jusos, stößt eine Sozialismus-Debatte an. (Foto: Thomas Bartilla/imago images)

Fakt ist, dass die reichsten zehn Prozent knapp 60 Prozent des gesamten Vermögens besitzen - Wohneigentum, Immobilien, Grundbesitz, Geld, private Versicherungen, Betriebs- oder Sachvermögen. Nicht berücksichtigt sind die gesetzlichen Rentenanwartschaften, mit denen die Ungleichverteilung deutlich geringer wäre. Ein besonders breiter Graben verläuft zwischen Immobilienbesitzern und Mietern. Weil der Immobilienboom ihn zunehmend unüberbrückbar macht, hat Berlin dieses Jahr als erstes Land eine drastische Antwort gegeben. In der Hauptstadt, wo mittlerweile sogar die Enteignung von Wohnungskonzernen erwogen wird, dürfen die Mieten vorerst nicht mehr steigen. Neben der Frage, ob das verfassungsgemäß ist, entsteht durch den Mietendeckel natürlich keine einzige Wohnung. Das Vertrackte an der Gerechtigkeitsdebatte ist: Was sozial klingt, ist oft eine Scheinlösung.

Immobilien sind das eine, ganz oben aber spielt etwas anderes die entscheidende Rolle: "Die hohen Vermögen in Deutschland sind vorwiegend Betriebsvermögen", sagt Grabka vom DIW. Marie-Christine Ostermann kennt diese Debatte und findet sie frustrierend. Die 41-Jährige ist geschäftsführende Gesellschafterin des Lebensmittelgroßhändlers Rullko im nordrhein-westfälischen Hamm, einem 1923 gegründeten Familienunternehmen. "Betriebs- und Privatvermögen verschwimmen", sagt sie. "Wir nehmen aus dem Unternehmen heraus, was wir zum Leben brauchen. Aber alles andere bleibt natürlich in der Firma." Sie betont, dass der Wohlstand des Familienunternehmens mit dem Wohlstand der Mitarbeiter zusammenhänge, und dass Deutschland wirtschaftlich auch deshalb so gut dastehe, weil es hier die Möglichkeit gebe, Vermögen aufzubauen. Zum Beispiel über ein Familienunternehmen.

"Das Grundgesetz sieht Enteignungen zum Allgemeinwohl ausdrücklich vor.“ Robert Habeck, Grünen-Chef, diskutiert Möglichkeiten zur Behebung der Wohnungsnot. (Foto: F.Boillot/snapshot-photography/imago images)

Und die ungleiche Vermögensverteilung? "Wir haben schon eine hohe Umverteilung in Deutschland", sagt Ostermann und meint damit in erster Linie die Einkommensbesteuerung und den Haushalt von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD). In der Tat tragen nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln die reichsten 3,6 Prozent der Bundesbürger mehr als 30 Prozent zum Einkommensteueraufkommen bei; auch Niedrigverdiener sind allerdings stark belastet - durch Sozialbeiträge und Mehrwertsteuer. Der Sozialminister darf seinem riesigen Haushalt nun die milliardenschwere Grundrente hinzufügen. Eine Frage der Gerechtigkeit, findet Heil. Seine Kritiker aber halten es nicht für gerecht, wenn Steuerund Beitragszahler auch nichtbedürftigen Rentnern eine höhere Rente finanzieren sollen. Oder wenn eine Rentnerin nach 35 Jahren Teilzeit eine Aufstockung bekommt, ein Rentner nach unwesentlich weniger Jahren schlecht bezahlter Vollzeit aber nicht. "Noch mehr Umverteilung führt nicht zu mehr Vermögensaufbau bei denen, die heute keines haben", sagt Unternehmerin Ostermann. Der Staat solle lieber investieren, in Digitalisierung, Infrastruktur, Wohnungsbau.

"Hier werden gesellschaftliche Grundfragen verhandelt." Katrin Lompscher, Berliner Bausenatorin (Linke), rechtfertigt ihren Mietendeckel. (Foto: Mauersberger/imago images)

Wie also geht mehr Gerechtigkeit? Beim Thema Vermögensteuer, Lieblingsinstrument von Linken, Grünen und der SPD, winkt Grabka ab, wie viele andere Ökonomen. Es wäre kompliziert und teuer, alle Vermögenswerte zu erfassen, und die Wirkung auf die Vermögensungleichheit läge nach DIWBerechnungen "im Nachkommabereich". Eine Alternative wäre es, nur die Erbschaften höher zu besteuern und Arbeitseinkommen im Gegenzug zu entlasten. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, schlägt acht Prozent Erbschaftsteuer auf alles vor. Verbraucherschützer wiederum fordern eine effizientere private Altersvorsorge; so wie in Schweden, wo ein Staatsfonds in Aktien investieren darf und hohe Renditen erzielt. Grabka schlägt eine Begrenzung der Minijobs vor, um den Niedriglohnsektor einzudämmen. Vor allem aber solle die Politik den Vermögensaufbau stärker fördern, bei Immobilien etwa durch Mietkaufmodelle. "Stiefmütterlich" werde dieses Thema behandelt, sagt er. Das teure Baukindergeld produziere nur Mitnahmeeffekte, die Riester-Rente sei gescheitert, der Sparerfreibetrag seit 2009 nicht mehr erhöht worden. 2004 habe der Staat noch dreimal so viel für die Förderung der Vermögensbildung ausgegeben wie heute.

Marie-Christine Ostermann kennt den Vorwurf, dass Leute wie sie ihre Stellung nicht der eigenen Leistung verdankten. Sie aber findet das ungerecht, und das nicht nur, weil sie sich akribisch vorbereitet hat auf ihren Job. Sie weist auch darauf hin, dass ohne Nachfolgerinnen Familienunternehmen oft verkauft werden müssten, an internationale Investoren zum Beispiel. "Es hört sich ungerecht an", sagt sie, "aber es ist besser, reiche Menschen im Land zu haben." Die könnten sichere Arbeitsplätze schaffen. Froh allerdings wäre Ostermann, wenn mehr Menschen Firmen gründen würden. Um junge Leute zu ermutigen, hat sie die Non-Profit-Plattform "Startup Teens" gegründet. Schon in der Schule müssten Jugendliche lernen, was eine Aktie sei, wie Vermögensaufbau funktioniere. "Ich habe die Freude am kalkulierten Risiko über meine Eltern mitbekommen. Viele dagegen hören immer nur: Mach was Sicheres!" Viele Politiker hätten gar kein Interesse daran, die Mentalität zu verändern: "Sie reiten lieber auf der Neiddebatte rum." Mit Entspannung in der Gerechtigkeitsdebatte ist jedenfalls nicht zu rechnen. Die Konjunktur hat sich nach Jahren des Booms eingetrübt, und in Zeiten weniger stark steigender Steuereinnahmen wird auch weniger da sein. Zum Verteilen.

Henrike Roßbach ist Wirtschaftskorrespondentin der SZ in Berlin.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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