Wirtschaftswachstum:Europa überholt die USA - wenigstens für ein Jahr

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Obwohl in der EU neun Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, fordern Ökonomen weitere Reformen. Dann dürfte Europa die USA 2007 beim Wirtschaftswachstum überrunden - doch das ist nur eine Momentaufnahme.

Alexander Hagelüken

Auf diesen Moment hat Joaquin Almunia lange gewartet. Es macht wenig Spaß, als EU-Währungskommissar ständig den Boom in anderen Weltregionen zu kommentieren. Und einzuräumen, dass die Perspektiven für Europas Arbeitslose wenig rosig sind.

Das war jahrelang Almunias Aufgabe. Umso mehr muss den bedächtigen Spanier gefreut haben, was er am Montag in den Katakomben der Brüsseler Kommission verkünden durfte: Europa boomt. Und wie.

Almunia revidierte seine Prognose vom Herbst noch einmal um einen halben Prozentpunkt nach oben. Die 27 Volkswirtschaften der EU wachsen demnach dieses Jahr um 2,9 Prozent, fast so stark wie 2006.

Zahlen wie zur Jahrtausendwende

Solche Zahlen verbuchte Europa letztmals zur Jahrtausendwende. Und noch etwas ist besonders: Dieses Jahr legt Europas Wirtschaft erstmals seit langer Zeit stärker zu als die zweite ökonomische Supermacht - für die Vereinigten Staaten sagt Almunia nur ein Wachstum von 2,2 Prozent voraus.

Europa vor den USA? Was das bedeutet, zeigt ein Blick in die Statistik. In den vergangenen 15 Jahren ist die amerikanische Wirtschaft im Schnitt doppelt so stark gewachsen wie die Euro-Zone, die den Kern der Europäischen Union bildet.

Nur in der Zeit des New-Economy-Booms vor der Jahrtausendwende hielten die Europäer annähernd mit. Davor und danach zogen die Amerikaner mit großem Abstand davon.

Arbeitslosigkeit verfestigte sich

In Europa verfestigte sich die Arbeitslosigkeit. Allen Beschlüssen der EU-Regierungschefs zum Trotz, man wolle die USA als stärksten Wirtschaftsraum der Welt einholen.

Der aktuelle Boom zeigt auch auf dem Arbeitsmarkt deutlich Spuren. Zwischen 2006 und 2008 entstehen in Europa neun Millionen Arbeitsplätze, verkündete Almunia. Die Arbeitslosigkeit könnte von fast neun Prozent Anfang 2006 auf unter sieben Prozent sinken.

Almunia erklärt den Aufschwung damit, dass neben den seit langem starken Exporten endlich die Inlandsnachfrage angezogen hat. Die Unternehmen investierten deutlich mehr - dank hoher Renditen, billiger Kredite und optimistischer Erwartungen.

Wesentlichen Anteil am Aufschwung hat das Wiedererstarken Deutschlands, das lange als kranker Mann Europas galt. Almunia lobt die wirtschaftspolitischen Reformen in der Bundesrepublik und anderen Mitgliedsstaaten.

Jetzt aber dürfe man die Hände nicht in den Schoß legen. ,,Wir müssen die Reformen weiterführen und die Finanzen auf eine solidere Grundlage stellen'', fordert er. ,,Das wird dazu beitragen, dass Wachstumspotential zu erhöhen, bevor sich der zunehmend ungünstige Altersaufbau der Bevölkerung auszuwirken beginnt.''

Gegen Reformpause

Gegen eine Reformpause ist auch Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. ,,Die Selbstzufriedenheit bricht mir zu früh aus'', sagt der ZEW-Ökonom. ,,Insgesamt ist noch viel zu leisten.''

Für Heinemann gehören in Deutschland vor allem eine weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes und weniger Kündigungsschutz dazu. Und ,,eine echte Gesundheitsreform''. In Italien und Frankreich sei der Reformbedarf noch viel höher.

Europa vor den USA? Für Heinemann nur eine Momentaufnahme. ,,Nimmt man kürzere Studienzeiten, weniger Urlaub und längere Arbeitsstunden zusammen, arbeitet ein Amerikaner in seinem Leben 40 bis 50 Prozent mehr als ein Europäer'', kalkuliert er. ,,Solange sich das nicht ändert, bleiben die USA dynamischer.''

Warnung vor einem Stopp der Anstrengungen

Europa vor den USA? Philippe de Buck warnt vor einem Stopp der Anstrengungen. Der Generalsekretär des Unternehmensverbands BusinessEurope glaubt, dass bisher die Firmen den größten Teil zum Aufschwung beigetragen haben.

,,Jetzt sind die Mitgliedsstaaten gefordert, in Bildung und Forschung zu investieren und die Arbeitsmärkte weiter zu liberalisieren.'' Vorsichtiger ist Daniel Gros vom Center for European Policy Studies, der in Deutschland anders als in Frankreich oder Italien keinen großen wirtschaftspolitischen Reformbedarf mehr sieht.

,,Die Bundesregierung sollte das Erreichte umsetzen.'' Große Defizite sieht Gros aber im Bildungsbereich: ,,Was Deutschland braucht, ist mehr Geld für die Schulen und Universitäten und mehr Wettbewerb zwischen den Bildungsträgern.''

Gleichstand schon im nächsten Jahr

Europa vor den USA? Das mag beim Wirtschaftswachstum 2007 einmal der Fall sein. Schon für nächstes Jahr sagt Kommissar Almunia Gleichstand voraus - 2,7 Prozent Wachstum für beide. Ohne weitere Anstrengungen des alten Kontinents könnten die Amerikaner wieder davoneilen.

© SZ vom 08.05.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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